Landleben auf Kirgisisch
Aktan Abdikalikow, Arym Kubat, Kirgisistan 2010
Der Boden ist karg und staubig. Wind weht zwischen den ärmlichen Häusern und ein paar Esel trotten über unbefestigte Strassen. Das Dorf von "Mr Light", dem Elektriker, liegt im Süden Kirgisistans. Es könnte sich genauso gut irgendwo sonst in den Weiten Zentralasiens befinden. Es ist eines jener Dörfer, aus dem wegreist, wer kann – in die Hauptstadt, nach Russland oder nach Kasachstan, auf der Suche nach mehr Geld und einem weniger beschwer-lichen Leben.
Doch das Dorf lebt. Nicht zuletzt dank "Mr Light". Er versteht es als Einziger, die marode elektrische Infrastruktur notdürftig instand zu halten: einen Transformator hier, eine Glühbir-ne dort. Mit seinem klapprigen Fahrrad eilt "Mr Light" stets dorthin, wo er gebraucht wird, und er bleibt auch für eine Tasse Tee, wenn jemand seine Alltagssorgen mit ihm teilen möchte. Sorgen gibt es viele: Mit dem Niedergang der Sowjetunion haben zahlreiche Landbewohner ihre Arbeit und ihr Einkommen verloren, Sozialleistungen blieben aus und veraltete Infrastruktur wurde nicht mehr ersetzt. Geld kommt oftmals nur von den Emigrierten, und selbst diese drohen die Daheimgebliebenen zu vergessen.
"Mr Light" mag seinen Job, und eigentlich hätte er grosse Pläne: Am liebsten würde er Elektrizität produzieren für das ganze Tal mit einer Reihe von Windrädern. Eines davon steht in seinem Hinterhof – er hat es selber gebaut –, aber für sein Vorhaben findet er kaum Unterstüt-zung. "Mr Light" liegt viel daran, die Probleme der Menschen im Dorf zu lösen. Wer zu arm ist, um für den Strom zu bezahlen, dem verschafft der umtriebige Elektriker auch kostenlos Strom. Der Stromdiebstahl bleibt den Behörden jedoch nicht verborgen. Eines Tages wird "Mr Light" abgeführt, doch bald ist er wieder zurück, denn ohne ihn geht es nicht.
Politische Umwälzungen
Im Land macht sich derweil Unmut gegen den herrschenden Präsidenten Askar Akajew breit, eine Revolution bahnt sich an. Ein reicher Kirgise taucht im Dorf auf und wirbt um politische Unterstützung. Der Reiche verspricht, die Frage des Landeigentums zu lösen, wovon das Schicksal der DorfbewohnerInnen entscheidend abhängt. Doch der amtierende Dorfvorsteher glaubt nicht an solche Versprechen und jagt den Neuankömmling davon.
In der Hauptstadt wird die Regierung gestürzt, und als der Dorfvorsteher unvermittelt stirbt, kommt es auch im Dorf zum Machtwechsel. Der reiche Kirgise lässt einen dem Alkohol ver-fallenen Taugenichts als neuen Dorfvorsteher einsetzen und bestellt "Mr Light" zu sich: Der Elektriker soll helfen, das Haus der Dorfverwaltung zu erneuern. "Mr Light" nimmt das Angebot an, denn seine Arbeit erfüllt ihn mit Stolz. Auch erhofft er sich eine Möglichkeit, seine Windräder doch noch zu bauen.
Bald stellt er jedoch fest, dass die neue Führung ein aus seiner Sicht wenig ehrenhaftes Leben führt. Als er einem bunten Abend für geladene chinesische Investoren beiwohnt und sich dabei unzüchtige Spiele mit Stripteasetänzerinnen ansehen muss, verliert er die Beherrschung.
Widersprüche
"The Light Thief" ist nicht nur ein Film über den zwiespältigen politischen Umbruch in Kir-gisistan, wie er sich in jüngster Zeit aufs Neue wiederholt: Es ist ebenso ein Film über die Zwiespältigkeit in den Menschen selbst. «Mr Light», Vater von mehreren Töchtern, wünscht sich nichts sehnlicher als einen Sohn, obgleich er seine Töchter über alles liebt. Er kann dem Druck der Gesellschaft kaum widerstehen und ist bereit, seine Frau im Tausch gegen einen Sohn an einen Freund weiterzugeben.
Regisseur Aktan Arym Kubat, der im Film selber die Hauptrolle spielt, zeichnet mit liebevol-lem Blick für die Menschen ein präzises Bild der Lebensrealität zentralasiatischer Dorfbe-wohnerInnen. Das Aufleuchten und Erlöschen der Glühbirne und das sich nur mit Mühe dre-hende Windrad stehen symbolisch für ein Leben unter prekären Umständen, das oftmals mehr ein Überleben ist.
"The Light Thief" ist ein langsamer Film mit spärlichen Dialogen und atemberaubenden Landschaftsaufnahmen. So kann das Publikum tief in die Realität des südkirgisischen Dorfes eintauchen. Das abrupte Ende des Filmes lässt viele der erzählten Geschichten unvollendet. Offen bleibt, ob es im Dorf zu grund¬legenden Veränderungen kommt oder ob der politische Umbruch wie der Wind vorbeiziehen und nur etwas Staub aufwirbeln wird im immer gleichen Alltag.
Erschienen im "AMNESTY – Magazin der Menschenrechte" von November 2010
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Der Film ist auch auf DVD erhältlich, zum Beispiel im Trigon-Shop