"Wenn ich auf dem Lehrbetrieb mit dem Traktor daherkam, machten alle immer ganz grosse Augen", sagt Doris Martinali. Seit dem Lehrabschluss packt sie im elterlichen Hof im Bleniotal an, einem Mehrstufenbetrieb mit Hof in Largario, Maiensäss und Alp. 20 Braunviehkühe, 12 Jungtiere, 45 Mutterschafe, 50 Hühner 3 Hirtenhunde 2 Kater. Martinalis verkaufen direkt vom Hof und via Versand Kalb- und Schaffleisch, Sirup, Konfitüren, Eier und Alpkäse und vermieten eine Ferienwohnung. Doris Martinali kann sich immer besser vorstellen, den Hof dereinst mit ihrer Schwester zu übernehmen. Und sie freut sich auf den neuen Traktor, der bald geliefert wird.
Mein Mann "sagt immer, bei uns sei ich der Bauer", lacht Sandra Böhm. Sie hat nämlich aufgrund ihres Primarlehrpatents rückwirkend die Anerkennung für den biodynamischen Landwirtschaftslehrgang erhalten, ihr Mann nicht. So ist sie direktzahlungsberechtigt und die Briefe des Landwirtschaftsamts sind an sie adressiert. "Ich finde eigentlich, Bauer ist der, der auf dem Traktor hockt", feixt sie. Und das ist ihr Mann. Böhms leben mit ihren vier kleinen Kindern auf ihrem Heimetli, zu dem sie mit Glück gekommen sind und in dessen Funktionstüchtigkeit sie viel Arbeit gesteckt haben, in Schwendi bei Heiden. 70-80 KundInnen beliefert Sandra Böhm wöchentlich, Direktlieferservice mit Gemüse nach Demeter direkt vom Acker.

Frauen am Werk

Doris Martinali und Sandra Böhm sind zwei der zwölf Bergbäuerinnen zwischen 18 und 86 Jahren, die Daniele Schwegler und Stephan Bösch in ihrem Buch "Landluft" porträtieren. Die meisten sind nicht in diesen Beruf hereingewachsen, sondern haben ihn im Lauf des Lebens gewählt. Sie sind aus dem Tal und aus Städten in Berggegenden gezogen – und haben, wie sie alle beteuern, in der Landluft neuen Boden unter den Füssen gewonnen. Daniela Schwegler lässt ihnen viel Raum, ihre Motive und ihre Arbeit, ihr Denken und ihre Vorstellungen von Landwirtschaft in eigenen Worten und Geschichten zu erzählen. Und doch gibt es in der grossen Vielfalt von Lebensläufen und Familienkonstellationen, Höfen und Arbeitsorganisationen eine Gemeinsamkeit: Hier sind Frauen am Werk, die sich kümmern, um Nachhaltigkeit und Ernährungssouveränität, um Landschaftsschutz und Landwirtschaftspolitik, um alternative Produktions- und Vertriebsmodelle und um Kühe mit Hörnern. Nach jedem Gespräch greift die Autorin ein gesellschaftlich-politisches Thema heraus und diskutiert es auf einer Seite.
Die Fotoporträts zeigen die Frauen bei der Arbeit auf ihrem Hof. Sie schaffen Nähe, aber auch sie zeugen von Respekt und romantisieren nicht. Das wäre fehl am Platz: Laut einer Studie von Agroscope und ZHAW von 2017 sind BäuerInnen tendenziell häufiger von Burnouts betroffen als die übrige Bevölkerung. Für BergbäuerInnen gilt dies noch mehr: Extrem harte Arbeit, wenig Wohnkomfort, oft Geldsorgen. Das wird in den Porträts nicht verschwiegen. Aber diese Bergbäuerinnen, die auch anderes kennen, sind sich sicher: So wollen sie leben und arbeiten.
"Landluft" ist ein informatives, sorgfältig gestaltetes und unterhaltsames Buch. Wenn Sie gerne einen Fuss in die Welt der porträtierten Bergbäuerinnen setzten möchten: Für die Gegend jeden Hofs gibt es einen Wandertipp.
Daniela Schwegler, Stephan Bösch: Landluft. Bergbäuerinnen im Porträt. Rotpunktverlag, Zürich 2017, 256 Seiten, ca. CFH 39.-, ISBN 978-3-85869-752-3