Ihr fünf seid 2014 aus Deutschland los, um mit russischen Ural-Maschinen immer nach Osten zu fahren, bis ihr nach New York kommen würdet. Wart ihr erfahrene Motorradfahrer?

Johannes: Null, aber wir hatten ja unterwegs zweieinhalb Jahre Zeit, uns mit den Dingern auseinanderzusetzen. Anne hat ihren Führerschein zwei Monate und ich vier Monate vorher gemacht. Als wir losgefahren sind, sassen wir das erste Mal auf unseren Maschinen. Wir haben allein eine Woch­e gebraucht, um die ersten 500 Kilometer von Halle bis nach Passau zu fahren.

Die erste Panne hattet ihr nach 25 Kilometern …

Anne: Leider waren unsere Ural-Maschinen nicht sehr zuverlässig. Dafür bekommt man Ersatzteile in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in jedem Dorf.

Elisabeth: Wir wollten mit Einheimischen in Kontakt kommen. Wenn du am Strassenrand stehst, halten die meisten Leute an und helfen dir. Das ist eine universelle Sprache, die versteht man überall.

Wie sah eure Route aus?

Elisabeth: Es ging zunächst über Österreich, Ungarn, Serbien, Bulgarien, Griechenland und die Türkei nach Georgien. Dort haben wir unser erstes Winterlager gemacht. Im nächsten Frühjahr fuhren wir weiter über Russland, Kasachstan, die Mongolei und wieder nach Russland. Zwischendurch flogen wir acht Monate nach Kanad­a und haben Geld für die Weiterfahrt verdient. Danach sind wir wieder zurück in den Fernen Osten Russlands, um den Kolyma Fluss zu befahren. Danach flogen wir nach Alaska, fuhren bis nach Kalifornien und dann einmal quer durch die USA nach New York.

Was ist von den Maschinen, mit denen ihr gestartet seid, am Ende in New York angekommen? 

Johannes: Insgesamt hatten wir zwölf Maschinen. Ab und zu war es günstiger, ein neues Motorrad auszuschlachten. Einmal brauchten wir ein paar Teile, der Ladenbesitzer merkt, dass wir Deutsche sind, und nennt uns als Preis 80 Dollar. Da fängt hinter uns ein Russe an zu lachen und meint, für die Hälfte könnten wir sein ganzes Motorrad kaufen.

Wie wart ihr auf den Motorrädern verteilt?

Johannes: Anne, Kaupo und Elisabeth sind allein gefahren. Efy sass bei mir im Beiwagen. Zwischendurch hatten wir auch ein Gastmotorrad für Besuch.
Elisabeth: Oft haben uns Leute spontan begleitet.

Was waren das für Leute?

Johannes: Zum Beispiel ein russischer 18-Jähriger, der Sonnenbrillen verkauft hat. Er hat gefragt, ob er im Beiwagen ins nächste Dorf mitfahren darf. Das war 300 Kilometer entfernt. Nach 3’000 Kilometern haben wir ihn dann gefragt, wie er wieder nach Hause kommt. Er ist mit nur eine­r Unterhose und einem T-Shirt gereist. Und die Unterhose hat er auch als Kopfbedeckung gege­n die Mücken getragen.

Gab es auch mal schwierige Begegnungen?

Elisabeth: Ich kann mich an eine Panne erinnern, nach der wir irgendetwas schweissen mussten. Das war in einem Ort in Russland, der sich komisch angefühlt hat.

Kein Ort zum Anhalten?

Elisabeth: Die Leute haben grimmig geschaut, das war ganz unüblich. Wir haben gefragt, wo wir schweissen können. Ein Typ hat uns mitgenommen und ist dann aufgetaut. Er war gleichzeitig Heizer, versorgt das ganze Dorf im Winter mit zwei riesigen Kohleöfen und wollte uns unbedingt alles zeigen. So haben wir einen halben Tag in einem russischen Heizkraftwerk verbracht.

So etwas steht in keinem Reiseführer …

Johannes: Durch die Pannen haben wir die Einheimischen viel besser kennengelernt. Oft wurden wir auch schon im nächsten Dorf angekündigt.
Elisabeth: Das nächste Dorf konnte aber durchaus noch 1’000 Kilometer entfernt sein. Die Leute standen dann am Ortseingang und haben gewartet. Wenn es zu lange gedauert hat, haben sie uns gesucht. Einmal hat ein Truckfahrer angehalten, uns sein Telefon entgegengestreckt und gesagt, das sei für Anne. Wir kannten weder den Fahrer noch den, der am Telefon war. Aber der am Telefon war besorgt, dass wir verloren gegangen wären.

Seid ihr denn mal verloren gegangen?

Elisabeth: Im ersten Jahr sind wird die legendäre "Road of Bones" in Russland gefahren und haben uns völlig verschätzt. Wir mussten die Maschinen durch Flüsse ziehen und über Abhänge seilen, das hat ewig gedauert und war körperlich sehr anstrengend. Es war kalt und hat sogar mal geschneit.
Wie fanden die Maschinen so einen Vollwaschgang?
Elisabeth: Wir mussten sie ausladen und Öl und Benzin abfüllen. Die ganze Elektrik wurde nass, wir haben alles zerlegt, getrocknet und wieder zusammengebaut. Für vier Motorräder haben wir pro Fluss mindestens 24 Stunden gebraucht. Dann fährst du drei Kilometer – und stehst vor dem nächsten Fluss. Da will man heulen.

Ein Moraltest fürs Team?

Elisabeth: Ich dachte, jeder dreht durch. Aber es ist tota­l leise geworden. Alle waren ganz darauf fokussiert, aus dieser Situation wieder rauszukommen.
Anne: Efy hat neulich gesagt, das wir da eine Gruppenidentität entwickelt haben, die sich über die einzelne Identität geschoben hat. Ich kann mich nur an eine kurz­e Panik­attacke von Johannes erinnern, als uns das Esse­n ausgegangen ist.

Was habt ihr dann gemacht?

Anne: Elisabeth und ich hatten schon heimlich das Esse­n rationiert. Zum Glück hatten wir noch Mehl, Hefe und Öl dabei. Ich habe dann Brot gebacken.
Elisabeth: Das hat ewig gedauert. Bis die mal den Teig gemacht hatte. Und bis diese Hefe aufgegangen ist. Ich habe in jeder freien Minute die Angel ins Wasser gehalten und nichts hat angebissen.
Anne: Wir hatten dann zwei Tage nichts mehr zu essen.

Nach einem Arbeitsaufenthalt in Kanada habt ihr im Fernen Osten Russlands eure Motor­räder mithilfe von Schwimmkörpern zu Flössen umgebaut und wolltet den Fluss Kolyma bis Meer hinunter­fahren. Klingt eigentlich ganz entspannt?

Johannes: Erst auf dem Wasser haben wir realisiert, dass es kein Zurück gibt. An die Motorräder hatten wir kleine Schiffsschrauben angeschlossen, aber damit konnten wir nicht gegen die Strömung fahren. Wir mussten die 1’600 Kilometer vor uns in jedem Fall bewältigen.

Was habt ihr auf dem Fluss gelernt?

Johannes: Am Anfang hatten wir mehrere kleine Flösse. Wie an Land hatte einer die Ersatzteile, einer die Nahrungsmittel. Ungefähr 20 Sekunden nach dem Start ist Kaupo in einem Baum hänge­n geblieben. Wir konnten das nur noch im Rückspiegel beobachten, weil wir nicht gegen die Strömung ankamen. Zum Glück konnte er sich allein befreien.  

Habt ihr daraufhin was geändert?

Johannes: Wir haben alles zu einem grossen Floss verbunden. Das war sechs Tonnen schwer, fast 65 Quadratmeter gross und liess sich nur steuern, wenn zwei parallel liegende Motorräder gelaufen sind. Wenn der linke mehr Gas gegeben hat, ist das Ding nach rechts, und andersherum.

Aber dann lief es?

Elisabeth: Na ja, einmal haben wir nicht aufgepasst und wurden in einen Seitenarm gezogen. Wir haben nur noch die Köpfe eingezogen, als wir in die Böschung geknallt sind. Wir haben den ganzen Tag unser Floss zurück in den Hauptarm geschleppt.

Konnte man so etwas nicht auf der Karte erkennen?

Johannes: Karten sind dort für Normalsterbliche nicht zugängig. Ein Kapitän hat sie uns heimlich abfotografiert. Auf halber Strecke haben wir in einem versunkenen Kahn noch eine eigene Karte gefunden. Die war von 1985 – leider ändern sich die Sandbänke täglich.

Und damit seid ihr bis ans Meer gekommen?

Elisabeth: Bis nach Tscherski, das war die letzte Siedlung vor dem Arktischen Ozean. Weiter kommst du nicht, weil der Fluss ein grosses Delta bildet und ins offene Meer mündet.

Wie seid ihr dann nach Amerika übergesetzt?

Johannes: Wir dachten, dass uns die Behörden aufhalten würden. Deshalb gab es noch keinen Plan, wie es weitergehen sollte. Die Beringstrasse liegt noch weiter im Osten. Es sollte dorthin eine Strasse geben, aber keiner konnte uns sagen, ob die befahrbar ist. Wir haben beschlossen, einfach mal zu schauen.

Keiner hat euch aufgehalten?

Johannes: Nach zwei Tagen kam eine Staubwolke auf uns zu. Drei Geländewagen. Einer von der Armee, einer  von der Migrationspolizei und der dritte war vom Geheimdienst. Wir wurden herzlich begrüsst und gefragt, warum wir so lang gebraucht haben. 

Wer hatte für euch ein gutes Wort eingelegt?

Johannes: Keine Ahnung, aber ab dann waren wir unter der Obhut dieser drei Behörden. Die haben uns nach Bilibino mitgenommen. Dort stellten sie uns eine Werkstatt mitsamt Mechaniker zur Verfügung, gaben uns Kleidung und Vorräte. Wir sassen mit Geheimdienst, Militär und Migrationspolizei am grossen Tisch und haben gemeinsam geplant, wie wir jetzt weiterfahren.

Und?

Johannes: Sie haben schon versucht, uns von unserem Vorhaben abzuhalten. Bis zur nächsten Siedlung waren es mehr als 1’200 Kilometer mit 120 Flussquerungen, dafür konnten wir nicht genug Benzin mitnehmen.

Was war die Lösung?

Elisabeth: Gelegentlich fahren LKW-Konvois diese Strecke. Die haben Benzindepots für uns angelegt.

Dann war ja alles geklärt …

Johannes: Nur nicht, wie wir schnell über die Flüsse kommen würden. Mit unseren Pontons wäre es schon besser als auf der "Road of Bones" gegangen, aber dann hatten wir die Idee, einen Anhänger zu konstruieren, der uns als Brücke und Fähre dienen konnte.

Eine Brücke zum Mitnehmen?

Anne: Genau, die Flüsse waren breit, haben aber meist nur eine kurze tiefe Stelle, die wir mit dem Anhänger überbrückt haben. Für tiefe Flüsse wollten wir zwei Pontons aufblasen und den Hänger zur Fähre machen.

Das hat funktioniert?

Johannes: Ja, aber leider war der Anhänger zu schwer und die Kupplungen sind noch schneller kaputtgegangen. Gleichzeitig liefen unsere Visa ab. Die Militärs wollten uns ja schon die ganze Zeit zeigen, was sie könne­n, und haben uns dann evakuiert.

Ihr seid danach über Kamtschatka nach Anchorage geflogen. Alaska ist wild, aber nach eurem Russland­abenteuer vermutlich einfacher zu bereisen?

Johannes: Von den Strassen her auf jeden Fall.
Anne: Ganz im Norden war es auch einsam, aber insgesamt trotzdem dichter bevölkert als Nordsibirien.

Wie waren die Menschen?

Anne: In Alaska gar nicht so viel anders als in Sibirien, viele hatten krasse Storys vom Jagen und vom Buschfliegen zu erzählen. Die fanden aber saucool, dass wir auch was zu erzählen hatten. 

Was war anders als in Russland?

Johannes: Die Kontraste waren krass. Wir haben eine Nacht unter der Brücke geschlafen und am nächsten Tag in einem Pool gesessen und Cocktails getrunken.
Anne: Die Leute waren ängstlicher. Kurz vor Las Vegas hatten wir eine Panne, aber niemand hielt an. Wir wurde­n mehr über Kontakte weitergereicht, als dass Fremde uns was angeboten hätten.
Johannes: In den USA war die Gefahr höher, von einem Farmer erschossen zu werden, als in Russland von einem Bären gefressen zu werden.

Wurdet ihr bedroht?

Anne: Wir haben irgendwo in einem öffentlichen Waldstück gecampt. Um fünf Uhr leuchtet uns einer ins Gesicht und sagt, wir hätten ihn erschreckt. Er hatte aber das Gewehr! Er meinte nur, dass wir uns nicht bewegen sollten, drüben im Hochstand sässe sein Jägerkumpel und der würde auf alles schiessen, was sich bewegt.

Bei über 40’000 Kilometern sind Unfälle kaum zu vermeiden, ist euch was passiert?

Anne: Jeder hat sich einmal überschlagen, wir sind aber immer mit Verstauchungen und Schürfwunden davongekommen. Am Anfang hatten wir normale Erste-Hilfe-Kästen aus dem Auto dabei. Ein befreundeter Mediziner fand das nicht witzig und hat uns ein Set der Bundeswehr für Auslandseinsätze organisiert, damit hätten wir theoretisch sogar amputieren können.

So weit kam es aber nicht?

Anne: Die schwerste Verletzung war, als sich Johannes in Kanada mit der Axt ins Knie gehackt hat. Mitten in der Nacht in der Wildnis, das nächste Krankenhaus war 400 Kilometer entfernt. Aber wie bei einer Motorradpanne hatte jeder seine Rolle. Elisabeth hat gefilmt und ist dabei zweimal ohnmächtig geworden. Zwei Freunde haben Johannes abgelenkt. Kaupo hat zugehalten, Efy hat die Tupfer angereicht und ich habe dann genäht – wie eine Roulade mit acht oder zehn Stichen.

Und dann nach über zwei Jahren kommt ihr wirklich in New York an. Wie war die Ankunft?

Elisabeth: Ich hätte nicht gedacht, dass dort noch irgen­dwas irgendwen erstaunen kann. Aber die Leute haben sich fast überfahren lassen, weil sie uns unbedingt filme­n mussten. Neben uns ist ein Auffahrunfall passiert, weil der Fahrer nur uns im Blick hatte.
Johannes: Oder an einer Unterführung standen bestimmt 100 Arbeiter. Plötzlich stehen alle auf, jubeln und reissen ihre Helme hoch. Total krass.  

Was ist von den Maschinen, mit denen ihr gestartet seid, am Ende in New York angekommen? 

Johannes: Insgesamt hatten wir zwölf Maschinen. Ab und zu war es günstiger, ein neues Motorrad auszuschlachten. Einmal brauchten wir ein paar Teile, der Ladenbesitzer merkt, dass wir Deutsche sind, und nennt uns als Preis 80 Dollar. Da fängt hinter uns ein Russe an zu lachen und meint, für die Hälfte könnten wir sein ganzes Motorrad kaufen.

Wie wart ihr auf den Motorrädern verteilt?

Johannes: Anne, Kaupo und Elisabeth sind allein gefahren. Efy sass bei mir im Beiwagen. Zwischendurch hatten wir auch ein Gastmotorrad für Besuch.
Elisabeth: Oft haben uns Leute spontan begleitet.

Was waren das für Leute?

Johannes: Zum Beispiel ein russischer 18-Jähriger, der Sonnenbrillen verkauft hat. Er hat gefragt, ob er im Beiwagen ins nächste Dorf mitfahren darf. Das war 300 Kilometer entfernt. Nach 3’000 Kilometern haben wir ihn dann gefragt, wie er wieder nach Hause kommt. Er ist mit nur eine­r Unterhose und einem T-Shirt gereist. Und die Unterhose hat er auch als Kopfbedeckung gege­n die Mücken getragen.

Gab es auch mal schwierige Begegnungen?

Elisabeth: Ich kann mich an eine Panne erinnern, nach der wir irgendetwas schweissen mussten. Das war in einem Ort in Russland, der sich komisch angefühlt hat.

Kein Ort zum Anhalten?

Elisabeth: Die Leute haben grimmig geschaut, das war ganz unüblich. Wir haben gefragt, wo wir schweissen können. Ein Typ hat uns mitgenommen und ist dann aufgetaut. Er war gleichzeitig Heizer, versorgt das ganze Dorf im Winter mit zwei riesigen Kohleöfen und wollte uns unbedingt alles zeigen. So haben wir einen halben Tag in einem russischen Heizkraftwerk verbracht.

So etwas steht in keinem Reiseführer …

Johannes: Durch die Pannen haben wir die Einheimischen viel besser kennengelernt. Oft wurden wir auch schon im nächsten Dorf angekündigt.
Elisabeth: Das nächste Dorf konnte aber durchaus noch 1’000 Kilometer entfernt sein. Die Leute standen dann am Ortseingang und haben gewartet. Wenn es zu lange gedauert hat, haben sie uns gesucht. Einmal hat ein Truckfahrer angehalten, uns sein Telefon entgegengestreckt und gesagt, das sei für Anne. Wir kannten weder den Fahrer noch den, der am Telefon war. Aber der am Telefon war besorgt, dass wir verloren gegangen wären.

Seid ihr denn mal verloren gegangen?

Elisabeth: Im ersten Jahr sind wird die legendäre "Road of Bones" in Russland gefahren und haben uns völlig verschätzt. Wir mussten die Maschinen durch Flüsse ziehen und über Abhänge seilen, das hat ewig gedauert und war körperlich sehr anstrengend. Es war kalt und hat sogar mal geschneit.
Wie fanden die Maschinen so einen Vollwaschgang?
Elisabeth: Wir mussten sie ausladen und Öl und Benzin abfüllen. Die ganze Elektrik wurde nass, wir haben alles zerlegt, getrocknet und wieder zusammengebaut. Für vier Motorräder haben wir pro Fluss mindestens 24 Stunden gebraucht. Dann fährst du drei Kilometer – und stehst vor dem nächsten Fluss. Da will man heulen.

Ein Moraltest fürs Team?

Elisabeth: Ich dachte, jeder dreht durch. Aber es ist tota­l leise geworden. Alle waren ganz darauf fokussiert, aus dieser Situation wieder rauszukommen.
Anne: Efy hat neulich gesagt, das wir da eine Gruppenidentität entwickelt haben, die sich über die einzelne Identität geschoben hat. Ich kann mich nur an eine kurz­e Panik­attacke von Johannes erinnern, als uns das Esse­n ausgegangen ist.

Was habt ihr dann gemacht?

Anne: Elisabeth und ich hatten schon heimlich das Esse­n rationiert. Zum Glück hatten wir noch Mehl, Hefe und Öl dabei. Ich habe dann Brot gebacken.
Elisabeth: Das hat ewig gedauert. Bis die mal den Teig gemacht hatte. Und bis diese Hefe aufgegangen ist. Ich habe in jeder freien Minute die Angel ins Wasser gehalten und nichts hat angebissen.
Anne: Wir hatten dann zwei Tage nichts mehr zu essen.

Nach einem Arbeitsaufenthalt in Kanada habt ihr im Fernen Osten Russlands eure Motor­räder mithilfe von Schwimmkörpern zu Flössen umgebaut und wolltet den Fluss Kolyma bis Meer hinunter­fahren. Klingt eigentlich ganz entspannt?

Johannes: Erst auf dem Wasser haben wir realisiert, dass es kein Zurück gibt. An die Motorräder hatten wir kleine Schiffsschrauben angeschlossen, aber damit konnten wir nicht gegen die Strömung fahren. Wir mussten die 1’600 Kilometer vor uns in jedem Fall bewältigen.

Was habt ihr auf dem Fluss gelernt?

Johannes: Am Anfang hatten wir mehrere kleine Flösse. Wie an Land hatte einer die Ersatzteile, einer die Nahrungsmittel. Ungefähr 20 Sekunden nach dem Start ist Kaupo in einem Baum hänge­n geblieben. Wir konnten das nur noch im Rückspiegel beobachten, weil wir nicht gegen die Strömung ankamen. Zum Glück konnte er sich allein befreien.  

Habt ihr daraufhin was geändert?

Johannes: Wir haben alles zu einem grossen Floss verbunden. Das war sechs Tonnen schwer, fast 65 Quadratmeter gross und liess sich nur steuern, wenn zwei parallel liegende Motorräder gelaufen sind. Wenn der linke mehr Gas gegeben hat, ist das Ding nach rechts, und andersherum.

Aber dann lief es?

Elisabeth: Na ja, einmal haben wir nicht aufgepasst und wurden in einen Seitenarm gezogen. Wir haben nur noch die Köpfe eingezogen, als wir in die Böschung geknallt sind. Wir haben den ganzen Tag unser Floss zurück in den Hauptarm geschleppt.

Konnte man so etwas nicht auf der Karte erkennen?

Johannes: Karten sind dort für Normalsterbliche nicht zugängig. Ein Kapitän hat sie uns heimlich abfotografiert. Auf halber Strecke haben wir in einem versunkenen Kahn noch eine eigene Karte gefunden. Die war von 1985 – leider ändern sich die Sandbänke täglich.

Und damit seid ihr bis ans Meer gekommen?

Elisabeth: Bis nach Tscherski, das war die letzte Siedlung vor dem Arktischen Ozean. Weiter kommst du nicht, weil der Fluss ein grosses Delta bildet und ins offene Meer mündet.

Wie seid ihr dann nach Amerika übergesetzt?

Johannes: Wir dachten, dass uns die Behörden aufhalten würden. Deshalb gab es noch keinen Plan, wie es weitergehen sollte. Die Beringstrasse liegt noch weiter im Osten. Es sollte dorthin eine Strasse geben, aber keiner konnte uns sagen, ob die befahrbar ist. Wir haben beschlossen, einfach mal zu schauen.

Keiner hat euch aufgehalten?

Johannes: Nach zwei Tagen kam eine Staubwolke auf uns zu. Drei Geländewagen. Einer von der Armee, einer  von der Migrationspolizei und der dritte war vom Geheimdienst. Wir wurden herzlich begrüsst und gefragt, warum wir so lang gebraucht haben. 

Wer hatte für euch ein gutes Wort eingelegt?

Johannes: Keine Ahnung, aber ab dann waren wir unter der Obhut dieser drei Behörden. Die haben uns nach Bilibino mitgenommen. Dort stellten sie uns eine Werkstatt mitsamt Mechaniker zur Verfügung, gaben uns Kleidung und Vorräte. Wir sassen mit Geheimdienst, Militär und Migrationspolizei am grossen Tisch und haben gemeinsam geplant, wie wir jetzt weiterfahren.

Und?

Johannes: Sie haben schon versucht, uns von unserem Vorhaben abzuhalten. Bis zur nächsten Siedlung waren es mehr als 1’200 Kilometer mit 120 Flussquerungen, dafür konnten wir nicht genug Benzin mitnehmen.

Was war die Lösung?

Elisabeth: Gelegentlich fahren LKW-Konvois diese Strecke. Die haben Benzindepots für uns angelegt.

Dann war ja alles geklärt …

Johannes: Nur nicht, wie wir schnell über die Flüsse kommen würden. Mit unseren Pontons wäre es schon besser als auf der "Road of Bones" gegangen, aber dann hatten wir die Idee, einen Anhänger zu konstruieren, der uns als Brücke und Fähre dienen konnte.

Eine Brücke zum Mitnehmen?

Anne: Genau, die Flüsse waren breit, haben aber meist nur eine kurze tiefe Stelle, die wir mit dem Anhänger überbrückt haben. Für tiefe Flüsse wollten wir zwei Pontons aufblasen und den Hänger zur Fähre machen.

Das hat funktioniert?

Johannes: Ja, aber leider war der Anhänger zu schwer und die Kupplungen sind noch schneller kaputtgegangen. Gleichzeitig liefen unsere Visa ab. Die Militärs wollten uns ja schon die ganze Zeit zeigen, was sie könne­n, und haben uns dann evakuiert.

Ihr seid danach über Kamtschatka nach Anchorage geflogen. Alaska ist wild, aber nach eurem Russland­abenteuer vermutlich einfacher zu bereisen?

Johannes: Von den Strassen her auf jeden Fall.
Anne: Ganz im Norden war es auch einsam, aber insgesamt trotzdem dichter bevölkert als Nordsibirien.

Wie waren die Menschen?

Anne: In Alaska gar nicht so viel anders als in Sibirien, viele hatten krasse Storys vom Jagen und vom Buschfliegen zu erzählen. Die fanden aber saucool, dass wir auch was zu erzählen hatten. 

Was war anders als in Russland?

Johannes: Die Kontraste waren krass. Wir haben eine Nacht unter der Brücke geschlafen und am nächsten Tag in einem Pool gesessen und Cocktails getrunken.
Anne: Die Leute waren ängstlicher. Kurz vor Las Vegas hatten wir eine Panne, aber niemand hielt an. Wir wurde­n mehr über Kontakte weitergereicht, als dass Fremde uns was angeboten hätten.
Johannes: In den USA war die Gefahr höher, von einem Farmer erschossen zu werden, als in Russland von einem Bären gefressen zu werden.

Wurdet ihr bedroht?

Anne: Wir haben irgendwo in einem öffentlichen Waldstück gecampt. Um fünf Uhr leuchtet uns einer ins Gesicht und sagt, wir hätten ihn erschreckt. Er hatte aber das Gewehr! Er meinte nur, dass wir uns nicht bewegen sollten, drüben im Hochstand sässe sein Jägerkumpel und der würde auf alles schiessen, was sich bewegt.

Bei über 40’000 Kilometern sind Unfälle kaum zu vermeiden, ist euch was passiert?

Anne: Jeder hat sich einmal überschlagen, wir sind aber immer mit Verstauchungen und Schürfwunden davongekommen. Am Anfang hatten wir normale Erste-Hilfe-Kästen aus dem Auto dabei. Ein befreundeter Mediziner fand das nicht witzig und hat uns ein Set der Bundeswehr für Auslandseinsätze organisiert, damit hätten wir theoretisch sogar amputieren können.

So weit kam es aber nicht?

Anne: Die schwerste Verletzung war, als sich Johannes in Kanada mit der Axt ins Knie gehackt hat. Mitten in der Nacht in der Wildnis, das nächste Krankenhaus war 400 Kilometer entfernt. Aber wie bei einer Motorradpanne hatte jeder seine Rolle. Elisabeth hat gefilmt und ist dabei zweimal ohnmächtig geworden. Zwei Freunde haben Johannes abgelenkt. Kaupo hat zugehalten, Efy hat die Tupfer angereicht und ich habe dann genäht – wie eine Roulade mit acht oder zehn Stichen.

Und dann nach über zwei Jahren kommt ihr wirklich in New York an. Wie war die Ankunft?

Elisabeth: Ich hätte nicht gedacht, dass dort noch irgen­dwas irgendwen erstaunen kann. Aber die Leute haben sich fast überfahren lassen, weil sie uns unbedingt filme­n mussten. Neben uns ist ein Auffahrunfall passiert, weil der Fahrer nur uns im Blick hatte.
Johannes: Oder an einer Unterführung standen bestimmt 100 Arbeiter. Plötzlich stehen alle auf, jubeln und reissen ihre Helme hoch. Total krass.  

Veranstaltungen in verschiedenen Städten der Schweiz

Von Deutschland nach New York – zweieinhalb Jahre lang fuhr das fünfköpfige Künstlerkollektiv "Leavinghomefunktion" immer in Richtung Osten. Zunächst durch Europa und die Länder der ehemaligen Sowjetunion, später durch die USA und Kanada. Ihre sowjetischen Motorräder sorgten für gemächliches Vorankommen, zahllose Pannen und unglaubliche Abenteuer – beste Voraussetzungen, um mit Land und Leuten in Kontakt zu kommen.

Wollen Sie die Gruppe persönlich treffen und ihren Erfahrungen lauschen? Tickets gibt es hier.