Leben im Schatten des Profits
Die Fussballweltmeisterschaft in Südafrika war für die Arbeitsrechtsaktivistin und ehemalige honduranische Textilarbeiterin Gina Cano kein Grund zur Freude. Während internationale Sportartikelgiganten wie Adidas, Nike und Puma ihre Millionengewinne erzielten, kämpfte sie für die Rechte ihrer 1200 Kolleginnen und Kollegen, die von Hugger, einem Zulieferbetrieb von Adidas, gefeuert wurden. Der Arbeitsalltag der Frauen, die in Ländern des globalen Südens für multinationale Konzerne produzieren, ist von skandalösen Arbeitsbedingungen gekennzeichnet: Ihr Lohn reicht nicht einmal für das Nötigste aus, während exzessive Überstunden den Arbeitsalltag bestimmen. Das Recht auf gewerkschaftliche Interessenswahrnehmung wird rigoros unterbunden. "Die Sportartikelgiganten sehen keinen Handlungsbedarf, wenn Arbeiterinnen in ihren südlichen Zulieferbetrieben existenzsichernde Löhne und Arbeitsrechte vorenthalten werden" meint Carla Erazo, Mitarbeiterin von EMIH (Equipo de Monitereo Independiente de Honduras), die die Arbeitspraxen multinationaler Konzerne beobachtet. Die Arbeits- und Lebensrealitäten von Frauen werden mit den bevorstehenden politischen Entscheidungen verschlechtert. Die Regierungen Zentralamerikas und der EU haben im Rahmen des IV. EU-Lateinamerikagipfels 2006 in Wien offiziell den Beginn der Verhandlungen für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika (AA EU-ZA), das ein Freihandelsabkommen beinhalten soll, angekündigt. Die Auswirkungen auf die Region und auf die Frauen sind mannigfaltig.
Arbeit zu welchen Konditionen
Eine der Rechtfertigungen der Regierungen Zentralamerikas und der EU für ein Assoziierungsabkommen ist die Schaffung von tausenden von Arbeitsplätzen in Zentralamerika. Dieses Versprechen ist bereits aus dem Freihandelsabkommen mit den USA (DR-CAFTA) bekannt und blieb nach der Unterzeichnung und Implementierung unerfüllt. Studien zeigen gegenteilige Trends: Schliessungen von Maquilas, hauptsächlich im Textilsektor, die Zahl der ungewissen Arbeitsverhältnisse, sowie auch die Unterdrückung der Gewerkschaften und die Ermordung von leitenden GewerkschafterInnen in Zentralamerika haben sich erhöht; 70% der Arbeitsplätze, die in Zentralamerika seit dem Freihandelsabkommen geschaffen wurden, sind im informellen Sektor entstanden, in dem hauptsächlich Frauen mit freiem Dienstvertrag ohne Sozialversicherung und geregelter Entlohnung beschäftigt sind. Das Vorgehen der EU steht damit konträr gegen das elementare Recht auf Arbeit wie es in der Menschenrechtserklärung formuliert ist.
Freihandelsabkommen stehen über der Verfassung
Das vorliegende Assoziierungsabkommen der EU mit Zentralamerika hat langfristige Auswirkungen auf die nationalstaatliche Politik. Die Auswirkungen des ähnlich formulierten Abkommens der USA mit Zentralamerika zeigen, welche Verluste der Staat in seiner Handlungsfähigkeit bereits hinnehmen musste. Betroffen sind empfindliche Bereiche wie der Schutz der Menschenrechte sowie die staatliche Souveränität, Pläne für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu entwerfen und umzusetzen. Durch den Wegfall von Zöllen auf Importe aus den USA sanken die Staatseinnahmen von Honduras um 30%. Im Fall von Honduras zeigen Studien, dass dies 30% der Gesamteinnahmen des Staates sind.
Die Volkswirtschaften Honduras´, Guatemala´s und El Salvador´s basieren u. a. auf den Rücküberweisungen der u. a. nach Europa emigrierten Frauen und Männer. 2007 machten diese Überweisungen von Familienmitgliedern im Ausland einen erheblichen Teil des BIPs aus: in Honduras 25%, in Guatemala 12,5% und in El Salvador 18,7%. Paradoxerweise entstand in der EU während der Einigungsgespräche die "Rückübernahme- und Rückführungs-Richtlinie", die zu einer Illegalisierung der ImmigrantInnen "ohne Papiere" führte. Ohne vorherige Anhörung und ohne Recht auf Verteidigung vor Gericht können Betroffene 18 Monate in Schubhaft kommen. Europa verletzt damit grundlegende Menschenrechte. Der Zusammenhang zwischen Massenmigration, zunehmender Handelsliberalisierung und steigender Armut wird weiterhin von Seiten der aktuellen Politik und Wirtschaft negiert. Im Rahmen des Abkommens mit der EU ist auch eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen in den Freihandelszonen vorgesehen. Im Klartext bedeutet dies die arbeitsrechtliche Gesetzgebung aufzuweichen, um ohne gewerkschaftliche Mitsprache und mit geringen Lohnkosten zu produzieren. „Die Einigungsgespräche zu den Freihandelsabkommen umgehen die Verfassung“ ergänzt Lorena Zelaya, führende Aktivistin des Bloque Popular, der Widerstandsbewegung seit dem Putsch in Honduras. Sie bezieht sich dabei auf die Wiederaufnahme der Verhandlungen seitens der EU mit dem Präsidenten Porfiro Lobo, der in einer fragwürdigen Abstimmung nach dem Putsch gewählt wurde und von der Bevölkerung wie auch von zentral- und lateinamerikanischen Regierungen als illegitim erachtet wird. Momentan wurden die Verhandlungen ausgesetzt, da Nicaragua die Verhandlungen verliess.
Wir wollen dieses Modell nicht
"Jegliche Verträge, Abkommen oder Übereinkommen die aufgrund ihres Inhaltes oder aufgrund der möglichen Folgen zu einer Verletzung der Menschrechte führen könnten, sollten als nichtig erachtet werden!", dies fordert die Frauenrechtsaktivistin Yadira Minero von CDM (Centro de Derechos de Mujeres) und setzt fort: "Kein Handelsvertrag kann über den Menschenrechten oder der Autonomie der Völker stehen. Die Menschenrechte sind universell, unteilbar, umfassend und einklagbar." "Wir wollen dieses Modell nicht, bei dem die Bevölkerung für die Verantwortungslosigkeit des freien Marktes zahlen muss!" , schliesst sich Lorena Zelaya der Kritik an. Vor diesem Hintergrund treten Frauenorganisationen in ihren Studien und Forschungen den Beweis an, dass die anstehenden Handelsliberalisierungen unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschlechter haben. In sozialen Netzwerken und Widerstandsbewegungen informieren sie die Öffentlichkeit über die Handelsverträge und deren Auswirkungen. Carla Erazo und Gina Cano sind sich einig, dass der arbeitsrechtlichen Abwärtsspirale, die ihnen die Zulieferbetriebe der internationalen Sportartikelindustrie verursachen, Einhalt geboten werden muss. Das Assoziierungsabkommen der EU mit Zentralamerika – wie auch das Abkommen mit Südafrika – sind ein weiterer Schritt in eine Richtung, in der die existierenden Ungleichheiten besiegelt werden, denn die Spielregeln geben in diesen Abkommen internationale Unternehmen vor.
Hör- und Webtipps:
– Weitere Information zum Assoziierungsabkommen: http://www.eu2006.at/includes/images/EULAC/EU-LACViennaDeclarationDE.pdf;
– Zum Vertiefen zum Thema der Rücküberweisungen:
http://www.wide-network.org/index.jsp?id=497
http://www.tradeknowledgenetwork.net/research/pub.aspx?id=1229
http://www.ourworldisnotforsale.org
– Im Schatten des Profits: Live-Radiointerview vom 18. Mai 2010 mit Gina Cano und Carla Erazo, zwei Arbeitsrechtsaktivistinnen aus Honduras. Sie berichten über die Hintergründe der Sportartikel-Industrie und dem globalen Engagement für faire Arbeitsbedingungen: www.noso.at
Dieser Beitrag erschien in Frauensolidarität Nr.112 ( II/2010). Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.