Radio DRS-Korrespondent Ruedi Küng reist von Berufs wegen viel, und dies auf nicht besonders umweltverträgliche Weise. Am besten schont er das Klima, wenn er mit dem Schriftsteller Abdulrazak Gurnah aus Sansibar auf Lesereise unterwegs ist.
Mich entführt zwar nicht die schönste, aber die spannendste Lesereise nach Sansibar. Von dort stammt der knapp 60jährige Abdulrazak Gurnah, Autor von „Die Abtrünnigen“. Gurnah ist kurz nach den Wirren des zweiten Weltkriegs nach England emigriert, wo er Erziehungswissenschaften studierte und 1986 mit dem PhD in Kent abschloss. Heute lebt er in Brighton, East Sussex, und lehrt an der Universität in Kent. Er hat zwischen 1987 und heute eine ganze Serie von Büchern geschrieben, in denen es immer um Migration und Kulturaustausch, frühere und neue Zeit geht. Anhand von Personen und deren Liebesgeschichten, die in einem dramatischen Nichtfunktionieren enden, geht er in „Die Abtrünnigen“ den Kulturen und ihrer Durchmischung auf den Grund. Beim Lesen reise ich mit Gurnah durch Tansania, Tanganjika, Sansibar und durch die Zeit von 1899 bis heute. Die Reise beginnt im Küstengebiet, wo Kiswahili gesprochen wird, die Lingua Franca Ostafrikas. Im Zentrum steht ein britischer Kolonialist namens Martin Pearce, der sich in eine schöne Sansibari verliebt. Pearce hat im Gegensatz zu anderen Kolonialisten den Respekt vor anderen Kulturen bewahrt. Doch der Druck beider Kulturen, der britischen wie jener auf Sansibar, lässt die Liebe scheitern.

Der schwierige Umgang von Menschen verschiedener Kulturen
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Weisser so offen und deutlich über Kulturkonflikte schreiben könnte, ohne in die Falle des Rassismus zu tappen. Gurnah hat ein Auge, das ein Weisser kaum haben kann. Es ermöglicht einen offeneren Geist, einen klareren Blick auf die unzähligen Details der kulturellen Vielfalt und Differenzen Sansibars mit seinen arabischen, indischen und europäisch-kolonialen Einflüssen. Besonders erhellend sind die Konflikte der sansibarischen Handelsreisenden, die ins Innere des Landes vordringen und dabei gewissermassen eine eigene Kolonialoptik gegenüber den einheimische "Wilden" entwickeln. Gurnah nimmt mich aber auch mit ins Exil nach Europa, also in meinen eigenen Kulturraum, und führt mir vor Augen, wie schwierig da der Umgang von Menschen verschiedener Kulturen ist. Faszinierend am ganzen Buch ist schliesslich, dass es um eine Liebensgeschichte geht, auch wenn am Schluss die Liebe stirbt.

Tourismus verhindert oft gute Begegnungen
Als Afrikakorrespondent sollte ich 48 Länder südlich der Sahara thematisch abdecken. Es ist schön, dass das Schweizer Radio so etwas bietet. So muss ich von Beruf wegen viel reisen. Dabei bin ich ein grosser Umweltsünder: Ich habe die Goldkarte, "Senator" – die zweithöchste Karte für Vielfliegende, die es gibt, und zahle keine CO2-Kompensation, denn unsere Reisekasse ist sowieso chronisch überbelastet. Aber vor Ort zu sein und selber die Verhältnisse zu sehen, ist für gute Berichterstattung wichtig. Und ich kann gar nicht existieren, ohne zu wissen, was auf der Welt läuft. Andern geht es da anders, Leute haben mich schon gefragt: „Warum muss ich wissen, was in Afrika läuft?“. Umgekehrt haben mich schon Leute in Afrika gefragt: „Was habe ich davon, wenn ich dir zu einer guten Geschichte verhelfe?“ Ich habe darauf keine Antwort.
So gerne ich reise, so wenig bin ich als Tourist unterwegs. Ich bin kein Sammler, muss nicht alles sehen, alle kennen. Beim Tourismus geht es ja oft auch nicht um Menschen, sondern um Attraktionen. Fachleute wie der US-Ökonom Jeffrey Sachs sagen, der Tourismus schaffe Arbeitsplätze. Aber das Konfliktpotential zwischen dem milliardenschweren Tourismusgeschäft und den Interessen der Lokalbevölkerung ist gross. Zum Beispiel riskieren viele afrikanische Mädchen ihre Gesundheit, wenn sie sich mit Touristen einlassen, um zu Geld zu kommen. Und umgekehrt hindert Tourismus die Reisenden oft daran, gute Begegnungen mit Menschen anderer Kulturen zu haben.

Selbstbestimmte Entwicklung für Afrika
Es ist wichtig dass der Tourismus in andere Bahnen gelenkt wird. Deshalb ist das Wirken des arbeitskreises tourismus & entwicklung auch nach 30 Jahren sehr wichtig. Das Reiseportal scheint mir dafür ein gutes Tool zu sein – nur ist das Internet nicht gerade mein liebstes Medium. So werde ich selber wohl weiterhin eher eure Broschüren lesen.

Für die Zukunft wünsche ich mir sehr, dass Afrika seine Entwicklung schafft. Nicht dass nach den Europäern nun plötzlich die Chinesen diese Entwicklung bestimmen. Sondern dass in Afrika die Leute, die sich vom Tourismus was versprechen und Gäste empfangen, damit auch ihre Entwicklung befördern können.

Abdulrazak Gurnah: Die Abtrünnigen. Berlin-Verlag, Berlin 2006, 369 Seiten, SFr.  40.10; Euro 22.90; ISBN 978-3827005786