Maggie Black: In the twilight zone
Allen Ferienreisenden sind sie wohlvertraut, die kleinen Blumenmädchen, Koffer¬träger, Souvenirhändler, "Guides", die Fremden beflissen ihre Dienste anbieten. Zwischen 13 und 19 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollen weltweit in der Tourismusindustrie angestellt sein, schätzt das International Labour Office ILO in Genf aufgrund einer neuen Studie, die sich erstmals einge¬hender diesem bislang wenig beachteten Bereich der Kinderarbeit widmet. Nicht berücksichtigt in dieser Schätzung sind die unzähligen Kinder und Jugendlichen, die im informellen Sektor in irgendeiner Weise mit dem Fremdenverkehr zu tun haben. Denn die Beschäftigungslage im breit gefächerten Tourismusbereich lässt sich nur schwer erfassen und Kinderarbeit ist zudem in den meisten Ländern ille¬gal. Sicher ist, dass der weltweit rapid expandierende Tourismus eine ganze Pa¬lette von schlecht bezahlten, schlecht qualifizierten und schlecht geschützten Arbeitsplätzen oft am Rande der Legalität anbietet, die je nach Land und kulturellem Kontext mehrheitlich mit (jungen) Frauen und minderjährigen Jungen und Mädchen besetzt werden. Die Dienstbotenverhältnisse sind oft mit sexueller Aus¬beutung verbunden. Abgestützt auf vier Fallstudien (Kenya, Mexiko, Philippinen, Sri Lanka) sowie die Ergebnisse von zwei der wenigen Untersuchungen über Kinderarbeit in Hotellerie und Gastgewerbe in Nepal und Indien zeigt der ILO Bericht, dass materielle Not, oft verursacht durch Landflucht und Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds IWF, die überwiegende Mehrzahl der Minderjährigen zur Arbeit im Tourismus treibt ("push" Faktor). Doch kann eine Arbeit im Tourismus (sogar in der Prostitution) je nach Alter, Geschlecht und kulturellem Hintergrund auch erhebliche Attraktivität ("pull" Faktoren) für die Kinder und Jugendlichen aufweisen. Für westliche Massstäbe äusserst ausbeuterische Verhältnisse bezüglich Arbeitszeiten- und bedingungen werden zum Teil von den Kindern nicht als solche empfunden. Jedenfalls warnt der ILO Bericht davor, mit westlicher Entrüstung an eine Kampagne gegen die Kinderarbeit im Tourismus zu gehen, ohne die jeweiligen individuellen Vorstellungen und Karrierepläne der Betroffenen und deren spezifischen sozio kulturellen Hintergrund zu berücksichtigen. Um Kinderarbeit im Tourismus wirksam zu bekämpfen, braucht es noch mehr Fallstudien und differenzierte Untersuchungen über die vielfältigen Arbeits- und Lebenssituationen. Darauf aufbauend sieht das ILO ein gezieltes Lobbying bei den Leistungsträgem im Tourismus (Hotellerie, Gastgewerbe, Reisebranche), aber auch Öffentlichkeitsarbeit bei den Reisenden selbst vor.
ILO Child Labour collection, International Labour Office Geneva 1995, 92 Seiten, Fr. 15.- zu beziehen bei: ELO Publications, International Labour Office, 1211 Geneva