Mari, Buntzel: Das globale Huhn. Hühnerbrust und Chicken Wings- Wer isst den Rest?
Der weltweite Hühnermarkt wird von einigen wenigen Firmen beherrscht. Sie zerstörten in kurzer Zeit die lokale Pouletfleischproduktion in Afrika. Ein exzellentes Buch über das Imperium der Hähnchen.
Genau genommen ist das Huhn heutzutage eher ein Industrieprodukt als ein Tier. Mit dieser Aussage sind wir bereits mitten in der Geschichte, die Francisco Mari und Rudolf Buntzel erzählen – jener des globalen Pouletmarkts und seiner Opfer. Mari und Buntzel recherchierten akribisch für ihr Buch, dem sie den Untertitel „Hühnerbrust und Chicken Wings – Wer isst den Rest?“ gaben. Sie waren eigentlich eher zufällig auf das Thema gestossen.
Mari und Buntzel arbeiten für den deutschen Evangelischen Entwicklungsdienst. Sie waren an Entwicklungshilfeprojekten in Kamerun beteiligt und stellten erstaunt fest, wie der lokale Hühenermarkt innert weniger jahre vollständig zusammenbrach. Noch Mitte der neunziger Jahre versorgte sich Kamerun selbst mit Hühnerfleisch. Doch dann tauchten auf dem Markt billige gefrorene Pouletteile auf. Die Importe nahmen ständig zu, die lokalen ZüchterInnen konnten nicht mehr mithalten, denn ihre rund anderthalb Kilo schweren Hühner kosten umgerechnet rund fünf Euro. Gleich viel importiertes, tiefgefrorenes Hühnerfleisch war jedoch schon für 1 Euro 80 zu haben.
Vor vier Jahren gab der letzte lokale Hühnermäster Kameruns auf, Tausende von Arbeitsplätzen gingen verloren, dem Staat entgehen seither Millionen Euro an Steuereinnahmen. Dabei ist Kamerun für das tiefgekühlte Hühnerfleisch gar nicht ausgerüstet. Es fehlen durchgehende Kühlketten, das Fleisch vergammelt im feuchtwarmen Klima – früher wurden deshalb nur lebende Hühner verkauft. Und immer mehr Menschen erkranken, weil sie verdorbenes Hühnerfleisch verzehren. Das Beispiel Kamerun ist zufällig gewählt, dieselbe Geschichte liesse sich aus vielen anderen afrikanischen Staaten erzählen.
Billiger als entsorgen
Das Fleisch, das den lokalen ZüchterInnen den Hals umdrehte, kommt meist aus Europa. Es ist nicht etwa subventioniert, sondern einfach billig, weil es keinen Marktwert mehr besitzt. Die ProduzentInnen folgen der von der Marktwirtschaft vorgegebenen Logik: Die KonsumentInnen im Norden wollen vor allem Hühnerbrüste – vierzig Prozent eines Huhns gelten als Abfall. Die Entsorgung des Abfalls kostet im Norden Geld, dabei ist das, was wir als Müll betrachten, hochwertiges Hühnerfleisch. Mari und Butzel bringen diesen Sachverhalt auf den Punkt: „Die Produktionskosten wurden schon weitgehend von den guten Teilen, die für den europäischen Verbraucher vorgesehen sind, bezahlt. Je höher nun die Entsorgungskosten sind, desto niedriger können die Exportpreise sein.“
Seit der Rinderwahnsinn die Ställe heimgesucht hat, ist es in der EU wie in der Schweiz verboten, aus Fleischabfällen Tiermehl herzustellen. –Dieses Mehl wurde früher zur Fütterung von Schweinen und Hühnern (und illegal auch von Rindern) verwendet. Heute wird dieses Mehl verbrannt – und das kostet. Daher ist es billiger ,die von europäischen KonsumentInnen verschmähten Hühnerteile nach Afrika zu exportieren.
Durchdesignte Turbotiere
Der Export nach Afrika ist aber nur ein Teilaspekt der globalen Hühnerökonomie. Mari und Buntzel beschreiben weiter jene vier Firmen, die die Masthähnchenproduktion weltweit beherrschen. Diese Konzerne setzen ganz auf das designte Tier: Vor achtzig Jahren brauchte ein Masthähnchen fast vier Monate bis zur Schlachtreife und frass in dieser Zeit 4,7 Kilogramm Getreide. Heute wird es nach nur einem Monat und 1,7 Kilogramm Getreideverzehr getötet. In unseren Kochtöpfen und Pfannen landen absolute Hochleistungstiere, die so schnell wachsen, dass sie am Ende oft nicht mehr laufen können. Sie sind allesamt Hybriden, die man nicht züchten kann, weil sie ihre Topeigenschaften nicht vererben. Die Autoren Mari und Buntzel erläutern, wieso dies so ist und warum sich das Huhn von einem Nutzvieh zu einem industriell hergestellten Lebensmittel gemausert hat. Ein lesenswertes Buch, auch wenn man danach einen grossen Bogen um Pouletfleisch in Supermarktregalen macht.
Der Beitrag erschien in der WOZ Nr. 40 vom 02.10.2008, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Autorin.