Marlène Schnieper: Nakba – die offene Wunde
Basel, 27.02.2012, akte/ Nakba ist die Katastrophe, die 1948 mit der Beendigung des britischen Mandats in Palästina und der Staatsgründung Israels über die arabischen EinwohnerInnen des historischen Palästinas hereinbrach. 750’000 Menschen haben im Zusammenhang mit der Staatsgründung Israels Hab und Gut und Heimat verloren. So viele hat die UNWRA, das UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge registriert, als es 1950 seine Arbeit aufnahm. Mit ihren Kindern und Kindeskindern sind aus den Flüchtlingen von einst fünf Millionen geworden. Ein Drittel der registrierten palästinensischen Flüchtlinge lebt in anerkannten Lagern im Libanon, in Jordanien und Syrien, dem Gazastreifen und der Westbank inklusive Ostjerusalem. Und die Zahl der Vertriebenen steigt weiter.
Die Journalistin Marlène Schnieper leistet ein wichtiges Stück Aufarbeitung dieser lange totgeschwiegenen und noch heute in Israel, Europa oder den USA oft verharmlosten Geschichte des palästinensischen Volkes. Anhand historischer Dokumente und Analysen aufgeschlossener israelischer Historiker wie Benny Morris, Ilan Pappe oder Tom Segev zeichnet Schnieper nach, wie es zur Nakba kam, wie die britischen Mandatsträger beiderseits widersprüchliche verhängnisvolle Versprechen abgaben, wie jüdische Einwanderer das historische Palästina als "Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" für sich beanspruchten, wie die internationale Gemeinschaft, die britischen und US-Politiker die Staatsgründung Israels nach der schrecklichen Verfolgung der Juden durch das Naziregime für die Überlebenden des Holocaust vorantrieben. Nakba, die Katastrophe von 1948, die das palästinensische Volk bis heute einschneidend prägt, hat sehr viel mit der europäischen Geschichte zu tun – eine Tatsache, die von den meisten EuropäerInnen verkannt wird.
Im Zentrum des Buches steht die palästinensische Sicht auf die Nakba: Schnieper nimmt die Geschichten von acht Menschen auf, die 1948 die gewaltsamen Ereignisse, die Vertreibung und Zerstörung ihrer Häuser und Dörfer selbst erlebten oder von ihren Angehörigen und Freunden erfuhren. Der Blick ist, wie Schnieper sagt, "auf das Schicksal des palästinensischen Volkes gerichtet, das damals zu einem Volk ohne Land wurde". Die Nakba, die Katastrophe für die arabischen EinwohnerInnen des historischen Palästinas, ist bis heute nicht verwunden. Ohne gerechte Aufarbeitung der Nakba – das macht das Buch deutlich – ist auch keine Lösung des Nahost-Konflikts in Sicht.
Marlène Schnieper: Nakba – die offene Wunde. Die Vertreibung der Palästinenser 1948 und die Folgen. Rotpunktverlag, Zürich 2012, 380 Seiten, CHF 36.-, EUR 28.-, ISBN 978-3-85869-444-7