Frau Dibi, mit welchen Schwierigkeiten haben die Frauen zu kämpfen, die zu Ihnen kommen?

Souad Dibi: Die Probleme sind vielfältig. Wir beraten Frauen zum Beispiel juristisch bei Scheidungen, Vaterschaftsanerkennungen und auch häuslicher Gewalt. Darüber hinaus kommen manche Frauen auch, weil sie von unserer staatlich anerkannten Ausbildung in Patisserie, Kochen und Zimmerservice gehört haben.

Noch immer arbeiten nur wenige Frauen in Marokko…

Das ist korrekt, und wenn sie arbeiten, dann oft in schlecht bezahlten, informellen Jobs wie Hausangestellte oder als Strassenverkäuferin für Brot, Früchte oder Säfte. Das wollen wir ändern. Ein Berufsabschluss gibt den Teilnehmerinnen die Chance auf ein eigenes Einkommen und ermöglicht ihnen finanzielle Autonomie. Die Frauen sind nicht mehr von ihren Ehemännern abhängig und gewinnen – auch durch die Kurse zu Arbeits- und Frauenrechten – viel Selbstvertrauen. Wir von El Khir arbeiten eng mit Hotels, Restaurants, Hammams und Patisserien zusammen und sensibilisieren diese für die Situation von arbeitssuchenden Frauen. Zudem sorgen wir dafür, dass die Arbeitsbedingungen nicht ausbeuterisch, sondern geregelt und fair sind.

Vor der Corona-Pandemie war das Projekt sehr erfolgreich. Was hat sich verändert?

Die Kleinstadt Essaouira, in der wir aktiv sind, ist zu "normalen" Zeiten eine Hochburg für den Tourismus. Dementsprechend gesucht waren unsere Absolventinnen. Über zwei Drittel von ihnen hat vor der Pandemie innerhalb von sechs Monaten eine Arbeit gefunden. Diese Situation hat sich geändert: Wir mussten seit letztem Frühling unser Angebot anpassen. Aus Hygienegründen konnten wir nicht mehr alle Module durchführen und mussten die Frauen in Kleingruppen aufteilen. Und natürlich war es eine Zeitlang unmöglich, Praktikumsplätze zu finden, weil alle Hotels und Restaurants geschlossen waren.

Wie war und ist das Projekt trotz oder gerade wegen Covid-19 für die Frauen da?

Wir konnten zum Glück die Frauen weiterhin psychologisch in der Beratungsstelle betreuen, sind neu aber auch per Chat oder Video-Call zu erreichen. Zudem bieten wir den Teilnehmerinnen jetzt Kurse an, wie sie beispielsweise ein kleines Online-Business starten können. Zum Beispiel, indem sie Gebäck per Facebook verkaufen, einen Kochservice anbieten, etc. Die Corona-Pandemie hat Frauen in Marokko tendenziell schlimmer getroffen als Männer. Die meisten Leute in Marokko arbeiten im informellen Bereich. Bei Frauen kommt oftmals noch die Gefahr hinzu, beispielsweise bei der Haus- und Putzarbeit ausgebeutet zu werden. Weil die Schulen lange geschlossen waren, brauchten die Kinder zuhause mehr Betreuung, die überwiegend von Frauen geleistet wurde. Umso wichtiger sind Initiativen wie unsere, die Frauen stärken.

Von welcher Zukunft träumen Sie persönlich für Marokkos Frauen? 

Wenn es nach mir ginge, würde ich die Gesellschaft schnell und komplett umkrempeln (lacht). Aber nichts lässt sich erzwingen, darum arbeiten wir kontinuierlich daran, Frauen zu stärken. Wir ermutigen sie, sich am Arbeitsleben zu beteiligen, wählen zu gehen und sich als Bürgerinnen für ihre Rechte stark zu machen. Jede einzelne Frau, die patriarchale Muster durchbricht und ihre Kinder gleichberechtigt erzieht beziehungsweise sich für die Rechte ihrer Mädchen einsetzt, verändert die Gesellschaft ein kleines Stück. Auch die Ehemänner merken langsam, dass es an der Zeit ist, ihre Einstellung gegenüber der Rolle und den Aufgaben der Frauen in Familie und Gesellschaft zu ändern. Es ist jedoch noch ein weiter Weg bis zur Geschlechtergerechtigkeit in Marokko. Dank Ihrer Unterstützung, liebe cfd-Spenderin, lieber cfd-Spender sind wir aber weiterhin motiviert und zuversichtlich, und setzen uns auch in diesen schwierigen Zeiten für Frauen, Frieden und Gerechtigkeit ein. 

cfd – Die feministische FriedensorganisationDer cfd orientiert sich an der Vision eines guten Lebens für alle Menschen. Er arbeitet für eine Welt, in der Frauen und Männer sowie Menschen verschiedener Herkunft gleichberechtigt Zugang haben zu Lebensgrundlagen zu Rechten und Mitbestimmung, zu Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Die Grundlagen bilden der Gender-Ansatz, das Empowerment von Frauen und die feministische Friedenspolitik. Der cfd ist Mitglied von fairunterwegs.