Martin Dean: Falsches Quartett
Basel, 27.06.2014, akte/ In einem Gymnasium trifft der engagierte Deutschlehrer Lukas Brenner inmitten der "ungefähr tausendeinhundert strebenden, irrenden oder verlorenen Seelen" auf Nadja Breitenmoser, eine Schülerin mit viel Sensibilität und einem mühelosen Verständnis für Literatur. Nadja hilft dem türkischstämmigen Deutschen Deniz Karman bei den Literaturaufgaben, Deniz schafft es dafür, Nadjas Schwermut zeitweise etwas zu erleichtern. Nadja plagt die Lebens- und Liebesangst mehr als andere in der Klasse. Sie liebt und möchte geliebt werden, doch sobald Deniz sich ihr konkret nähert, fürchtet sie, sich selbst oder ihre "Reinheit" zu verlieren. Deniz möchte Nadja in ihrer zerbrechlichen Schönheit beschützen, doch er glaubt dies erst zu können, nachdem sie intim geworden sind und sie sich ihm ganz hingegeben hat.
Lehrer Brenner ist mit Lisa verheiratet, einer erfolgreichen Fotografin. Ihre Karriere bricht ein, als sie von der Zeitung gekündigt wird, für die sie viele Jahre gearbeitet hat. Er glaubt, sie zu unterstützen, indem er ihr passende Gedichte vorliest, weil er grundsätzlich glaubt: "Ein guter Literatursatz, und schon schien der Mensch verwandelt. Darin lag das unergründliche Geheimnis der Literatur." Doch Lisa ist nicht nach literarischen Höhenflügen zumute, sie sucht nach neuen Chancen und einem Partner, der ihr Halt gibt. Zudem irritiert Lisa Brenners Faszination für seine Schülerin. Und diese wächst mit dem zunehmenden Engagement Brenners für Nadja, deren Suizidgefährdung ihm Sorge bereitet.
Deans "falsches Quartett" hat etwas von einer gut durchkomponierten Sonate: Nach der Präsentation der Themen werden diese weiterentwickelt; die Beziehungsfäden werden gesponnen und verwickeln sich in zunehmendem Tempo in der Durchführung bis zum unaufhaltsamen dramatischen Höhepunkt, in der Reprise dann werden die Anfangsthemen auf neue Weise wieder aufgenommen, die Coda vermittelt eine Ahnung von der Zukunft.
Das Stück spielt in einem mit literarischen Anspielungen und märchenhaft archetypischen und psychodynamischen Bildern erweiterten Erlebnisraum. Angefangen beim Gymnasium, das "ausserhalb der Stadt, hinter Linden und Eichen und Buchen verborgen, auf einem Hügel" liegt, über die Namen – bei Nadja etwa klingt auch ein bisschen Aida mit – bis hin zu den Werken, die Lehrer Brenner für seine Klasse auswählt: den Grimm’schen Märchen von der klugen Else oder dem Froschkönig, Gottfried Kellers "Romeo und Julia auf dem Dorfe", Wolfgang Goethes "Die Leiden des jungen Werther", Gotthold Ephraim Lessings "Emilia Galotti", um nur einige zu nennen.
So schafft Martin Dean es immer wieder, über profane Beziehungsprobleme grosse philosophische Fragen und grundlegende Lebensfragen aufzurollen und über starke suggestive Landschafts- oder Szenenbilder den emotionalen Gehalt einfacher Handlungen und Interaktionen fühlbar zu machen. Es ist ein wunderbares Werk, in dem Dean die in früheren Werken dominierende Fabulierfreude zugunsten einer guten Struktur in die Zügel genommen hat, was der Vielschichtigkeit einen tragenden Boden gibt. Eine Liebesgeschichte, die zu einem Klassiker zu werden verdient.
Martin R. Dean: Falsches Quartett. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2014. 278 Seiten, CHF 33.90, EUR 22.00. ISBN 978-3-99027-052-3