Massive Kritik am Internationalen UN-Jahr des Ökotourismus 2002: Die Menschen vor Ort werden das Nachsehen haben
Ende Oktober 2000 hat eine internationale Koalition von indigenen Gemeinschaften, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen – darunter auch akte – die Vereinten Nationen aufgerufen, das für 2002 proklamierte Internationale Jahr des Ökotourismus grundlegend zu überdenken. Die Vorstellung, „Ökotourismus“ könne die Natur schützen und gleichzeitig der Lokalbevölkerung und den Volkswirtschaften im Süden nützen, habe sich in der Praxis nur selten bewahrheitet. Oftmals sind die Einheimischen auch bei dieser Tourismusform mit wirtschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeiten sowie ökologischen Problemen konfrontiert. Die KritikerInnen führen an, dass die Entwicklung von „Ökotourismusprojekten“ in vielen Ländern zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Waldgebiete geführt hat, indem einst entlegene Gebiete für InvestorInnen zugänglich gemacht wurden, was unter anderem illegale Holzfäller, Minenunternehmen und vordringende SiedlerInnen angezogen hat. Die traditionellen BewohnerInnen dieser Naturgebiete – oftmals indigene Gemeinschaften – werden zum Teil von ihrem angestammten Land vertrieben oder verlieren ihr Recht, die natürlichen Ressourcen in den neu entstehenden Naturschutzgebieten weiterhin zu nutzen. Immer häufiger wird zudem über Fälle von Biopiraterie berichtet: Als „ÖkotouristInnen“ getarnte Personen sollen illegal Waldpflanzen sammeln und ausser Landes schmuggeln, die für die Biotechnologie-Industrie von grossem medizinischen Wert sein könnten. Erst vor wenigen Monaten sind drei französische Wissenschafter auf den Philippinen verhaftet worden. Umweltminister Antonio Cerilles sind mehrere Fälle bekannt, in denen natürliche Ressourcen der Philippinen heimlich entwendet und – mittels Patentierung – in den Besitz ausländischer Pharmaunternehmen gebracht wurden. Die Grenzen zwischen „Ökotourismus“ und Bio-piraterie sind oft schwer auszumachen. Die Vermittlung von traditionellem Wissen um Heil-pflanzen macht häufig den besonderen Reiz solcher „Ökoreisen“ aus, die mehrheitlich in die artenreichen Lebensräume indigener Völker führen.
Solange die rechtlichen Rahmenbedingungen und administrativen Mechanismen fehlen, um Missbräuche und Fehlentwicklungen zu verhindern, dürfte es – so befürchten die KritikerInnen – den betroffenen Gemeinden und Ökosystemen mehr Schaden als Nutzen bringen, wenn die „Ökotourismus“-Industrie 2002 weltweit gefördert wird. In einem Brief an den Tourismuskoordinator des UN-Umweltprogramms (UNEP), Oliver Hillel, verlangt eine internationale Koalition von über zwanzig NGOs, dass die UNEP ihr „Ökotourismus“-Engagement grundsätzlich überdenkt und neu ausrichtet, bevor sie mit jeglichen Vorbereitungen für das Internationale Ökotourismusjahr fortfährt. Insbesondere wird bemängelt, dass die UN-Generalversammlung und deren Agenturen 1998 grünes Licht für die Lancierung eines Ökotourismusjahres gegeben hätten, ohne die Natur und Risiken der Ökotourismusindustrie vorgängig abzuklären und Prioritäten und Ziele des Jahres klar zu formulieren. Ausserdem würden indi-gene Gruppen und Organisationen aus Entwicklungsländern nur unzureichend in die laufenden Vorbereitungen einbezogen. Vielen kritischen BeobachterInnen sei aufgefallen, dass nur gewisse Naturschutzorganisationen sowie die „International Ecotourism Society“ eine zentrale Rolle im Vorbereitungsprozess spielen dürften, erklärt Anita Pleumarom vom thailändischen „Tourism Investigation and Monitoring Team“. Doch oft seien es gerade jene Organisationen, die von basisorientierten und indigenen Gruppen stark kritisiert werden, weil sie die Anliegen der Menschen vor Ort ignorierten.
Die Verantwortung für die Organisation der Aktivitäten und Projekte rund um das Jahr übernimmt die UNEP gemeinsam mit der Welttourismusorganisation (WTO). Höhepunkt ist der Weltgipfel des Ökotourismus, der im Mai 2002 in Quebec (Kanada) stattfinden soll. Doch von dem UN-Jahr und der Flut neuer „Ökotourismusprojekte“ werden nur die Tourismusindustrie und Baubranche profitieren, befürchten die KritikerInnen. In vielen Ländern fehlten die nötigen Rahmenbedingungen, um die Entwicklung dieser und anderer Tourismusformen zu untersuchen, zu überwachen und zu kontrollieren. Hinzu kommt, dass die nationalen und lokalen Regierungen im Süden – angesichts der Liberalisierung von Handel und Investitionen – immer weniger Spielraum haben, den Tourismus nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Der naturorientierte Tourismus gilt heute als einer der lukrativsten und am schnellsten wachsenden Nischenmärkte. Die NGO-Koalition befürchtet, dass mächtige transnationale Unternehmen das Internationale Jahr des Ökotourismus nutzen werden, um ihre eigenen Definitionen und Regeln des „Ökotourismus“ zu diktieren, während basisorientierte Initiativen marginalisiert werden. Diese Einschätzung wird von der Weltbankfunktionärin Kreszentia M. Duer geteilt. „Wenn wir keine strategische Position hinsichtlich der Tourismusentwicklung einnehmen (…), werden kleinräumige Bestrebungen eines gemeindebasierten Tourismus immer von den mächtigen Interessen der Grossindustrie und den finanziellen Verlockungen, die sie den RegierungsvertreterInnen anbieten können, überrollt werden“, ist Duer überzeugt. „Ohne planerische Anstrengungen (…) und integrativen strategischen Ansatz wird der gemeindebasierte Tourismus tendenziell weiterhin aus ‘ad hoc’ und unsystematisch ent-wickelten Mikro-Projekten bestehen. Werden diese Herausforderungen nicht direkt angegangen, ist das ‘Internationale Jahr des Ökotourismus’ nicht viel mehr als Rhetorik.“ /frei
Quellen: Environment News Service, 28.11.2000 (http://ens-news.com); „Do We Need the International Year of Ecotourism?“, Anita Pleumarom, 14.11.2000; Brief der NGO-Koalition an die UNEP, 20.10.2000; „Declaring the year 2002 as the International Year of Ecotourism“, 46. UN-Plenarversammlung, 30.7.1998 (www.un.org/documents/ecosoc/res/1998/eres1998-40.htm)
• Weitere Informationen der NGO-Koalition unter: www.twnside.org.sg/tour.htm• Informationen der Welttourismusorganisation unter: www.world-tourism.org