May Sheldon: Bibi Bwana. Weisse Königin des Kilimandscharo
Es braucht schon eine rechte Dosis an Wissensdurst, Abenteuerlust und Mut – um nicht zu sagen Waghalsigkeit –, als erste Frau der Welt eine Expedition von der ostafrikanischen Küste zum Kilimandscharo zu unternehmen. 1891 stellte May Sheldon, eine gebildete Amerikanerin, die in Europa Medizin studiert und Kunstakademien besucht hatte, in Sansibar eine Karawane aus über 150 Einheimischen zusammen und zog von Mombasa aus zu Fuss durch die von Unruhen und Kolonialkriegen erschütterten Gebiete bis zu den Ausläufern des Kilimandscharo. Ihr Ziel war, die verschiedenen Völker auf ihrem Weg und insbesondere im legendären Chaggaland an den Südhängen des Kilimandscharo zu erforschen. Dabei liess sie sich weder durch gut gemeinte Ratschläge von erfahreneren Entdeckungsreisenden, Missionaren, Kirchenleuten oder Sultanen, noch von der Willkür britischer und deutscher Beamter im Dienste der Imperien oder sonstigen Widrigkeiten wie desertierenden Karawanenträgern von ihrem Vorhaben abschrecken. Auch Warnungen vor den Massai vermochten sie nicht zu schrecken und ihre erste Begegnung verlief denn auch überraschend friedlich: Die gefürchteten Nomaden-Kriegern zollten der weissen Frau – wie praktisch alle ihre „Gastgeber“ – grossen Respekt und gaben ihr den Namen „Bibi Bwana“, was etwa soviel heisst wie „Herr Lady“ oder „Frau Anführer“.
Ihre Erlebnisse und Eindrücke schildert May Sheldon auf äusserst spannende, unpathetische Art und Weise. Sie fesselt die Leserschaft auf Anhieb mit ihrer lebendigen Erzählkunst darüber, was so alles zu einer solchen Expedition gehört, wie sie sich dafür ausrüstet, wie sie reist und sich als alleinreisende weisse Frau an Spitze einer solch grossen Karawane auf „safari“ behauptet. Sicher sind viele ihrer Beobachtungen vom kolonialen Zeitgeist geprägt, doch hinterfragt sie auch kritisch die kolonialen Eroberungen und das Verhalten der Kriegsherren der verschiedensten Mächte in Afrika. Mit ihrer Absicht, „etwas Wesentliches zur Verbesserung der Lebensbedingungen und zur Aufklärung der Urbevölkerung Afrikas beizutragen“, ist sie ihrer Zeit gleichermassen auch weit voraus. So war es für sie eine grosse Genugtuung, mit ihrer Expedition bewiesen zu haben, dass eine Begegnung mit Einheimischen nicht zwangsläufig "hohe Schiesspulverkosten“ erforderte und eine Karawane ohne Terror und brutale Gewalt geführt werden kann. Ihr Reisebericht erregte bei seiner Veröffentlichung vor über 100 Jahren grosses Aufsehen. Mit ihrer Wiederentdeckung erst im englischen und nun – dank dem Lenos-Verlag – auch im deutschen Sprachraum erhält sie eine verdiente Ehrung. Schade nur, enthält das vorliegende Buch keine Karten und leider auch keine ihrer Fotografien, widmete sich May Sheldon doch auf ihrer Forschungsexpedition mit Leidenschaft dem damals aufkommenden neuen Medium Fotografie.
Lenos Verlag Basel 2006, 332 Seiten, SFr. 38.-, Euro 22.50, ISBN-13: 978-3857873782