Basel, 23.08.2009, akte/ Umwelt- und Sozialverantwortung der Reisebranche sorgen für Schlagzeilen auf der Frontseite des Tages Anzeigers – das freut. Das Engagement der Reiseveranstalter ist zu würdigen, ihren Einstieg beim Label Travelife als Durchbruch zum verantwortlichen Wirtschaften der Branche zu feiern, scheint bei näherer Betrachtung allerdings reichlich hoch gegriffen. Travelife wirft als Zertifizierungssystem noch einige Fragen auf, vor allem bewertet das Label erst die Leistungsträger, insbesondere die Hotels in den Destinationen, nicht aber die Nachhaltigkeit der Reiseanbieter selbst. 
Nachhaltigkeit des Angebotes muss zum Kriterium beim Buchen werden
Die meisten grossen Reisekonzerne schreiben sich seit vielen Jahren Umweltverantwortung und Nachhaltigkeit auf ihre Fahnen. Dabei haben sie auch einiges an Massnahmen eingeleitet, die mehr als ein "Feigenblatt" sind, wie im Artikel ein "Branchenkenner" wertet. Eigentlich müsste längst selbstverständlich sein, dass die Veranstalter nachprüfen, wie umweltfreundlich und sozialverantwortlich die Hotels aus ihrem Angebot geführt werden, und dies der Kundschaft gegenüber ausweisen. Sie prüfen ja auch andere Angaben wie etwa die Nähe zum Strand eines Hotels oder Standard und Servicequalität, die sie dann als Verkaufsargumente nutzen. Travelife kann den Veranstaltern nun helfen, die Nachhaltigkeit ihrer Leistungsträger in den Zielgebieten zu bemessen. Dabei ist Travelife vorerst auch nur ein weiteres Label im Tourismus, das übrigens so neu auch nicht ist, wird doch schon seit ein paar Jahren mit EU-Geldern daran herumgewerkelt.
Travelife – ein Label aus der Branche mit universellem Anspruch
Im Unterschied zu anderen Labels für Angebote, etwa dem Fair Trade in South Africa-Gütesiegel (FTTSA) oder dem Bündner Steinbock, und anderen Standards mit universellem Anspruch wie den Global Sustainable Tourism Criteria, die aus der Diskussion mit breiten Intressengruppen entstanden sind, wurde Travelife von der britischen Reisebranche lanciert, auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet und zunächst mit sehr bescheidenen Anforderungen ausgestattet. Das mag ein Grund dafür sein, dass bereits so viele grosse Reiseveranstalter und Branchenverbände bei diesem Nachhaltigkeitscheck mitmachen. Seit der ersten Vorlage, die wir vor Jahren begutachtet haben, sind die Kriterien ausgebaut worden und sollen laufend weiter verbessert werden. Travelife hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, als einziger Standard universell von der Branche anerkannt zu werden. Wünschenswert angesichts des bestehenden Label-Salats im Tourismus, meint Andreas Valda vom Tages Anzeiger. Fragt sich, wie die Anbieter in den Zielgebieten das sehen, wenn sie den Standard der Reiseveranstalter – ihren Vertragspartnern, von denen sie ein Stück weit auch abhängen – als einzigen universell gültigen anzuerkennen haben. Selbst wenn Travelife den Anbietern auch den Vorteil bringen kann, dass sie nicht mehr jedem Vertragspartner gegenüber einen separaten Nachhaltigkeitsausweis vorlegen müssen. Können sich kleine Betriebe, die im Tourismus die überwiegende Mehrheit ausmachen und auch die meisten Arbeitsplätze stellen, die Zertifizierung von Travelife auch leisten? Und wie gehen andere Labels mit dem universellen Anspruch von Travelife um. Es gibt doch einige weltweit, die nach lokal spezifischen, mit Interessengruppen vor Ort erarbeiteten Standards vergeben werden, welche den Menschen in den Zielgebieten auch effektiv eine bessere Beteiligung am Tourismus gewährleisten. Travelife empfiehlt auf seiner Website ausgewählte weitere Labels wie etwa das nationale Ecolabel von Costa Rica oder Fair Trade in Tourism South Africa (FTTSA), was aber noch nicht viel darüber aussagt, wie diese Labels bei der Travelife Zertifizierung berücksichtigt werden. Immerhin anerkennt Travelife etliche erprobte Zertifizierungsstellen weltweit, darunter auch FTTSA.
Auf jeden Fall können andere Angebotslabels mit umfassenderen und griffigeren Standards für Travelife Zielvorgaben vorlegen. Denn viele seiner Anforderungen, wie etwa die im Tages Anzeiger aufgeführten sozialen Kriterien zu Zwangsverträgen oder Kinderarbeit, gehen noch kaum über das hinaus, was gesetzlich sowieso vorgeschrieben ist. Vom Fairen Handel sind sie meilenweit entfernt. Dass die gesetzlichen Vorschriften im Tourismus – sei es im Umweltbereich oder bei den Arbeitsverhältnissen – so schlecht eingehalten werden, weist auf die abgrundtiefen Missstände im Tourismus hin. Doch auch in dieser Branche kann ein Label ein Unternehmen ja nicht dafür auszeichnen, dass es die Gesetze einhält, sondern nur für das, was es darüber hinaus macht.
Wenn Reisende wissen wollen, was das Travelive-Label ihnen garantiert
Labels dienen ja eigentlich zur Orientierung der Kundschaft. Wer sich aber als Reisender auf der Website von Travelife eingehender über Kriterien und Verfahren des Labels schlau machen will, erhält viele gute Absichtserklärungen, ein paar holländische Medienmitteilungen und, wenn er sich mühsam registriert, auch noch viel Werbung für zertifizierte Unternehmen. Sich durch das einzige, für Nicht-Profis zugängliche Dokument – ein Handbuch für Anbieter in den Destinationen aus dem Jahr 2006 – durchzukämpfen, erfordert von interessierten Reisenden schon sehr viel Stehvermögen! Die Referenzen im Travelife-Handbuch auf die für Corporate Social Responsibility (CSR) wesentlichen Grundsatzdokumente sind sehr summarisch gehalten. So wird nicht ersichtlich, wie international gültige Normen, etwa die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), oder andere Vorgaben für CSR wie die OECD-Guidelines bei Travelife zum Tragen kommen – diese Referenzen werden gar nicht speziell erwähnt. Unklar bleibt auch, wie Anforderungen bei Travelife berücksichtigt werden, die längst zur Grundausstattung eines umwelt- und sozialverträglichen Unternehmens im Tourismus gehören wie etwa die Kompensation von CO2 und weiteren Treibhausgasen oder die Ratifizierung des Verhaltenskodex der Branche zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung. Das ist hoffentlich bloss dem veralteten Jahrbuch zuzuschreiben.
Weiter geht aus den für Nicht-Profis zugänglichen Informationen auf der Website von Travelife auch nicht hervor, welche Ziele mit welchen Zielvorgaben (Indikatoren, Benchmarks etc.) für die Zertifizierung und den Erhalt des Labels bemessen werden. Und wer genau diese ausgebildeten AuditorInnen sind, welche die Einhaltung der Standards überprüfen. Gemäss Tages Anzeiger sind zwei Auditorinnen von Kuoni in Ägypten unterwegs – das kann ja wohl nur ein Missverständnis sein? Ein Label, von der Branche für die Branche geschaffen, das sich auch noch selber kontrolliert? Chefredakteur Res Strehle legt in seinem Kommentar im Tages Anzeiger den Finger auf den wunden Punkt der Kontrolle: Nur ein strenges und unabhängiges Monitoring macht Travelife auch glaubwürdig.
Die Hotels werden auf Nachhaltigkeit überprüft – und die Reiseveranstalter?
Optimierungspotenzial ist also bei Travelife durchaus vorhanden, sein Ansatz indessen bleibt klar begrenzt: Mit Travelife weisen die Reiseveranstalter erst die Nachhaltigkeit ihrer Angebote aus, nicht aber ihres eigenen, gesamten Wirtschaftens: Die Umweltbilanz des Unternehmens, die Arbeitsbedingungen im Reisebüro, die Beziehungen zu allen Partnern in Quell- und Zielmärkten, die Information der Reisenden und nicht zuletzt der transparente Ausweis aller Nachhaltigkeitsbemühungen des Unternehmens gegenüber der Öffentlichkeit – das sind die Eckpunkte, die ein CSR-Management eines Reiseveranstalters erst glaubwürdig machen. Wie diese Vorgaben gerade auch von kleinen Reiseanbietern erfüllt werden können, zeigt das Verfahren für Nachhaltigkeitsberichterstattung und Zertifizierung, das der deutsche Dachverband kleiner und mittelständischer Reiseveranstalter Forum anders reisen in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft entwickelt hat. Übrigens wirken auch kleinere Veranstalter aus der Schweiz beim Forum anders reisen mit und stehen in den Startlöchern für die erste Nachhaltigkeitsberichterstattung. Forum anders reisen wird auf der Travelife Website als Partner der Zusammenarbeit in Deutschland aufgeführt – der CSR-Beauftragte vom Forum anders reisen, Rolf Pfeifer, hält allerdings gegenüber fairunterwegs fest, dass Forum anders reisen nicht mit Travelife zusammenarbeitet, da sich das System bisher nur für Grossveranstalter eignet.
Der Nachhaltigkeitscheck der Hotels, wie ihn Travelife anbietet, ist nur ein Bestandteil des Engagements eines Reiseunternehmens, das sich effektiv zur gesellschaftlichen Verantwortung bekennt. Bei Travelife müssen sich die Hotels auf Herz und Nieren prüfen lassen und die Kosten für die Zertifizierung tragen. Das Label im Katalog verhilft indessen den Reiseveranstaltern zu einem verantwortlichen Image. Und wer stellt dabei sicher, dass sie in den Verhandlungen mit ihren Vertragshotels die Preise nicht weiter so drücken, dass kaum mehr Geld vor Ort bleibt, um die geforderte Qualifizierung und Zertifizierung vorzunehmen? Ein Reiseunternehmen muss sich künftig auch daran messen lassen, welche Massnahmen es neben Travelife noch einleitet, um seine gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Die kritische Beobachtung der Medien ist dabei unerlässlich, damit die Reisenden, die Rücksicht auf Mensch und Natur nehmen möchten, beim Buchen auch eine kundige und verantwortliche Wahl treffen können.
Tages Anzeiger 21. August 2009: Bald ist Schluss mit dem Hotel-Label-Salat
sowie Das Gewissen hat keine Ferien

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Websites von Travelife: www.travelife.eu/ und www.its4travel.com/