Menschenrechte als Kompass nutzen
Südwind-Magazin: Wenn man vom Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit hört, denkt man zuallererst, es ginge darum, Menschenrechte im jeweiligen Partnerland zu fördern. Ist das wirklich alles?
Pernille Brix Jørgensen: Es bedeutet vielmehr, die Verantwortung zurückzugeben an die Akteure der Entwicklung, nämlich die Regierungen im Süden. Und es geht darum, den Menschen dort die Fähigkeit zu geben, ihre Rechte einzufordern. Wir reden dabei von allen Menschenrechten – von bürgerlichen und politischen Rechten wie von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Es macht keinen Sinn, ein Menschenrecht zu fördern und das andere nicht. Ein Beispiel: Es ist gut, wenn man Meinungsfreiheit hat. Aber wenn man nicht lesen und schreiben kann, wird es schwer, dieses Recht auszuüben.
Theorien und Strategien der EZA haben sich über die letzten Jahrzehnte schon dutzende Male geändert. Was macht das Besondere am Menschenrechtsansatz aus?
Was daran wirklich anders ist, ist, dass das Ziel lautet, über Armutsreduktion hinauszugehen. Wir haben damit ein Instrument, das uns erlaubt, Machtbeziehungen und strukturelle Ungleichheiten, die die Ursache von Armut sind, anzugehen.
Was sind die Grundprinzipien des Menschenrechtsansatzes in der EZA?
Sehr wichtig ist der Grundsatz des Empowerments, der Ermächtigung. Jene, die Rechte haben und jene, die die Pflicht haben, Rechte zu schützen – wie etwa Regierungsinstitutionen –, sollen ermächtigt werden, eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Daneben lauten unsere vier Prinzipien Teilhabe, Nicht-Diskriminierung, Transparenz und Rechenschaftspflicht.
Können Sie ein ganz konkretes Beispiel geben, was der Menschenrechtsansatz in der Praxis bedeutet?
Wir machen in jedem Land eine Bewertung der Menschenrechtslage. Davon ausgehend filtern wir die wichtigsten Menschenrechtsfragen heraus und schauen, wo wir etwas bewirken können. Wir bauen diese Erkenntnisse in alle unsere Programme in allen Sektoren ein. Wenn wir etwa Programme im wirtschaftlichen Bereich haben, werden wir uns auf die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen beziehen. Ab jetzt wollen wir die Menschenrechte als Kompass nutzen, der uns durch alle Massnahmen in allen Sektoren führt. In jedem Sektor sehen wir uns an: Wie tragen unsere Massnahmen dazu bei, dass Menschenrechte gefördert werden?
Auch, wenn Sie etwa ein Abwasserprojekt durchführen?
Das kann sehr gut mit dem Recht auf Gesundheit verbunden werden.
Wie weit hat sich der Menschenrechtsansatz in der dänischen EZA durchgesetzt? Ist Dänemark ein Vorbild in Europa?
Der Ansatz ist eigentlich sehr neu für uns, weil wir unsere neue Strategie – sie heisst "Recht auf ein besseres Leben" – erst seit einem Jahr haben. Aber innerhalb dieses Jahres haben wir uns sehr gezielt bemüht, interne Richtlinien und Lernmaterialien zu entwickeln. Immer, wenn wir ein neues Programm starten, prüfen wir, ob es dem Menschenrechtsansatz entspricht. Es gibt andere Länder wie Schweden und Deutschland, die schon viele Jahre daran arbeiten und viel Expertise aufgebaut haben. Wir hoffen auch, dass auf EU-Ebene noch mehr geschieht, um den Menschenrechtsansatz zu fördern.
Wo steht Österreich in Bezug auf den Menschenrechtsansatz in der EZA?
Hier ist schon viel fundierte Grundarbeit geschehen. In einer grossen, lange bestehenden Organisation einen neuen Ansatz durchzusetzen, ist nicht immer einfach. Österreich ist aber sicher einer der Partner, mit denen wir in Zukunft bei dem Thema zusammenarbeiten werden.
Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Einführung des Menschenrechtsansatzes?
Die grösste Hürde ist wohl, dass der Ansatz nicht sehr bekannt ist. Wenn er nicht gut erklärt wird, verwechseln ihn die Leute vielleicht mit einfachen Menschenrechtsprojekten. Zu erklären, worum es dabei wirklich geht und was dieser Ansatz verändern kann, ist daher sehr wichtig.
Kann der Menschenrechtsansatz auch etwas daran ändern, wie Menschen in Geberländern wie Österreich oder Dänemark den globalen Süden sehen?
Ja. Der Menschenrechtsansatz verändert etwas in unseren Köpfen. Wir sehen nicht mehr Menschen, die in Not sind, sondern aktive Bürgerinnen und Bürger. Trägerinnen und Träger von Rechten, die selbst über ihr eigenes Leben und die Entwicklung ihres Landes entscheiden.