
Menschenrechte – Herausforderung für Entwicklungszusammenarbeit
Vor 65 Jahren hat die UNO-Vollversammlung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Damit wurden die Staaten in die Pflicht genommen, diese wesentlichen, individuellen Rechte jedes Menschen zu respektieren, zu schützen und umzusetzen. Die Menschenrechte gelten als angeboren, unverletzlich, unveräusserlich und unabhängig von Staatsangehörigkeit, Religion, Geschlecht oder Ethnie.
Trotz ihrer universalen Gültigkeit werden die Menschenrechte weltweit immer wieder verletzt. Auch nicht staatliche Organisationen, die in der Entwicklungszusammenarbeit, die eine Form des internationalen Handelns darstellt, tätig sind, haben sich dem Referenzrahmen der Menschenrechte verpflichtet. Bei den meisten Hilfsorganisationen sind die Menschenrechte in den Werten und Grundüberzeugungen verankert – auch bei den kirchlichen Werken. So steht im Jahresbericht des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) von 1947 – ein Jahr vor Verabschiedung der UN-Erklärung – geschrieben: "Der Mensch wurde als Ebenbild Gottes geschaffen. Jeder Flüchtling und jede bedürftige Person besitzt eine angeborene und unanfechtbare Würde." Zwar war die Kirche den Menschenrechten gegenüber ursprünglich eher kritisch eingestellt, da es sich nicht um explizit religiöse, sondern allgemein gültige, politisch verankerte Werte handelt. Wohl aber basieren die Menschenrechte auf den Grundgedanken der jüdischen und christlichen Tradition unter Einbezug weiterer Religionen.
Basis der Entwicklungsarbeit
Der menschenrechtsbasierte Ansatz oder Human Rights Based Approach (HRBA), wie er in der Fachsprache genannt wird, ist für die Entwicklungszusammenarbeit von zentraler Bedeutung, weil er darauf abzielt, die Probleme an der Wurzel anzugehen und in einem partizipativen Prozess mit den benachteiligten oder hungernden Bevölkerungsgruppen zu bekämpfen. Armut, Hunger oder Unterdrückung sind keine unglücklichen Fügungen des Schicksals, sondern haben ihre Ursachen oft in der Rechtssetzung und -umsetzung, der Sozial- und Wirtschaftspolitik eines Landes. Die rechtlich verankerten Ansprüche der Menschen vor Ort dienen bei diesem Ansatz als Ausgangspunkt für den gesellschaftlichen Wandel, den es für eine Entwicklung braucht.
Menschen haben Rechte
Beim HRBA handelt es sich um einen langfristigen Ansatz und es müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, damit von Menschenrechtsverletzungen betroffene oder bedrohte Gruppen in der Lage sind, etwas gegen die vorherrschende Unrechtssituation zu unternehmen. Wer Hunger leidet, braucht in erster Linie Nahrung, wer an Leib und Leben bedroht ist, Schutz und Sicherheit. Die Linderung akuter Not ist also Voraussetzung für Menschenrechtsarbeit. Arme oder hungernde Menschen dürfen aber nicht als passive Almosenempfängerinnen und -empfänger gesehen werden, sondern als Individuen und Gruppen mit Rechtsansprüchen. Als zentraler erster Schritt gilt es, diese Menschen über ihre Rechte zu informieren. Weiter werden, um der Einforderung ihrer Rechte genügend Gehör zu verschaffen, benachteiligte Bevölkerungsgruppen in Netzwerken zusammengebracht und strategische Allianzen mit spezialisierten Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene gebildet. Sämtliche koordinierten, strategischen Aktivitäten, die dahin führen, Menschen in einem langfristigen, zielorientierten Prozess bei der Einforderung spezifischer Rechte zu unterstützen und die zuständigen Stellen – oft Regierungen und Verwaltungen – in die Verantwortung zu nehmen, werden unter dem Begriff Advocacy zusammengefasst. Advocacy ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil des menschenrechtsbasierten Arbeitsansatzes.
Mächtige haben Pflichten
Der menschenrechtsbasierte Ansatz richtet sich nicht nur an Menschen mit Rechtsansprüchen, sondern bezieht immer auch die Trägerinnen und Träger von Rechtspflichten mit ein – etwa den Staat und seine jeweiligen Institutionen. Dabei geht es nicht primär um die Ausübung von Druck, sondern vor allem auch darum, einflussreiche Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu sensibilisieren oder sie bei der Umsetzung ihrer Rechtspflichten zu unterstützen. Neben den gesetzlich verankerten Rechten wie etwa dem Recht auf Nahrung oder körperliche Unversehrtheit existieren auch moralische Rechte. Diese gelten in der Regel nur für eine bestimmte Gruppe und sind oft aus Traditionen oder religiösen Ansichten heraus entstanden. Dennoch bestimmen sie das Leben der Betroffenen oft viel stärker als das geschriebene Gesetz.
Die AkteurInnen der Entwicklungszusammenarbeit müssen unter Berücksichtigung der Relevanz für die Begünstigten entscheiden, welche Rechte von grösster Dringlichkeit sind und wo der Hebel für die Advocacy- und Menschenrechtsarbeit im jeweiligen soziopolitischen Kontext am effektivsten in Bewegung gesetzt werden kann. Dies begründet allerdings keinen Kulturrelativismus; in Fällen, in denen die traditionellen Wertesysteme den Menschenrechten widersprechen – wie etwa bei Frauenrechten – haben die Menschenrechte in jedem Fall Vorrang.
Hilft in Konfliktsituationen
Der menschenrechtsbasierte Ansatz wird häufig erfolgreich in der Konfliktbearbeitung eingesetzt. Die Vorteile der Kombination von Konfliktbearbeitungsansätzen und HRBA zeigen sich zum Beispiel, wenn in einer Konfliktsituation durch Menschenrechtsarbeit das gegenseitige Verständnis der Konfliktparteien gefördert werden kann und dadurch eine erstmalige Beruhigung der Lage bewirkt. So hat HEKS diesen kombinierten Ansatz im Rahmen von Trainingsprogrammen in Simbabwe und Bangladesch geprüft. Beide Male konnte gemeinsam mit den Teilnehmenden ein kreativer Handelsplan für die Weiterführung der Friedensprojekte ausgearbeitet werden. Es ist klar, dass es weitere Folgemassnahmen braucht, um das Potenzial dieser Arbeitsweise voll auszuschöpfen. Aber auch hier gilt, wie immer in der Entwicklungszusammenarbeit: Kaum ein Lösungsansatz ist von vornherein der richtige. Es ist in jedem Fall abzuklären, welche Strategie oder welcher Ansatz den Begünstigten den grössten Vorteil bringt.
Una Hombrecher ist Beauftragte für Frieden und Konflikttransformation bei HEKS.