Menschenrechte in der Klimapolitik: Unerklärliche Kehrtwende der Schweiz
Im vergangenen Jahrzehnt ist eine neue menschenrechtliche Notwendigkeit entstanden: der Schutz der Menschenrechte im Kontext der Umweltzerstörung.
Durch die zunehmende Umweltverschmutzung und Beeinträchtigung der Ökosysteme hat der Konflikt um die Grundrechte wie den Zugang zu Trinkwasser und Nahrung oder das Recht auf bestmögliche Gesundheit an Schärfe gewonnen. Ausserdem gehören Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit Umweltfragen heute zu den massivsten und gewaltsamsten ihrer Art (Landraub, Abholzung, Verletzungen durch die Rohstoffindustrie, um nur einige Beispiele zu nennen). Dies stellen Menschenrechtsorganisationen vor Ort fest.
Aus Sorge über diese Entwicklung legte die Schweiz dem UNO-Menschenrechtsrat zusammen mit einigen wenigen Ländern eine Resolution für Menschenrechte und Umwelt vor, welche zur Ernennung eines Sonderberichterstatters führte, dessen Tätigkeiten heute als Referenz gelten.
Ein Bewusstsein für die bestehenden Herausforderungen bekundete die Schweiz auch mit ihrem Engagement für eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Grundrechte, bspw. das Recht auf Trinkwasser, im Rahmen der SDGs, nach denen sich heute die gesamte Entwicklungspolitik ausrichtet.
Widersprüchliche Haltung in den Klimaverhandlungen
Dennoch weist der Ansatz der Schweiz noch gewichtige Widersprüche auf. Sie wurden beispielsweise bei den Klimaverhandlungen sichtbar. Die Vorbereitungssitzungen zum Pariser Abkommen fanden vorwiegend in Bonn statt, wo das Sekretariat der Klimarahmenkonvention der UNO (UNFCCC) seinen Sitz hat. Im Februar 2015 wurde jedoch eine entscheidende Sitzung in Genf abgehalten. Während der Eröffnungsrunde erklärte die Schweiz, Menschenrechts-, Gesundheits- und Geschlechtergleichstellungsfragen sollten nicht bei den operativen Bestimmungen des zukünftigen Pariser Abkommens aufgeführt werden. Das war eine böse Überraschung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Versammlung in Genf genau gegenüber dem Menschenrechtssaal abgehalten wurde. Hatte die Schweiz zuvor ihr ganzes diplomatisches Gewicht für die Schaffung des neuen Menschenrechtsorgans eingesetzt, verfolgte sie nun, da das Thema Menschenrechte von mehreren Ländern des Südens, insbesondere aus Lateinamerika, vorgebracht worden war, einen widersprüchlichen Kurs.
Diese Dissonanz im eigenen Auftreten führte die Schweiz während der gesamten Verhandlungen weiter, bis zur UNO-Klimakonferenz im Dezember 2015 in Paris: Die Schweiz weigerte sich, der Staatenkoalition beizutreten, welche sich für die Verankerung des Schutzes der Grundrechte im operativen Teil des Abkommens einsetzte. Sie befürwortete einzig dessen Integration in die Präambel, wodurch die Bedeutung erheblich geschwächt wurde. Dies ist nun bei den Verhandlungen über die Umsetzung des Abkommens deutlich spürbar.
Entgegen ihren eigenen Verpflichtungen zur Achtung des internationalen Völkerrechts blieb die Schweiz der Gruppe von Ländern fern, welche forderte, dass der Klimaschutz nicht auf Kosten der Grundrechte der betroffenen Personen gehen dürfe.
Klimaschutz nicht auf Kosten der Grundrechte
Dabei handelt es sich bei der Problematik um alles andere als reine Rhetorik. Die durch anthropogene Treibhausgasemissionen verursachte Verschärfung der Klimasituation führt dazu, dass vor Ort immer mehr Menschen einen erschwerten Zugang zu Trinkwasser oder genügend Nahrung haben. Ausserdem ziehen die Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels in zahlreichen Fällen Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsumsiedlungen oder die Unterdrückung der kulturellen Rechte nach sich.
Die Frage der menschenrechtlichen Kohärenz ist also von grundlegender Bedeutung, wenn die Politik zur Bekämpfung des Klimawandels vor Ort die erwünschten Auswirkungen haben und die Bevölkerung schützen soll. Andernfalls untergraben die in einem Bereich getroffenen Massnahmen diejenigen eines anderen. Die Grundrechte dürfen nicht zu einer Variablen werden, die je nach Umständen angepasst wird.
Neue Gefässe für echte Kohärenz schaffen
Allerdings verwundert es nicht, dass in neu entstandenen Politikfeldern eine gewisse Zeit nötig ist, bis die Praxis der Institutionen an Kohärenz gewonnen hat – insbesondere, wenn üblicherweise getrennte Themen miteinander in Verbindung gebracht werden müssen. Es braucht also neue Gefässe, um mit den betroffenen Sektoren und Akteur_innen über die transversalen Herausforderungen zu diskutieren und schrittweise eine echte Kohärenz sicherstellen zu können.
Damit könnte die Schweiz den Widerspruch vermeiden, ihr Engagement für die Menschenrechte in gewissen Politikbereichen als Basis ihrer Aussenpolitik hervorzuheben, während sie in anderen Zurückhaltung übt und sich in die Reihe der zaghaften oder sogar passiven Staaten stellt, als ob die Menschenrechte urplötzlich zweitrangig wären. Die Schweiz kann sich nicht erlauben, den Eindruck der Doppelzüngigkeit zu erwecken.