Alle Beteiligten im Tourismus müssen ihren Verpflichtungen entsprechend dem inter­nationalen Menschenrechtsrahmen nachkommen. Die Studie "Alles was Recht ist. Menschenrechte und Tourismus" der Fachstelle Tourism Watch in Zusammenarbeit mit dem arbeitskreis tourismus & entwicklung* beinhaltet unter anderem Empfehlungen an die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO). Vor diesem Hintergrund fragte Tourism Watch UNWTO-Generalsekretär Taleb Rifai nach den Bemühungen und Möglich­keiten seiner Organisation, ihre Mitglieder dazu anzuhalten, die Rechte der Menschen in den touristischen Zielgebieten und der Mitarbeiter in der Tourismusbranche voll­umfänglich zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Taleb Rifai stammt aus Jordanien und ist seit Januar 2010 Generalsekretär der UNWTO. Die UNWTO mit Sitz in Madrid hat seit 2003 den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen.
TW: Welche Rolle spielt der Schutz und die Förderung der Menschenrechte im Tourismus bei der Arbeit der UNWTO?
Taleb Rifai: Der Schutz und die Förderung der Menschenrechte ist der Grundstein, auf dem die Arbeit der UNWTO aufbaut. Artikel 3 unserer Statuten erklärt ausdrücklich, dass das wesentliche Ziel der UNWTO darin besteht, "den Tourismus zu fördern und zu entwickeln, um zu wirtschaftlicher Entwicklung, Völkerverständigung, Frieden, Wohlstand und dem universellen Respekt und der Achtung der Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten aller Menschen beizutragen, ohne Unterschiede hinsichtlich Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion."
Das zentrale Leitdokument der UNWTO, der Globale Ethikkodex für den Tourismus ("Global Code of Ethics for Tourism" – GCET)**, ist im Wesentlichen ein "Fahrplan" zur Entwicklung und Umsetzung von verantwortlichem und nachhaltigem Tourismus. Er basiert auf den gleichen Standards für Integrität, gegenseitigen Respekt und Menschenwürde, die auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind. In Artikel 2.2 wird betont, dass touristische Aktivitäten die Menschenrechte fördern sollten, insbesondere die Rechte der "sensibelsten Gruppen". Artikel 8.1 fordert, alle Touristen sollten sich frei und ohne Diskriminierung bewegen können, entsprechend Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Artikel 7.1 und 7.2 besagen, dass das universelle Recht auf Tourismus als Folge des Rechts auf Erholung und Freizeit angesehen werden müsse, das in Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiert wird.
Vor diesem Hintergrund ist die Förderung der Menschenrechte durch den Global Code of Ethics für die Arbeit unserer Organisation von grundlegender Bedeutung. Die UNWTO gibt sensiblen Gruppen besondere Priorität: dem Schutz von Kindern vor allen Formen von Ausbeutung im Tourismus, der Gleichheit, Stärkung und Förderung von Frauen und der Ermöglichung des Zugangs zu touristischer Infrastruktur und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen, für Ältere und für wirtschaftlich und sozial Benachteiligte.
Einige dieser Themen wurden in der Organisation auf die höchste Ebene gehoben. Ein Beispiel ist die Erklärung über die Erleichterung des Reisens, die 2009 auf der 18. Generalversammlung der UNWTO verabschiedet wurde. Diese Erklärung beinhaltet zwei Punkte für Menschen mit Behinderungen und Menschen, die mit HIV leben. Sie beziehen sich auf die Notwendigkeit, bestehende Hemmnisse beim Reisen abzubauen. Um weltweit mehr Bewusstsein für die Bedeutung dieser Themen zu schaffen, hat die UNWTO kürzlich die "Ulysses Awards" in der Kategorie Innovation in Nichtregierungsorganisationen an zwei Projekte verliehen, durch die ein barrierefreier Tourismus gefördert werden soll.
Zudem setzt sich die UNWTO für mehr und mehr Wachsamkeit ein, um sicherzustellen, dass das kulturelle Erbe und die kulturellen Rechte der Bevölkerung geschützt werden, insbesondere auch ihr immaterielles Erbe. Wir setzen uns für Verantwortlichkeit der Reisenden ein, sich bewusster und gewissenhaft zu verhalten, um zu verhindern, dass sie absichtlich oder unabsichtlich die Rechte der Gemeinschaften vor Ort verletzen.
In unserer Studie fordern wir die UNWTO unter anderem dazu auf, Staaten und Unternehmen dazu anzuhalten, ihren menschenrechtlichen Pflichten im Tourismus besser nachzukommen. Unter anderem empfehlen wir, die UNWTO solle eine "due diligence"-Beratung für ihre Mitglieder anbieten. Was halten Sie davon und wie könnte eine solche Menschenrechtsberatung in der Praxis aussehen?
Taleb Rifai: Wir beraten unsere Mitgliedsstaaten, die Menschenrechte im Tourismus zu achten, indem wir sie dazu anregen, die Prinzipien des Global Code of Ethics in ihren jeweiligen Ländern in die Praxis umzusetzen. Obwohl der Ethik-Kodex, der einstimmig beschlossen wurde, freiwillig und rechtlich nicht bindend ist, beinhaltet er doch eine moralische Verpflichtung für alle UNWTO-Mitgliedsstaaten. Den Kodex einzuhalten und seine Bestimmungen umzusetzen wird daher als moralischer Imperativ für unsere Mitglieder gesehen.
Wir überwachen die Umsetzung des Kodex genau und berichten darüber an die Generalversammlung der UNWTO und an die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Damit geben wir Staaten, die sich – wie im Code of Ethics angeregt – für die Menschenrechte einsetzen, erhöhte Prominenz und mehr Anreize, ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen im Tourismus zu erfüllen.
Was die moralische Verpflichtung des Privatsektors angeht, die Achtung der Menschenrechte sicherzustellen, so ruft die UNWTO Unternehmen zu einer auf gesellschaftliche Verantwortung (Corporate Social Responsibility – CSR) ausgerichteten Unternehmenspolitik auf, die über die traditionelle Idee der Philanthropie und über die auf "doing-no-harm” konzentrierten Geschäftsstrategien hinausgeht. Diese Vorstellungen wurden durch das Konzept "doing good by doing well” ersetzt, was soviel heisst wie Gutes zu tun, indem man seine Arbeit (d.h. das Kerngeschäft) gut macht. Auf Unternehmensebene bedeutet dies verantwortliche Geschäftspraktiken, die nicht nur mit nationalen Regelungen und freiwilligen Normen in Einklang stehen. Dazu gehören auch Investitionen in die Gemeinschaften, Förderung des Unternehmertums, Schaffung von Arbeitsplätzen, Entwicklung von Humankapital und – was von zentraler Bedeutung ist – die Achtung der Menschenrechte. In dieser Hinsicht fördern wir CSR auf eine Art und Weise, die einer "due diligence”-Beratung sehr nahe kommt.
Ist das "Weltkomitee für Tourismusethik" ein ausreichend geeigneter Mechanismus, um die Einhaltung der Menschenrechte im Tourismus zu gewähr­leisten und die Perspektiven Betroffener in den touristischen Zielgebieten ernst zu nehmen? Wie funktioniert das?
Taleb Rifai: Das Weltkomitee für Tourismusethik wurde von der Generalversammlung der UNWTO eingerichtet, um den Global Code of Ethics bekannt zu machen, seine Umsetzung zu überwachen und um eventuell auftretende Streitigkeiten zu schlichten. Das Komitee besteht aus sieben Mitgliedern aus dem öffentlichen und privaten Sektor, gewählt von den Mitgliedstaaten und Territorien. Darüber hinaus hat es vier affiliierte Mitglieder, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, Bildungsinstitutionen und Nichtregierungsorganisationen vertreten. Die Mitglieder des Komitees stammen aus allen Teilen der Welt. Es wird sichergestellt, dass alle Regionen vertreten sind. Das Komitee berichtet hinsichtlich der Umsetzung des Global Code of Ethics direkt an die Generalversammlung der UNWTO und regelmässig an die Generalversammlung der Vereinten Nationen.
Das Komitee ist kein allumfassender Mechanismus, der für sich allein genommen die Achtung der Menschenrechte gewährleisten könnte. Vielmehr ist es ein beratendes Gremium, das ethische Anliegen analysiert. Es will ein Bewusstsein für die Prinzipien des Ethik-Kodex schaffen und dessen Umsetzung fördern, um nachhaltigen, verantwortlichen und vor allem respektvollen Tourismus zu entwickeln. Seit 2004 hat das Komitee ein breites Spektrum an ethischen Fragen diskutiert, wie zum Beispiel Solidarität im Tourismus im Falle von Naturkatastrophen, Reisebeschränkungen aufgrund von HIV, barrierefreien Tourismus für Menschen mit Behinderungen, den Schutz von Kindern vor allen Formen von Ausbeutung im Tourismus, die wirtschaftliche Stärkung von Frauen durch Tourismus, die ethischen Aspekte der Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise und der H1N1-Grippe auf den Sektor, etc. Das Komitee kann auch von einzelnen Interessengruppen zu spezifischen ethischen Fragen konsultiert werden, die in direktem Zusammenhang mit dem Tourismus stehen.
* Alles was Recht ist – Menschenrechte und Tourismus. Hg. Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) Tourism Watch in Zusammenarbeit mit dem arbeitskreis tourismus & entwicklung, Basel; Bonn, 2011.
** Globaler Ethikkodex für den Tourismus (pdf). Hg. Welttourismusorganisation (UNWTO). Deutsche Übersetzung, Bundeswirtschaftsministerium (BMWi)