Mentoren mit Lebenserfahrung
"Für mich ist das eine der innovativsten Formen von Partenerschaft, von dem sowohl der Vermittler des Know-how-Transfers wie der Empfänger profitieren können", schwärmt Khem Lakai. Er ist Gründer und Leiter der Tourismus- und Gastronomiefachschule GATE in Kathmandu (Nepal) und langjähriger Kunde des SEC-Programms von Swisscontact. Was er besonders schätzt: Nicht Hochschulstudium oder Zeugnisse zeichnen diese Fachleute aus, sondern Lebens- und Berufserfahrung. "Die Tatsache, dass diese pensionierten Experten bereit sind, ihr Wissen und ihre Weisheit mit uns zu teilen, beeindruckt und motiviert unsere jungen Leute", sagt Lakai. Menschen, wie etwa der Gastronomie-Fachmann Alfred Gafner seien Vorbilder, die selber mitanpackten und vorlebten, was sie dozieren. Das ist man sich in Nepal nicht gewohnt. Alfred Gafner seinerseits, der seit 2010 rund ein Dutzend Einsätze in Nepal absolviert hat, meint: "Ich frage mich nach jedem Einsatz, wer mehr profitiert habe: Die SchülerInnen und Restaurantbesitzer, die ich beraten habe – oder ich selber. Solch vielseitige Herausforderungen gibt es sonst nirgends."
Begehrte Betriebsberater
Das Senior Expert Corps von Swisscontact vermittelt seit 1979 Berater aus der Schweiz, die als Freiwillige im Rahmen von zwei- bis maximal 12-wöchigen Einsätzen kleine und mittlere Betriebe sowie auch Institutionen beraten. Gegenwärtig verfügt es über einen Expertenpool von rund 700 pensionierten Fachleuten. Die Einsatzkosten werden beim ersten Mal vollständig von Swisscontact übernommen, die Unternehmen müssen einzig für Kost und Logis der Experten aufkommen. Finanziert werden die Vermittlungen und Engagements von Swisscontact aus DEZA-Beiträgen und Spendengeldern. Bucht ein Betrieb einen oder mehrere Nachfolgeeinsätze, was oft sinnvoll ist, muss er – im Rahmen seiner Möglichkeiten – seinerseits einen finanziellen Beitrag leisten.
2015 vermittelte Swisscontact 152 SEC-Einsätze, davon 42 in Nepal. Die Nachfrage sei gross, sagt Neeraj Singhal, SEC-Koordinator in Kathmandu. Die meisten seiner rund 500 Kunden sind kleine und mittlere Unternehmen, die sonst keinen Zugang zu Betriebsberatern hätten, schon gar nicht zu internationalen Experten, die sie sich auch nicht leisten könnten. Die Fachleute aus der Schweiz würden mit ihren kurzen, konzentrierten Beratungsmandaten, viel bewegen, ist Singhal überzeugt: "Sie bringen neue Ideen und ermöglichen den Unternehmen, jenseits der ausgetretenen Pfade Neues zu denken und zu erproben." Nicht immer stimme allerdings die Chemie zwischen den Experten und den einheimischen Unternehmern – ab und an komme es sogar vor, dass ein Einsatz deswegen abgebrochen werde. Er weiss aber auch Geschichten von langjährigen Freundschaften und privatem Engagement von Experten, die über das eigentliche Mandat hinausgehen.
Unterschiedliche Bedürfnisse
Auch Willy Hugelshofer, seit 2003 als Spezialist für industrielle Milchverarbeitung für das SEC im Einsatz, pflegt den Kontakt mit seinen Kunden auch nach Abschluss er jeweiligen Einsätze. Die Unternehmerin, die er vor Jahren beim Aufbau ihres Molkereibetriebs in Rumänien unterstützt hat, musste in der Zwischenzeit diversifizieren: Weil die einheimische Produktion von Sauermilch seit dem EU-Beitritt gegenüber der billigeren Sauermilch aus Deutschland keine Chance mehr hat, baute sie sich ein zusätzliches Standbein mit einer Reihe von Cafés auf. "Eine geschäftstüchtige Frau, die weiss, wie man mit Geld und mit Leuten umgeht", sagt Hugelshofer voller Respekt. Der ehemalige Mitarbeiter des Forschungs- und Entwicklungszentrums von Nestlé in Konolfingen bezeichnet die SEC-Einsätze als "guten Kontrast" zu den Erfahrungen, die er während seines Berufslebens gemacht hat: Mehr als berufliches Fachwissen zähle die Offenheit für Improvisation. Oft müsse man Lösungen für grundlegende Probleme finden, was angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen und mangelnder finanzieller Mittel für viele Unternehmer schwierig sei.
Die Beiträge der erfahrenen Berufsleute richten sich nach den Bedürfnissen der Unternehmen: Yaourt Tropical, ein kleiner Molkereibetrieb in Benin, der Milchpulver aus Europa in Handarbeit zu Joghurts für den lokalen Markt verarbeitet, konnte mit Unterstützung von Willy Hugelshofer die Qualität seiner Produkte verbessern. In Kathmandu ermöglichen die Schweizer Gastro-Experten Restaurantbesitzern und den AbsolventInnen der Gate-Schule Einblicke in die internationale Küche. "Im Tourismus, wie auch für die vielen Nepali, die im Ausland eine Arbeit suchen, sind solche Kenntnisse von grossem Nutzen", betont Khem Lakai. Am allerwichtigsten sei jedoch, fasst er zusammen, der zwischenmenschliche Austausch, die Begegnung von unterschiedlichen Generationen und Kulturen.