Missstände auf hoher See
Die Kreuzfahrt im Kreuzfeuer der Kritik
Die Kreuzfahrt gerät in Amerika immer mehr in die Kritik. Regelmässig kommen Missstände an die Öffentlichkeit: Die Arbeitsbedingungen sind miserabel, Abfälle, Abwässer, Öl und Chemikalien werden in hohen Mengen über Bord geworfen, das Auslassen des Ballastwassers gefährdet die Artenvielfalt der Meere und die in Häfen ankernden Schiffe verpesten die Luft der anliegenden Städte mehr als die Autos. Besonders in Kalifornien (USA) demonstrieren UmweltaktivistInnen vehement gegen solche Praktiken.
Kein Zweig der Tourismusbranche hat in den letzten Jahren dermassen zugelegt wie die Kreuzfahrt: Nahmen 1970 noch 500’000 Passagiere an einer Kreuzfahrt teil, waren es 1998 beinahe 20 Mal mehr, nämlich 9,5 Millionen. Und so soll es weitergehen. Alleine im Jahr 2003 wird etwa alle drei Wochen ein neuer Kreuzer vom Stapel laufen.
Um weitere Touristen anzulocken geht die Kreuzfahrtindustrie innovative Wege; zuweilen nimmt dies absurde Formen an. Mit Start am 4. Januar 2001 führte Windjammer Barefoot Cruises in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen TV-Sender Fox eine Big Brother-Serie auf einem Dreimaster durch. Auf einem Schiff der Norwegian Cruise Line hängen Bilder von Matisse, Monet, Renoir und van Gogh im Wert von etwa 20 Millionen Dollar. Der letzte Schrei ist allerdings ein Kreuzfahrtsschiff, das einen Teil seiner Kabinen durch Eigentumswohnungen ersetzt hat. Seine Passagiere, die auf dem Festland zumeist noch eine Zweitwohnung besitzen, haben Millionenbeträge bezahlt, um auf dem Schiff zu leben. Gestiegen sind in den letzten Jahren die Kapazitäten der Schiffe. Heute sind die meisten in der Lage, zwischen 3’000 und 5’000 Reisende zu beherbergen, die eine Unmenge von Abfällen – Essensreste, Flaschen, Becher, Chemikalien für die Fotoentwicklung, Abwasser, usw. – hinterlassen.
Eine Reihe von internationalen Verträgen sowie nationalen und kommunalen Gesetzen regelt die Kreuzfahrtindustrie. Koordiniert werden diese von der International Maritime Organization (IMO) der Vereinten Nationen. Nicht immer halten die Kreuzer deren Vorgaben ein. Gemäss der US-Küstenwache wurden zwischen 1993 und 1998 490 Strafen gegen Kreuzfahrtsschiffe ausgesprochen wegen Vergehen gegen Umwelt- oder Sicherheitsgesetze. Weitere 73 Verstösse notierte die Behörde wegen ausgelaufenem Öl. Dem entgegenwirken will die kanadische Organisation Oceans Blue Foundation, die sich vor allem für einen ökologisch verantwortungsvollen Tourismus auf dem Meer und in Küstengebieten stark macht. Im vergangenen Herbst lancierte sie ein Programm zur Zertifizierung von Kreuzfahrten, wobei sie ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt. /na
Galeerenähnliche Arbeitsbedingungen
„Miese Sicherheitspraktiken und unsichere Schiffe machen die Seefahrt zur gefährlichsten aller Beschäftigungen“, sagt die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), welche 594 Gewerkschaften der Verkehrsbeschäftigten aus 136 Ländern vertritt. Sie schätzt, dass dabei jährlich über 2’000 Menschen ums Leben kommen.
Die Arbeit auf luxuriösen Kreuzfahrtschiffen ist häufig alles andere als luxuriös. Die Crew arbeitet oft 12 bis 16 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, zum Teil ohne Pausen, meist unter Deck, ohne Tageslicht und zu minimalen Löhnen, schläft in überfüllten, lärmigen Kabinen, erhält minderwertiges Essen und muss mit miserablen sanitären Einrichtungen Vorlieb nehmen. Besonders betroffen sind Beschäftigte aus Asien und Afrika. So arbeiten Bedienstete aus Industrienationen selten mehr als sechs, sieben Monate ohne Ferien, während jene aus südlichen Ländern oft erst nach zehn oder gar zwölf Monaten Ferientage haben.
Lange Arbeitszeiten, wenig Pausen, wenig Ferien: Dies muss unweigerlich zu Übermüdung führen. Gemäss Schätzungen der US-Küstenwache ist Müdigkeit verantwortlich für 16 Prozent der Schiffsunfälle und für ein Drittel der Personenunfälle.
Viele Kreuzer fahren unter einer Billigflagge, sind also in Ländern wie Liberia oder Bahamas registriert, die sehr billige Registrierungsgebühren verlangen und Umwelt- und Sozialnormen sehr „grosszügig“ handhaben. Auf solchen Schiffen gibt es keinen Mindestlohn und Arbeiter können jederzeit ohne Grund entlassen werden.
Eine Crew setzt sich meist aus Menschen unterschiedlichster Kulturen und Religionen zusammen. Daraus resultieren oft Probleme, die bis zu Totschlägen führen. Rassendiskriminierungen sind ebenso an der Tagesordnung wie sexuelle Übergriffe besonders an weiblichen Arbeiterinnen, aber auch an Passagieren, begangen von Crewmitgliedern und Passagieren. Die Carnival Cruise Line gestand 1999 ein, in den vergangenen Jahren 108 Beschwerden wegen sexueller Gewalt, darunter 16 Vergewaltigungen, erhalten zu haben. Bei Royal Caribbean waren es in der selben Zeitspanne 58 Beschwerden.
Die Öffentlichkeit weiss im Allgemeinen über diese Arbeitsbedingungen kaum Bescheid. Anders ist es nicht zu erklären, dass zukünftige Angestellte von Kreuzschiffen Arbeitsvermittlern bis zu 1’000 USD für einen Job auf Bord bezahlen. Die kenianische Regierung warnt ihre Bevölkerung mittlerweile vor solchen Angeboten. Gemäss ITF sollen mindestens 10’000 KenianerInnen Vermittlungsagenturen je 58 USD für eine medizinische Untersuchung bezahlt haben, die für einen Stellenantritt auf einem Kreuzfahrtsschiff vorausgesetzt war. Obwohl viele dieser 10’000 Personen ihr letztes Geld dafür aufwendeten, erhielt niemand von ihnen eine Stelle.
Die ITF nimmt sich nun vermehrt diesen Missständen an. Sie hat für Kreuzer, die unter Billigflagge laufen, eine Vereinbarung ausgearbeitet, in der die Mindestlöhne, die Arbeitsstunden, die Freizeit sowie weitere Konditionen geregelt sind. Gemäss Sam Dawson, Pressesprecher von ITF, haben bislang von 203 unter Billigflagge reisende Schiffe 63 eine Vereinbarung unterschrieben, die auf dem ITF-Modell basiert. /na
Traumschiffe – ein Albtraum für die Umwelt
Im September 2003 tritt der Annex IV der International Maritime Organization (IMO) in Kraft, welcher den Umgang mit Abwasser von Kreuzfahrtsschiffen verschärft. Werden die Abwasser nicht bereits auf dem Schiff durch eine genehmigte Aufbereitungsanlage behandelt, dürfen sie erst in einer minimalen Entfernung von vier Meilen vom nächstgelegenen Land ins Meer geleitet werden. In einem Gürtel zwischen vier und zwölf Meilen müssen sie ausserdem zerkleinert und desinfiziert werden. Diese Neuerungen bringen nur eine geringfügige Verbesserung der Umweltgesetze für Kreuzfahrtsschiffe mit sich und berühren bloss einen kleinen Teil der ganzen Umweltproblematik.
Während einer Kreuzfahrt von sieben bis zehn Tagen auf einem Schiff durchschnittlicher Grösse entstehen gegen vier Millionen Liter Abwasser von Duschen, Ausgüssen und der Bordküche. Dazu kommen die Abwasser von Toiletten von 30’000 bis 80’000 Liter pro Tag. Werden Abwasser ins Meer gelassen, können sie Korallen ersticken und das Leben von Fischen und anderen Organismen beeinträchtigen. Des Weiteren verursacht ein Passagier pro Tag durchschnittlich etwa zwei Pfund brennbare Abfälle, ein Pfund Essensreste sowie zwei Pfund Glas und Büchsen. Allein die nordamerikanische Kreuzfahrtindustrie beförderte Ende 2002 200’000 Passagiere pro Tag, die von 100’000 Angestellten betreut wurden. Die gesamten Abfälle der nordamerikanischen Kreuzer lassen sich so leicht hochrechnen. Entsorgungseinschränkungen gibt es kaum. Die IMO verbietet einzig die Entsorgung von Plastik und Öl auf hoher See. Nicht einmal für gefährliche Abfälle wie Chemikalien zur Fotoentwicklung, Waschmaschinenlaugen, Druckertoner oder Batterien gibt es klare Regelungen, ausgenommen in Ufernähe.
Sogar das Auslassen von Wasser ins Meer birgt Gefahren. Kreuzer balancieren mit Ballastwasser das Gewicht der Schiffe aus und verwenden es zusätzlich, um unter niedrigen Brücken durchfahren, oder in gewisse Häfen einlaufen zu können. Wird dieses Wasser nicht mehr benötigt, lässt man es ins Meer aus, ungeachtet der Tatsache, dass sich kleinste, nicht einheimische Pflanzen und Tiere, Pathogene und Bakterien darin befinden können, welche die einheimischen Spezies zerstören können.
Die Kritik von amerikanischen Umweltschützern richtet sich in erster Linie gegen die enorme, durch Dieselmotoren der Kreuzfahrtsschiffe verursachte Luftverschmutzung. Geht ein Schiff in einem Hafen vor Anker, lässt es seine Maschinen laufen, um weiterhin für die Infrastruktur an Bord Strom zu erzeugen. Dabei emittiert es täglich mehr Schadstoffe als 12’000 Autos.
Angesichts der laschen ökologischen Auflagen, mutet es reichlich skurril an, wie es die Kreuzfahrtunternehmen immer wieder schaffen, gebüsst zu werden. Gemäss einer Auflistung von Ross Klein wurden zwischen 1993 und 2002 15 Bussen von mindestens 100’000 USD ausgesprochen, welche die Unternehmen insgesamt rund 80 Millionen Dollar kosteten. /na
Quellen: Schreiben von Sam Dawson, Pressesprecher ITF, 26.6.2003; Mitteilungen von Bluewater Network 20.6.2003; Todays Cruise News von Oceans Blue Foundation 9.6.2003 und 12.6.2003; destination – Schweizer Reise- und Nachrichtenmagazin, Sommer/Herbst 2003; Fremdenverkehrswirtschaft 25/2002; Pacific Business News 5.9.2002; Ross Klein, 2002: „Cruise Ship Blues“ (s. Buchbesprechungen); Schweizer Touristik 24/2000; www.bluewaternetwork.org; www.celb.org; www.itf.org.uk; www.oceansblue.org; laufende aktuelle News; www.cruisejunkie.org