Mit Brot und Honig gegen Jugendbanden
"Jugendliche gegen Gewalt – Gewalt gegen Jugendliche" ist zurzeit das Kampagnenthema von terre des hommes schweiz und hierzulande brandaktuell. Immer wieder berichten die Medien von gewaltbereiten Jugendlichen. Dass es sich dabei um eine kleine Minderheit handelt und dass die Mehrheit der jungen Menschen in der Schweiz Gewalt klar verurteilen, wird dabei oft vergessen. In El Salvador, dem Land mit der höchsten Kriminalitäts- und Mordrate in Lateinamerika, haben Kinder und Jugendliche oft gar keine andere Wahl, als sich für die Gewalt zu entscheiden, denn oft liegt für sie darin die einzige Überlebenschance. Sie schliessen sich einer der vielen Maras, kriminellen Jugendbanden mit mafiösen militärischen Strukturen an, aus deren Gewaltspirale und Abhängigkeit sie kaum je wieder ausbrechen können.
Gegen Gewalt tätig
Deshalb ist es wichtig, den Jugendlichen, bevor sie von den Maras rekrutiert werden, eine alternative und gewaltlose Zukunftsperspektive zu bieten, oder ihnen den oft schwierigen Ausstieg zu ermöglichen. Chalatenango ist ein Gebiet im Norden von El Salvador, das in der Vergangenheit am meisten vom Bürgerkrieg betroffen war und in dem Gewalt und Kriminalität mehr als anderswo zum völlig normalen Alltag gehören. Zudem befindet es sich im Drogenkorridor zu Honduras. Es ist also kein Zufall, dass terre des hommes schweiz in Chalatenango Jugendliche darin unterstützt, der Gewalt zu trotzen und sich auf legale Weise eine Zukunft zu sichern. Zum Beispiel mit einer eigenen Bäckerei: Fünf Jugendliche haben von CORDES, einer Partnerorganisation von terre des hommes schweiz, eintausend amerikanische Dollars als Startkapital erhalten. Mit diesem Geld haben sie einen alten Backofen, Backformen und andere benötigte Utensilien gekauft. Die Ausbildung erhielten sie von einem Bäcker aus der Umgebung. Mit dem aus dem Brotverkauf erwirtschafteten Geld können sie nun ihren Unterhalt finanzieren und haben bereits nach ein paar Monaten die Hälfte des zinslosen Kredites an CORDES zurückbezahlt.
Auch die Haltung von Bienen und die Herstellung von Honig erfolgten im letzten Jahr nach dem gleichen Prinzip. Heute, ein Jahr später, haben die Jugendlichen dreimal so viele Bienenstöcke wie am Anfang. Die Herstellung eigener Boote für den Fischfang, den Tourismus oder für den direkten Verkauf ist ein weiteres Beispiel, die Jungen von der Strasse zu holen. Diese Jugendlichen sind indirekt "gegen Gewalt tätig". Denn: Mädchen und Jungs, die eine Ausbildung machen und ein kleines Unternehmen gründen, sind wiederum Vorbilder für die vielen Jugendlichen, die ihre Zukunft nur in der Migration ins Ausland – vor allem in die USA – oder auf der Strasse in den Jugend- und Drogenbanden, den Maras, sehen.
Opfer und zugleich Täter
Auch die Jugendlichen in den stark von Gewalt betroffenen und ärmsten Stadteilen der Hauptstadt San Salvador, die mit Quetzalcoatl, einer weiteren Partnerorganisation von terre des hommes schweiz, einen Krabbenverkauf aufgebaut oder eine Photoausstellung organisiert haben oder mit Hilfe der Organisation die Schule (weiter) besuchen, gelten als Vorbilder für andere Jugendliche. Denn Jugendliche in El Salvador haben kaum Zugang zu Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Da oft beide Eltern im Ausland Arbeit suchen und ihre Kinder zurücklassen, fehlen intakte Familienstrukturen meist völlig. Die Jugendlichen suchen Halt bei den Maras. Dort erfahren sie, dass ihr Leben nichts zählt. Bandenmitglieder, Freunde werden jeden Tag vor ihren Augen von gegnerischen Banden oder den eigenen Leuten umgebracht.
Jede und jeder wird zwangsläufig Opfer und Täter. Den Jugendlichen fehlt es an demokratischen Regeln und an humanen Werten. Im Projekt von Quetzalcoatl zeigen Jugendliche anderen Jugendlichen Wege auf, der Gewalt abzuschwören und nach anderen sozialen Werten zu leben. Sie gründen in Gruppen kleine ökonomische Initiativen, wie zum Beispiel der An- und Verkauf von Krabben. Diese Initiative funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie bei CORDES in Chalatenango mit kleinen Krediten und einer Beratung durch Unternehmen mit denen Quetzalcoatl eine Allianz eingeht. Die Organisation unterstützt Jugendliche aber auch darin, sich mit den zum Teil festgefahrenen kulturellen und gesellschaftlichen Strukturen auseinanderzusetzen. Zum Beispiel mit Workshops zum Thema "Männlichkeit und Machismus", "Machtbeziehungen" oder "Konfliktbearbeitung". Die Jugendlichen von Quetzalcoatl veranstalten auch Kampagnen gegen Gewalt in ihren Stadtteilen. Dabei arbeiten sie eng mit Lehrern, der Polizei und den lokalen Stadtregierungen zusammen. Die Anerkennung durch die Gemeindemitglieder zu bekommen und sozial integriert zu sein, ist eines der wichtigsten Anliegen der Jugendlichen.
Anette Homlicher ist Programmkoordinatorin El Salvador.
Der Artikel erschien in der terres des hommes schweiz-Zeitung, Dezember 2010. Publikation mit freundlicher Genehmigung. www.terredeshommesschweiz.ch