Mit Tourismus gegen die Armut (Fortsetzung): «Democratise Tourism!»
Mumbai im Januar 2004: In grossen grünen Lettern, leuchtet die Forderung „Democratise Tourism“ auf den Transparenten, die die Eingänge zu den Tourismusveranstaltungen auf dem Weltsozialforum (WSF) markieren. Dicht drängen sich die Menschen in den sonnendurchfluteten Jutezelten, wo der Tourismus erstmals auf einem WSF zur Diskussion gestellt wird. Und sie erfahren, was Globalisierung im Tourismus heisst, wenn etwa Menschenrechtsaktivisten aus Peru genau wie ihre Kollegen aus Bangladesh, wie Fischer aus Südindien, Landlose und Indigene aus der ganzen Welt um ihr Land kämpfen, gegen Privatisierungen, Spekulation und Enteignungen im Zuge von neuen Tourismusentwicklungen. Wenn indische Gewerkschafter Seite an Seite mit Kleinunternehmern aus Gambia, Frauenorganisationen aus Goa und den Philippinen und Kinderschutzprojekte aus Thailand Massnahmen gegen die Ausbeutung von Menschen im weltweiten Tourismus fordern. Wenn indische Dorfvorsteher sich angeregt mit Delegierten aus brasilianischen Gemeinden und EntwicklungshelferInnen aus Nepal über die neuen Ansätze von Gemeindeentwicklung austauschen, die der Bevölkerung eine selbstbestimmte Entwicklung im Tourismus eröffnen. Die Organisatoren der Tourismusveranstaltungen auf dem Weltsozialforum (WSF) hatten ihr Programm unter die einfache, aber eindringliche Frage: „Who really benefits from tourism?“ gestellt. Die Voten der Podiumsgäste und aus dem Publikum machen in erster Linie deutlich, wer im Tourismus auf der Verliererseite steht. Sie zeigen aber auch, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die breite Bevölkerung in den Destinationen fair am Tourismus beteiligt wird und ein Leben in Würde führen kann: Es geht um die Wahrung ganz elementarer Rechte – Grundversorgung und damit Zugang zu Lebensgrundlagen wie Land und Wasser, faire Arbeitsbedingungen, Mitsprache und Partizipation. Das rückt – über die freiwilligen „Goodwill-Aktionen“ der Tourismusindustrie und die verträglicheren Verhaltensweisen der Reisenden, die ansonsten die Tourismusdebatten dominieren – die wesentliche Frage ins Zentrum, wer denn was dazu beitragen muss, damit die Menschen in den Zielgebieten ihre Rechte wahrnehmen und tatsächlich vom Tourismus profitieren können.
Szenenwechsel – Berlin im März 2004: In den sterilen Räumlichkeiten des Konferenzzentrums der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB) geben sich auf Einladung der Welttourismusorganisation (WTO-OMT) Tourismusminister aus aller Herren Länder ein Stelldichein mit Spitzenvertretern der Tourismuswirtschaft und hochrangigen Experten. Ziel dieses „Stakeholder-Forums“ ist, dem Publikum die Fortschritte des „Armutsbekämpfungsprogrammes“ darzulegen, das die WTO-OMT unter dem Titel „Sustainable Tourism – Eliminating Poverty“ (ST-EP) anlässlich des Weltgipfels für Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg lanciert hat (siehe akte-Kurznachrichten 1/2003). Die von ST-EP anvisierte internationale Stiftung zum Geldsammeln ist offenbar dank der südkoreanischen Regierung mit ersten Mitteln versehen worden; 100 Millionen US Dollar sollen im kommenden Jahr aufgetrieben werden, um mit Tourismus die Armut zu bekämpfen, erklären die WTO-OMT Verantwortlichen, Generalsekretär Francesco Frangialli, Vize-Generalsekretär Dawid de Villiers und Geoffrey Lipman, der frühere Vorsitzende des Spitzenverbandes des Tourismuswirtschaft „World Travel and Tourism Council“ und heutige Spezialberater der WTO-OMT für den Handel mit Tourismusdienstleistungen. Zügig folgen die Powerpoint-Präsentationen mit den neuesten Einsichten über die Zusammenhänge zwischen Tourismus und Armut der Experten aus Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA. Tourismusminister geben ihren Hoffnungen Ausdruck. Erlesene Exponenten aus dem Publikum unterstreichen die Bedeutung der ST-EP-Initiative. Im Saal wird fleissig mitgeschrieben. Man hört angestrengt zu und weiss doch nicht so genau, ob einem gerade etwas Tiefgründiges entgangen ist oder einfach lauter Worthülsen um den Kopf fliegen. Eine einzige Frage nur rüttelt etwas am geschliffenen Ablauf: Der Tourismusjournalist Imtiaz Muqbil aus Bangkok will vom Initiator des ST-EP-Programmes Geoff Lipman wissen, wie denn nebst all den Erkenntnissen der westlichen Experten auch diejenigen der Betroffenen von Armut in das Programm einbezogen würden, was doch anerkanntermassen Voraussetzung für eine erfolgreiche Überwindung der Armut sei, und wie zudem sichergestellt werde, dass jeder Dollar des Programmes auch wirklich in die Taschen derjenigen gelange, die es am meisten nötig hätten. Gewandt erwiderte Geoff Lipman, er kenne ja Muqbil längst in seiner Rolle als „watch dog“, doch bei ST-EP brauche man nicht „watch dogs“, sondern Leute, die aktiv einen Beitrag leisteten. Ansicht, die er im Anschluss an die Veranstaltung auch akte gegenüber bekräftigte auf die Frage, wie die WTO-OMT gedenke, die Zivilgesellschaft und NGOs in die ST-EP-Initiative einzubeziehen. NGOs sollen ihm doch einfach ihre Vorschläge unterbreiten (Anmerkung der Redaktion: Erreichbar ist er unter: glipman@gtrex.com)
Da tönt es doch ziemlich anders im neuen Bericht zu Tourismus und Armut, den die WTO-OMT akkurat zur ST-EP-Veranstaltung auf der ITB vorlegt. Erst gelte es, hält der Bericht fest, Armut und ihre Ursachen besser zu verstehen und die Zusammenarbeit mit den Armutsbetroffenen zu suchen; am besten geschähe dies durch NGOs, die den Forderungen der Betroffenen Gehör verleihen würden. Der neue Armutsbericht der WTO-OMT, verfasst vom britischen Tourismusberater Richard Denman, der sich für seine Ausführungen weitgehend bei den „Pro Poor Tourism“-Strategien des britischen Entwicklungsdienstes (DFID) und den neuen Initiativen zum Fairen Handel im Tourismus inspiriert, ist in verschiedener Hinsicht aufschlussreich. Für eine gerechtere Verteilung der Erträge aus dem Tourismus wird darin auch die Bedeutung von Gesetzen (Arbeitsgesetzen etc.), Steuern, Lenkungsabgaben, Investitionsbedingungen und Regulierungsmassnahmen zum Schutz der Umwelt unterstrichen. Das steht im eklatanten Widerspruch zu den Forderungen nach weitergehenden Liberalisierungen, welche die selbe WTO-OMT im Rahmen der laufenden Dienstleistungsverhandlungen (GATS) bei der Welthandelsorganisation stellt. Zwar nennt die WTO-OMT ihr entsprechendes Programm „Liberalization with a Human Face“. Vermutlich soll die ST-EP-Initiative den Liberalisierungen das „menschliche Antlitz“ verpassen. Doch wie die WTO-OMT diese diametral auseinanderlaufenden Bestrebungen in der Realität – und nicht bloss in rhetorischen Überschlägen – unter einen Hut bringen will, bleibt vorerst schleierhaft.
Eines aber wird dabei klar: Die WTO-OMT ist als neu anerkannte Spezialorganisation der UNO auch den sogenannten Millenimus-Zielen der Vereinten Nationen verpflichtet, die eine Reduzierung der weltweiten Armut zur zentralen Forderung erheben, und sie will dies mit neuen Aktivitäten und Programmen zum Ausdruck bringen (siehe akte-Kurznachrichten 4/2003). Diese vertragen sich nicht unbedingt mit den angestammten Aufgaben dieser aus der Tourismusindustrie hervorgegangenen Organisation. Doch genau dieser Wurzeln besinnt sich Geoff Lipman, wenn er – wie kürzlich vor den in Kuala Lumpur versammelten Tourismusministern des Commonwealth – stolz verkündet, mit der WTO-OMT sitze erstmals eine Industrie am Tisch der höchsten globalen Entscheidungsträger. Ob sich da die WTO-OMT nicht besser erst darauf besinnen sollte, wen sie eigentlich vertreten und wie sie die im UN-Jargon doch so geläufigen Begriffe von Partizipation, Transparenz und „Accountability“ (Rechenschaft) umsetzen will, bevor ihre Glaubwürdigkeit endgültig in den Widersprüchlichkeiten ihrer Programme untergeht? /plus
Quellen: Berichte über die Tourismusveranstaltungen auf dem WSF 2004: EQUATIONS: Towards Democratising Tourism. Understanding Development through Tourism: A critique & strategising alternatives, Bangalore, März 2004, und Christine Plüss: Ein anderer Tourismus ist gefordert, Basel Februar 2004, auf www.akte.ch; EED Tourism Watch Nr. 34, März 2004, auf www.tourism-watch.de; eTurbo News 22.3.2004, www.eturbonews.com; Unterlagen des II ST-EP Forum, ITB Berlin, 15.3.2004;WTO-OMT: Tourism and Poverty Alleviation. Recommendations for Action, Report by Richard and Jackie Denman for the World Tourism Organization, Madrid, März 2004; Ann Zammit: Development at Risk. Rethinking UN-Business Partnerships, South Centre-United Nations Research Institute for Social Development (UNRISD), Genf 2003; eigene Recherchen