Mit Vielfalt gegen Hunger
Das Saatgut geht uns alle an. Es ist die Grundlage unserer täglichen Ernährung. Und die steht weltweit auf einer erschreckend schmalen Basis: 90 Prozent der Sortenvielfalt sind bereits von den Äckern verschwunden. Doch nur eine breite Vielfalt auf den Feldern kann den Herausforderungen durch den Klimawandel trotzen und die Ernährung auch in Zukunft sichern. SWISSAID und die Schweizer Bauernorganisationen greifen das Thema auf und reisen mit sechs Gästen aus Indien, Nicaragua, Niger und Guinea-Bissau ab 25. Mai in einer Saatgut-Karawane quer durch die Schweiz. Bei Events auf Bauernhöfen, in Saatgutbetrieben und Forschungsanstalten werden Problem und Lösung im Austausch mit den Bauern und Expertinnen aus dem Süden erfahrbar: Das Saatgut in der Hand der Bauern und die lokale Vielfalt in den Einkaufstaschen sind die besten Rezepte für den Erhalt der Sortenvielfalt.
Denn seit Jahrtausenden sind es die Bäuerinnen und Bauern, die Saatgut aufbewahren, weiterentwickeln und züchten. Neben dem Boden ist das Saatgut ihr wichtigstes Kapital. Mit der so genannten "Grünen Revolution" und der Industrialisierung der Landwirtschaft verlieren die Bauern indessen zunehmend die Kontrolle über das Saatgut. Weltweit werden zwei Drittel des Saatguts kommerziell gehandelt, das heisst von Saatgutunternehmen verkauft. Das letzte Drittel ist Saatgut, das die Bauern und Bäuerinnen von ihrer Ernte zurückbehalten oder untereinander tauschen. Dies ist vor allem in Entwicklungsländern der Fall.
Auf dem kommerziellen Saatgutmarkt hat innerhalb der letzten Jahre ein beispielloser Konzentrationsprozess eingesetzt. Multinationale Unternehmen wie Monsanto, Bayer oder Syngenta, die lange reine Agrarchemieproduzenten waren, haben systematisch ihren Saatgutbereich ausgebaut, vor allem durch den Einkauf anderer Saatgutfirmen. Dies hat dazu geführt, dass heute zwei Drittel des kommerziellen Saatgutmarktes weltweit von nur zehn Firmen kontrolliert wird.
Ihre beherrschende Marktstellung nutzen die Firmen, um zu bestimmen, was die Landwirte anbauen können, wie sie es anzubauen haben und wie viel sie dafür bezahlen müssen. Wenn Saatgut und Agrochemie unter einem Firmendach sind, werden den Bauern ganze Pakete verkauft: Saatgut plus Dünger plus Pestizid. Das steigert den Umsatz. Auch über die Möglichkeit, Saatgut zu patentieren – mittlerweile werden nicht mehr nur gentechnisch veränderte Pflanzen patentiert, sondern auch konventionelle Züchtungen – bauen die Firmen ihre Monopolstellung aus. Patente gewähren staatlich abgesicherte Monopolrechte über das Saatgut, was die Firmen sowohl gegenüber den Landwirten wie auch gegenüber weiterverarbeitenden Firmen geltend machen.
In den USA werden Bauern von Monsanto verklagt, weil sie angeblich Patentrechte verletzt hätten. Gleichzeitig haben sich die Preise für Saatgut drastisch erhöht. Für Mais und Soja beispielsweise hat sich der Preis für das – mittlerweile zumeist gentechnisch veränderte Saatgut – innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. Doppelte Erträge liefert dieses verteuerte Saatgut jedoch nicht. Zudem ist Gentech-Saatgut auch um ein Vielfaches teurer als biologisches Saatgut.
Diese Dominanz der Saatgutmultis ist gefährlich. Die Erfahrungen zeigen, dass sie ihre Marktmacht ausnutzen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Das wird einerseits die Lebensmittel verteuern, was vor allem für die arme Stadtbevölkerung im Süden dramatisch ist. Andererseits werden noch mehr Landwirte in den Ruin getrieben. Sie müssen ihren Hof aufgeben, verlieren oft auch ihr Land und – wie das traurige Beispiel Indien zeigt – finden hochverschuldet oft nur noch im Selbstmord einen Ausweg. Die Dominanz der Saatgutfirmen führt damit zu mehr Armut und Hunger auf dem Land. Doch auch in reichen Ländern wie der Schweiz ist es wichtig, die Kontrolle über die Grundlage der Ernährung nicht an einige wenige multinationale Firmen abzugeben. Saatgut und Landwirtschaft sind zentrale gesellschaftliche Fragen, die wieder ins Zentrum der Diskussion gerückt werden müssen. Denn letztendlich bestimmen diejenigen über unsere Zukunft, die die Lebensmittelproduktion kontrollieren.
Weitere Informationen unter: www.swissaid.ch/saatgutkarawane oder im Flyer