Mit zwei Grad in die Klimakatastrophe?
"Ein Fünftel der Bevölkerung hat das Tourismusproblem verursacht. Jetzt will der Rest auch mitmachen", fasst der britische Klimaexperte und Autor Mark Lynas ("High Tide", "Six Degrees") eine der großen Herausforderungen der sich abzeichnenden Klimakrise zusammen. Noch hebt kaum ein Klimabericht die Zusammenhänge zwischen Tourismus und Klimawandel besonders hervor. Auf dem internationalen Symposium "Travel & Tourism in the Age of Climate Change" vom 8. bis 10. Juli 2009 im südenglischen Eastbourne standen sie jedoch im Mittelpunkt. Die britische Universität Brighton brachte Tourismus- und Klimawissenschaftler vor Ort zusammen, sparte aber immerhin einen Teil der konferenzbedingten Emissionen dadurch ein, dass sie Michael Hall von der Universität Christchurch, Neuseeland, in einer Videoübertragung in den Konferenzsaal einlud.
"Wenn der Tourismus ein Land wäre, stünde er in der Rangliste der Hauptemittenten an fünfter Stelle", zeigte Hall die Dimensionen auf, um die es geht. In Zukunft könnte sich der Flugverkehr immer mehr zu einem Sorgenkind der Klimapolitik entwickeln. Denn die Chancen, dass er die notwendigen CO2-Reduktionen leistet, stehen nicht gut. Regulierung, so meint Hall, werde deshalb immer wichtiger. Effizienzfortschritte, die im Rahmen eines "weiter wie bisher"-Ansatzes durchaus erzielt werden könnten, reichten dagegen nicht aus. Die Anzahl der Touristen nehme zu und die natürlichen Ressourcen werden mehr und mehr belastet. Hall plädiert deshalb für mehr Forschungsanstrengungen zu Konsum- und Suffizienzfragen und zu den Möglichkeiten einer "Umsteuerung"
China: Umdenken unwahrscheinlich
Wolfgang Arlt vom "China Outbound Tourism Research Institute" (COTRI) in Heide hat in dieser Hinsicht die Reisemotivation chinesischer Touristen untersucht und kommt zu wenig ermutigenden Ergebnissen. Für Chinesen gelte eine Auslandsreise als "demonstrativer Konsum", durch den sie in der chinesischen Gesellschaft an Ansehen gewinnen. Zwischen Urlaubs- und Geschäftsreisen werde kaum unterschieden, beide werden als "Investitionen" angesehen. Seit 2009 ist China (ohne Hongkong und Macao) das größte asiatische Herkunftsland internationaler Touristen. Zwar gewinnen aufgrund gravierender ökologischer Probleme und Skandale "grüne" Ideen in China langsam an Boden, doch der Tourismus wird nicht als Umweltverschmutzer wahrgenommen. Es gebe kaum Umweltengagement auf Seiten der Tourismusunternehmen und keinen entsprechenden Druck von Seiten der Verbraucher, so Arlt. In der chinesischen Kultur richte sich solidarisches Verhalten auf die eigene Gruppe, nicht auf andere Länder oder gar die Erdatmosphäre. Insofern ist es sehr unwahrscheinlich, dass chinesische Touristen auf moralischen oder finanziellen Druck reagieren und ihr Reiseverhalten aufgrund des Klimawandels überdenken werden.
Klimaneutrale Zielgebiete?
Ähnlich unwahrscheinlich ist es, dass touristische Zielgebiete in absehbarer Zeit einen wirklich "klimaneutralen" Tourismus anbieten können. Warum, untersuchte Stefan Gössling von der schwedischen Universität Lund. Denn auch in "klimaneutralen Destinationen" entstünden weiterhin Emissionen, sie würden dann lediglich an anderer Stelle kompensiert. In der Regel wird die An- und Abreise nicht berücksichtigt. Zwar scheinen "klimaneutrale Zielgebiete" zunächst ein brauchbares Konzept zu sein, doch bleibe unklar, wie sich diese Klimaneutralität langfristig aufrechterhalten ließe. Denn das System funktioniere dann nicht mehr, wenn alle auf Kompensation setzen wollten. Zwar ließe sich durch Verringerung des Energieverbrauchs um zehn Prozent zunächst einmal sogar Geld sparen, denn derzeit werde noch viel Energie verschwendet. Weitere zehn Prozent ließen sich durch Umstrukturierung einsparen. Danach jedoch wird die Emissionsreduktion teurer. Daher wird der Verteilung von Emissionen in Zukunft große Bedeutung zukommen.
Tourismuswachstum auf Kosten anderer
Berücksichtigt man die kumulativen Emissionsbudgets bis 2100, so ist es unmöglich, den Tourismus weiter wachsen zu lassen und dafür die Emissionsrechte anderer Sektoren zu nutzen, betont Paul Peeters von der Fachhochschule NHTV im niederländischen Breda. Die Tourismuswirtschaft macht es sich demnach zu einfach: "Kauft man Emissionsrechte auf den CO2-Märkten, heißt das, andere müssen für unsere Emissionen aufkommen. Das geht nicht! Es ist eine etwas komplizierte Art zu sagen, wir tun nicht viel, die anderen müssen es tun."
Geht man von 100 Prozent Emissionen im Jahr 2005 aus, könnte man bis 2050 durch technologische Entwicklung und ständige Erneuerung der Flugzeugflotten 30 Prozent einsparen, so Peeters. Wolle man bis 2050 aber eine Einsparung von 70 Prozent erreichen, brauche man eine komplette Neustrukturierung des Verkehrswesens, hin zu anderen Verkehrsmitteln wie z.B. der Bahn. Auch der Autoverkehr müsse deutlich verringert werden. Doch der Flugverkehr bleibe ein Schlüsselbereich. "Was die Verringerung der Emissionen und das Wachstum im Tourismus angeht, ist die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) von einem realistischen Szenario weit entfernt", meint Peeters.
Die Reisebranche wird vor riesigen Herausforderungen stehen, die ehrgeizigen Ziele zu erreichen und die tourismusbedingten Emissionen entsprechend der klimapolitischen Vorgaben der internationalen Gemeinschaft zu verringern. Hinzu kommt, dass selbst das wohl nicht ausreichen würde. Denn auch das klimapolitische Ziel, die Erderwärmung nicht über zwei Grad ansteigen zu lassen, ist laut Mark Lynas "ein Rezept, das in die Katastrophe führt". Denn damit werde man, so der Klimaexperte, weder die Korallenriffe retten, noch die Gletscher, noch den Regenwald am Amazonas.
Der Beitrag erschien in Tourism-Watch Nr. 56, September 2009 zum Schwerpunkt Tourismus und Klima.
Bilder: 1 www.hollywire.com; 2 www.china.org.cn; 3 www.brighton.ac.uk;