Mitsprache ist Voraussetzung für Entwicklung
Wir lesen und hören es fast täglich: Autokraten wie Putin, Orbán oder Erdoğan gehen gewaltsam gegen Proteste vor, lassen kritische Blogger und Journalistinnen verhaften, bedrohen sie mit dem Tod. Gewalt gegen diejenigen, die sich für ihre Rechte einsetzen, ist in vielen Ländern an der Tagesordnung. Dabei wird der Kampf für die eigenen Rechte und die Rechte benachteiligter Menschen immer gefährlicher. Letztes Jahr wurden in 27 Ländern 312 MenschenrechtsaktivistInnen umgebracht. Im gleichen Zeitraum verloren 207 UmweltschützerInnen ihr Leben. Ein Allzeithoch.
Auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen stehen verstärkt unter Druck. Betroffen sind in erster Linie Organisationen, die sich politisch engagieren, sich kritisch gegenüber der Regierung äussern, mehr Rechenschaft und Transparenz fordern. So wurden etwa in Kenia 2014-2015 rund 1500 NGOs von der Regierung geschlossen. Mitsprache, Transparenz sowie Rechenschaftspflicht der Politik gegenüber der Gesellschaft gehören jedoch zu den Grundlagen nachhaltiger Entwicklung. Denn politische Offenheit und Entwicklung gehen Hand in Hand. So sind Länder, deren Zivilgesellschaft von einem offenen, förderlichen und befähigenden Umfeld profitiert, im Uno-Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index HDI) höher gelistet als autoritäre Länder, deren Zivilgesellschaft in einem eingeengten, beschränkten oder gar völlig geschlossenen Umfeld agieren muss.
Wenn NGOs die Arbeit der Regierung machen
Von den Restriktionen sind darum auch jene Organisationen betroffen, die Dienstleistungen erbringen und sich für Entwicklung einsetzen, beispielsweise in den Bereichen Bildung oder Gesundheit. Oft füllen sie Lücken, welche Regierungen in Entwicklungsländern nicht füllen, sei es in abgeschiedenen Regionen, aufgrund mangelnder Ressourcen oder wegen schlechter Regierungsführung. Für die Begünstigten ist die Arbeit dieser Organisationen oft überlebenswichtig, weil sie hilft, Grundbedürfnisse zu decken. Um nachhaltige Resultate erzielen zu können, müssen diese Dienstleistungen jedoch begleitet sein von einer politischen Ermächtigung der Begünstigten: Diese müssen in die Lage versetzt werden, ihre Rechte gegenüber der Regierung geltend machen zu können und sich selber für eine Verbesserung ihrer Situation und der Entwicklung in ihrer Region einzusetzen. Um tatsächlich eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, muss die Entwicklungsarbeit darum begleitet werden von einer politischen Arbeit dieser Organisationen.
Da auch autoritäre Regierungen den Dienstleistungsaspekt von Entwicklungsarbeit – ob auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene – durchaus anerkennen, lassen sie (zumindest vordergründig) unpolitische Nichtregierungsorganisationen oft gewähren. Denn die Finanzierung und Bereitstellung elementarer Grundversorgung durch andere kommt ihnen durchaus zupass. In der internationalen Zusammenarbeit liegt darum die Herausforderung in der Förderung und Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure, ohne dem Prinzip "Teile und herrsche" der Regierungen Vorschub zu leisten. Es geht darum, die Begünstigten in ihrer politischen Rolle zu stärken, so dass sie den notwendigen Wandel in der Gesellschaft voran bringen können.
Gute Lösungen schliessen alle mit ein
Die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen ist in der Entwicklungszusammenarbeit seit langem anerkannt. In der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung werden sie explizit als wichtige Partner für die erfolgreiche Umsetzung genannt. In einer funktionierenden Gesellschaft ist es wichtig, dass in einem inklusiven Prozess gemeinsam über Entwicklungsperspektiven verhandelt wird. In einem geschlossenen Prozess innerhalb elitärer Kreise werden hingegen Lösungen favorisiert, von denen wenige profitieren. Je mehr Menschen einbezogen werden, desto inklusiver werden auch die Lösungen.
Dies lässt sich besonders gut in ressourcenreichen Ländern erkennen. Je mehr Menschen über Verteilung und Nutzung der natürlichen Ressourcen entscheiden, desto mehr Menschen profitieren davon.
Der erdölreiche Tschad illustriert diesen Zusammenhang gut: Seit Beginn der Ölförderung 2003 sind rund 13 Milliarden US-Dollar in die Staatskasse geflossen. Im Entwicklungsindex der Uno ist das Land jedoch weiter zurückgefallen und belegt aktuell den drittletzten Platz. Vom Gewinn aus dem Erdölexport profitiert eine kleine Elite rund um den Staatspräsidenten Idriss Déby Itno, der sich seit 27 Jahren an der Macht hält.1 Gemäss CIVICUS, dem globalen Netzwerk für Bürgerpartizipation, ist die Zivilgesellschaft im Tschad unterdrückt.
Leave no one behind, der Leitgedanke der Agenda 2030, ist zentral zur Durchsetzung einer nachhaltigen Entwicklung für alle: Niemand darf zurückgelassen werden, alle müssen beteiligt sein. Dieses Motto setzt voraus, dass insbesondere die Schwächsten einbezogen werden. Sie müssen sich selber für ihre Rechte einsetzen können und über Lösungen mitdiskutieren (gemäss dem Grundsatz nothing about us without us – nichts über uns ohne uns). Per Definition ist eine kritische Zivilgesellschaft, die sich für eine nachhaltige und inklusive Entwicklung einsetzt, das Gegenüber der staatlichen Autorität und braucht darum Raum, Anerkennung, Zugang zu Finanzierung und Vertrauen, um diese Rolle konstruktiv spielen zu können. Nicht wegdiskutieren lässt sich das Dilemma, dass sich NGOs zwar ausserhalb staatlicher Strukturen engagieren, gleichzeitig jedoch darauf angewiesen sind, dass diese ihren Raum schützen.
Der aktuelle Trend Richtung shrinking space schränkt genau diesen Raum ein. Das erfolgt auf verschiedene Arten:
- Die Regierung stellt übertriebene Anforderungen bezüglich Registrierung und offizieller Anerkennung einer Organisation oder bezüglich Berichterstattung über deren Arbeit.
Der Zugang zu Finanzierung wird erschwert oder gar verunmöglicht. Sei dies durch Massnahmen im Namen des Antiterrorkampfes oder durch die Stigmatisierung als "ausländische Agentin".
- Gewalt, Androhung von Gewalt oder Zulassen von Gewalt durch Dritte.
All dies führt zu einem Klima der Angst und Unsicherheit, das oft zu Selbstzensur führt, so dass sich zivilgesellschaftliche Akteure nicht mehr trauen, eigentlich Selbstverständliches einzufordern oder anzuprangern.
1 Brot für die Welt: Atlas der Zivilgesellschaft. Berlin, Januar 2018.