Utopia: Was glauben Sie, wohin steuert die Mobilität in der Zukunft?
Peter Brandauer: Es wird nicht mehr so sein, dass jeder sein eigenes Auto besitzt, sondern dass Sie sich die passende Mobilität für den jeweiligen Moment regelrecht einkaufen. Und die Mobilität kann dann sehr unterschiedlich sein: Das kann ein Elektrofahrzeug sein, die Bahn, ein anderes öffentliches Verkehrsmittel, es kann auch mal ein Auto sein, die Mobile werden unterschiedliche Größen haben, eben passend zum Bedarf. Ob ich alleine bin oder mit mehreren – danach richtet sich dann das Vehikel aus. Meines Erachtens kaufen wir Mobilität und dafür werden neue Mobilitätskonzepte gefragt sein. Entscheidend wird werden, dass sich in den Köpfen der Menschen etwas bewegt. Wenn jemand in den Urlaub nach Teneriffa fliegt, macht er sich doch auch keine Gedanken, dass er vor Ort kein Auto besitzt. Wer jedoch in die Alpen fährt, meint oftmals, das ginge nicht ohne. Es spielt sich alles im Kopf ab.
Sie sind Bürgermeister (Foto rechts) der österreichischen Gemeinde Werfenweng im Salzburger Land, die zum Verbund der 20 "Alpinen Perlen" zählt. Das sind Orte in den Alpen, die unter dem Motto „sanfte Mobilität“ einen umweltschonenden und sanften Urlaub garantieren und im Grunde schon das offerieren, was Sie gerade für die Zukunft vorhergesagt haben. Wie ist die Idee dazu aufgekommen?
Wir haben uns natürlich für unsere Gemeinde Gedanken gemacht, wie wir uns absetzen können von anderen und wie wir im Wettbewerb reüssieren. Da fiel unser Blick auf Zermatt und wir haben uns gefragt, ob wir auch autofreie Urlaube anbieten könnten. Das ist schon etwa 15 Jahre her. Dann hat Österreich einen Modellort für das Thema „Urlaub vom Auto“ gesucht, wir haben uns dafür beworben und bekamen den Zuschlag. Und in den darauf folgenden Jahren ist das Thema Umwelt und Klimaschutz immer mehr in den Fokus aller gerückt – nicht nur für die Urlauber, sondern auch für unsere Bewohner ist es durchweg positiv, wenn ihre Umgebung sozusagen heil bleibt, sie eine saubere Umwelt und saubere Luft geniessen können. Erst da haben alle realisiert, dass wir damals einen goldrichtigen Weg eingeschlagen haben.
Hat es denn anfänglich Widerstand gegen dieses Konzept gegeben?
Durchaus. Es ist damals eine Partei gegründet worden, die sich gegen die Autofreiheit gewehrt hat, die hat sich aber nicht durchsetzen können. Es war natürlich ein längerer Prozess mit vielen kleinen Schritten. Einer der ehemaligen Gründer der gerade erwähnten Partei betreibt mittlerweile den erfolgreichsten landwirtschaftlichen Betrieb hier am Ort und hat von den Veränderungen nur profitiert. Wir bieten nun seit zehn Jahren unseren Gästen an, dass sie ihren Autoschlüssel zu Beginn ihrer Zeit hier abgeben und sich mit unseren sanften Verkehrsmitteln von der Pferdekutsche über Elektrofahrzeuge bis zu den neuen „Grashüpfern“, das sind Autos, die mit Biogas aus Wiesengras fahren, fortbewegen. Ebenso ist die Anreise per Bahn problemlos möglich – mittlerweile kommt ein Viertel unserer Gäste damit hierher. Und siehe da, innerhalb der ersten vier Jahre sind unsere Übernachtungen von zunächst 162.000 auf 212.000 gewachsen, ohne dass wir neue Herbergen errichtet hätten. Also das Tourismus-Konzept der sanften Mobilität wurde schon sehr, sehr gut angenommen.
Wie schafft es ein touristischer Anbieter, dass ein solches Konzept positiv aufgenommen wird?
Wissen Sie, sanfter Tourismus muss schlichtweg auch Spass machen! Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass jemand etwas nicht darf oder überall Verbote auf ihn lauern. Das funktioniert nicht. Es muss klar sein, dass jeder, der mitmacht, zusätzliche Freude erfährt und ausserdem etwas Gutes für die Umwelt tut.  

Welche Kriterien muss ein Ort, der sich als „Alpine Perle“ bewirbt, denn erfüllen?
Nun, ein Ort oder eine Verbandsgemeinde muss mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein – also wirklich bis zum Hotel muss der Urlauber per Bahn oder Bus kommen können. Das muss perfekt funktionieren – ohne Auto. Dabei müssen die unterschiedlichen Bedürfnisse von einem Wander-Urlauber genauso berücksichtigt sein wie von einem Ski- oder Wellness-Urlauber. Für alle müssen Mobilitätskonzepte vorhanden sein. Und das nicht nur im Ort selbst, sondern auch in der ihn umgebenden Region. So ist beispielsweise für uns in Werfenweng das Angebot einer Fahrt nach Salzburg unbedingt notwendig, denn es gehört zu einem Urlaub hier dazu, diese Stadt einmal zu besuchen.
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20 Alpine Pearls (Serie von 20 Bildern)

Bad Reichenhall BerchtesgadenBled          
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Gibt es auch Ausschlusskriterien, so dass es am Ende nicht irgendwann einmal inflationär 100(0) Perlen gibt?
Im Grunde ist unser Kriterienkatalog, der von einem Bewerber erfüllt werden muss, auch das Ausschlussmoment. Der Gemeinderat muss beispielsweise ein Verkehrskonzept vorlegen, welches den umweltverträglichen Verkehr unterstützt. Dazu gehört eine autofreie Zone im Ort, er darf keine Durchgangsstrasse haben und es soll auch die regionale Architektur, Kultur und Küche gepflegt werden. Damit kann nicht jeder Ort der Alpen aufwarten – es zählt die Qualität nicht die Quantität.
Sie haben gerade von der regionalen Küche gesprochen: Inwieweit geht es denn neben dem grossen Thema sanfte Mobilität auch um eine nachhaltige Form der Bewirtung der Gäste, die womöglich das ein oder andere exotische Gericht verlangen könnten? Wer will schon immer Nockerl essen?
Eines unserer Ziele ist, dass regional typisch gekocht wird und dabei Produkte aus der Umgebung verwendet werden, denn dadurch bleiben die Transportwege kurz und es entstehen weniger Emissionen. Wir nennen das Null-Kilometer-Menus. Dahinter steht auch, dass wir unsere Landwirtschaft erhalten möchten. Und Sie glauben ja nicht, wie kreativ Köche sein können mit allem was hier wächst und gedeiht. Auch wenn es um Nockerl und Gnocchi geht (lacht)! Allerdings sind unsere Kollegen in den Perlen im Friaul oder Südtirol was die heimische Küche angeht besser aufgestellt – und wir schielen da manchmal ganz neidisch rüber. Wir haben dieses Jahr sowieso ein Hauptaugenmerk auf der Kulinarik liegen und machen mit Aktionswochen mit regionalen Gerichten Werbung – das fängt schon bei der Anreise im Zug an…
Der Beitrag erschien am 07.07.2010 auf www.utopia.de; Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung
Weitere Informationen: www.alpine-pearls.com; Alpine Pearls ist das Resultat zweier aufeinander aufbauender Projekte der Europäischen Union (Alpenmobilität und Alpenmobilität II – Alpine Pearls). Ins Leben gerufen und koordiniert wurde die Initiative vom Österreichischen Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wassermanagement. Getragen wird sie von den lokalen/regionalen/nationalen Verwaltungen. Zu den Alpine Pearls gehören mehrere Mitglieder der "Allianz in den Alpen: Werfenweng (A); Villard de Lans (F), Les Gets(F) www.cipra.org;
Foto: Alpine Pearls
20 Alpine Pearls