Basel, 17.05.2010, akte/ In einer ägyptischen Kleinstadt lebt Sakîna mit ihrem Mann Saghlûl und den beiden Söhnen. Saghlûl ist ein Querkopf, ein stolzer Mann, der den Job hinwirft, wenn jemand seine Mutter beleidigt, der aber gleichzeitig zäh und anspruchslos ist: Er packt an, wenn jeder andere längst aufgegeben hat. Tagelang schlendert er mit leerem Magen durch die Stadt, weniger auf der Suche nach körperlicher als nach geistiger Nahrung. Dann sind die Gespräche der Studenten über die politischen Probleme des Landes wertvoller als ein Stück Brot. Und statt untertänig Abstand zu halten, verletzt er die Regeln des Anstands und belästigt den Scheich mit religiösen Fragen, die dieser als Gottlosigkeit interpretiert. Es kommt zum Handgemenge. Die Demütigung scheint Saghlûl weniger zu schmerzen als die Zerstörung seiner fadenscheinigen Gallabija, dem traditionellen bodenlangen Gewand.

Monoton fliessen die Tage dahin, nur unterbrochen von einzelnen Lichtblicken. Da ist der Bäcker, der dem Sohn erlaubt, die Backstube auszukehren und dafür Brotreste mitzunehmen. Der Alte, der die Dienste des geduldigen Saghlûl bis zu seinem Tod in Anspruch nimmt. Oder die vornehme Familie, bei denen Sakîna zunächst Brauchbares im Müll findet und schliesslich in die Dienste des Hausherrn tritt. Wenn Saghlûl arbeitet, backt Sakîna, um ihre aufgelaufenen Brotschulden bei den Nachbarinnen abzutragen. Doch eine Phase mit genügend Essen vergeht wie die nächste, am Ende bleiben die Mägen wieder leer. Und das offensichtlich nicht, weil die Nahrungsmittel nicht für alle genügten, sondern aufgrund der ungleichen Verteilung von Reichtum und Arbeit.

Wie der 1937 geborene Muhammad al-Bissati im knappen Erzählstil den körperlichen und geistigen Ruin durch Hunger beschreibt, geht an die Nieren. Saghlûl mag antriebslos erscheinen, Sakîna schicksalsergeben, dennoch beeindruckt ihr gemeinsames Aushalten, durch das immer wieder die Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben durchschimmert. Der Übersetzer Hartmut Fähndrich schreibt über das Werk al-Bissatis: "Es sind Romane, in denen die Figuren, bei aller Individualität, exemplarischen, fast gar mythischen Charakter besitzen. Seine Helden sind keine solchen, sondern Personen, die durch Misstrauen und Missverständnisse, durch falsche Fährten, Ignoranz oder gesellschaftliche Bedingungen gelenkt werden."

Muhammad al-Bissati: Hunger. Roman aus Ägypten, 140 Seiten, Lenos Verlag Basel 2010, Euro 17,50, CHF 28,90, ISBN 978 3 85787 406 2