Myanmar/Burma: Keine Investitionen ohne Sorgfaltspflicht
Die Regenzeit war länger als üblich, die Felder in Myanmar – dem ehemaligen Burma – schmücken sich diesen November mit den schillerndsten Farben. Die ockerfarbenen Böden wechseln mit dem Gelb der Sesamfelder und allen denkbaren Grüntönen von Kohl-, Reis-, Soja-, Tee-, Linsen- und Auberginenfeldern. Dazwischen Papaya-, Avocado- und Bananenplantagen. Shan, der Gemüsegarten des Landes, ist bekannt für seine fruchtbaren Böden. Die Zeit scheint hier stehen geblieben: kein fliessendes Wasser, keine Strassenbeleuchtung, wenn es ab 18 Uhr rabenschwarze Nacht wird in den Dörfern. In den Häusern hingegen gibt es seit zwei Jahren Licht, erzeugt mit von der Regierung verteilten Solarstrom-Panels. Auf den Dächern sind vereinzelt Satellitenschüsseln auszumachen; Bauern und Mönche hantieren mit ihren Smartphones – deren Verbreitung hat sich in bloss zwei Jahren verfünffacht.
"Die Ernte war gut dieses Jahr", freut sich Daw Khin Aye Thet, die einer Spar- und Kreditvereinigung für Frauen vorsteht. "Wir bauen genug an für den Eigenbedarf, aber es ist schwierig, unsere Produkte weiterzuverarbeiten, dazu fehlen uns sowohl das Know-how wie auch der Marktzugang." Zwar schaffen es die Frauen, aus dem Sesam Öl für die eigene Küche zu pressen; wenn es um die Veredelung ihrer Produkte geht, stehen ihnen aber Zwischenhändler im Weg, welche die lokale Wertschöpfungskette kontrollieren.
"Ausländische Investoren müssten uns neue Anbauprodukte zeigen und uns helfen, diese zu exportieren", trumpft eine andere Frau auf, den kleinen Finger noch voll schwarzer Tinte, das Zeichen, dass sie an den Wahlen vom 8. November teilgenommen hat. Nach dem überwältigenden Wahlsieg der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Aung San Suu Kyi träumt das Land von einer besseren Zukunft. Fragt man nach, was das genau heissen soll, muss die Bäuerin zugeben, dass sie keine grosse Ahnung hat. Ein ausländisches Unternehmen hat versucht, im Nachbardorf Vertragslandwirtschaft für Bio-Gemüse zu lancieren; das Projekt scheiterte aber daran, dass die Bauern die hohen Bio-Standards nicht erfüllen konnten.
Tiefer Stadt-Land-Graben
Im nagelneuen Büro von Nestlé mit Blick auf die Sulé-Pagode hat niemand auf die Aufforderung unserer Bäuerin in der Provinz gewartet. Im Herzen des alten Rangun, wo die zerfallenden Bauten aus der Kolonialzeit neben funkelnden Shopping-Centern stehen, könnte der Kontrast zum Land draussen nicht grösser sein: Die wirtschaftliche Hauptstadt Myanmars gleicht einem Ameisenhaufen, der Wandel vollzieht sich in atemberaubender Geschwindigkeit. "Wir studieren die Möglichkeit, den Bauern Kaffeebohnen abzukaufen", erklärt David Pettinari, Exekutivdirektor von Nestlé Myanmar. "Das Land produziert pro Jahr 3000 Tonnen Kaffee der Sorte Robusta, und Nestlé setzt sich dafür ein, dass der Anbau verbessert wird, damit wir schliesslich mehr und von einer besseren Qualität einkaufen können. Längerfristig möchten wir uns auch mehr in der Entwicklung der Milchwirtschaft engagieren, um lokale Milch zu produzieren."
"Die Regierung ist nicht in der Lage, die Investitionen zu regulieren", hält Daniel Aguirre von der internationalen Juristenkommission fest, "in den letzten Jahren wurden zwar viele Gesetze erlassen, aber ihre Anwendung gestaltet sich schwierig. So gibt es bis jetzt beispielsweise keine Umweltstandards. Die Bewirtschaftung der Böden ist eine hoch- sensible Geschichte, und um Probleme zu vermeiden, müssen die ausländischen Firmen sehr behutsam vorgehen."
Während Jahrzehnten wurde von den Militärs Land konfisziert, heute ist es im Visier der Investoren. Doch die enteigneten Bäuerinnen und Bauern wagen jetzt, Kompensation zu verlangen, und mehrere Aktivisten wurden deswegen in den vergangenen Jahren ins Gefängnis gesteckt. Die europäischen und die Schweizer Unternehmen scheinen die wirtschaftlichen Sonderzonen, wo Bodenfragen nicht klar geregelt sind, sorgfältig zu meiden. Das gilt auch für die Konfliktzonen, wo Edelsteine und wertvolle Rohstoffe geschürft werden.
Wie es um Menschenrechte steht
Die Schweizer Multis – ABB, Schindler, Roche usw. – beteuern, sie unternähmen alles Notwendige, um keine Menschenrechtsverletzungen zu begehen, was schwer zu verifizieren ist. Nestlé liess vom Danish Institute for Human Rights eine Studie durchführen, welche die Auswirkungen des Investitionsbooms auf die Menschenrechte untersuchte. "Wir haben unsere Aktivitäten durchleuchten lassen, darunter die ganze Produktionskette von den Produzenten bis zu den Händlern", fährt David Pettinari fort, "wir haben dabei keine Menschenrechtsverletzungen festgestellt. Allerdings ist der Umfang unserer Aktivitäten noch gering. Doch wir wollen auch in Zukunft sicherstellen, dass es auf unseren Musterfarmen oder in unseren Fabriken keine Landkonflikte und entlang der Produktionskette keine Kinderarbeit gibt."
Denn Arbeitsrechte bleiben ein heikles Thema. Zwar untersagt das Gesetz unter 18-Jährige anzustellen; Kinder, die in Restaurants und Strassencafés arbeiten, werden davon allerdings nicht erfasst. Doch die Situation bessert sich.
"Dank einem grossen Projekt der ILO ist die Zwangsarbeit drastisch zurückgegangen", freut sich Bobbie Sta Maria, die Vertreterin des Business and Human Rights Resource Center in Rangun. "Aber mit dem Boom des Textilsektors wird sich das Problem nicht bezahlter Überstunden stellen und eines Lohns, der für den Lebensunterhalt reicht. Die Regierung hat einen Mindestlohn von 3600 Kyat pro Tag (weniger als 3 Euro) festgelegt, aber viele Firmen haben dafür andere Leistungen gekürzt, und ziemlich überall ist es deswegen in letzter Zeit zu Streiks gekommen." Das Center hat 120 ausländischen Firmen – bis jetzt keiner aus der Schweiz – einen Fragebogen zum Thema Menschenrechte geschickt. Nur die Hälfte hat mehr oder weniger befriedigende Antworten gegeben. "Die asiatischen Firmen zieren sich eher, manchmal ist es aber auch bloss eine Frage der Zeit, bis sie dann ausführliche Antworten schicken", ergänzt Bobbie Sta Maria.
Das Myanmar Centre for Responsible Business, das von der Schweiz unterstützt wird, hat ein ähnliches Projekt unter burmesischen Firmen durchgeführt. Etwa zehn waren bereit, transparent Auskunft zu geben, während die anderen – vielleicht auch weil sie das nicht kannten – sich wenig kooperativ gezeigt haben.
Überall im Land spürt man den Wunsch, Fortschritte zu erzielen. "Das neue Investitionsgesetz sieht nicht vor, dass der Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus (ISDS) automatisch eingeführt werden soll", erklärt Daniel Aguirre, "die Regierung will sich damit die Möglichkeit vorbehalten, im Sinne des öffentlichen Interesses zu regulieren. Im Konfliktfall müssten Investoren also vor nationalen Gerichten erscheinen. Es stimmt, dass diese nicht sehr gut funktionieren, aber wenn sie das dereinst besser tun, dann profitiert die ganze Bevölkerung davon."
Nach den Wahlen werden die Investoren weiterhin nach Myanmar strömen. Aber vielleicht nicht zu irgendwelchen Bedingungen. "Heute kann kein Unternehmen mehr seine Verantwortung vernachlässigen wie noch vor zwanzig Jahren", schliesst Daniel Aguirre.
Aber es gibt noch auf Jahre hinaus grosse Herausforderungen: Die Militärs werden weiterhin die Schlüsselpositionen in gewissen Bereichen behalten. Und alles was mit Edelsteinen und Rohstoffen zu tun hat, wird noch lange ausgeblendet bleiben.