Nach dem Tsunami
Die Tourismusbranche versprüht Optimismus
Auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) vom März 2005 in Berlin, der weltweit grössten Reisemesse, waren verschiedene Veranstaltungen zum Tsunami gross angekündigt. Wer aber gedacht hat, es gäbe, zweieinhalb Monate nach der Katastrophe, einen Moment der Besinnung im Gedenken an die Opfer und die Verwüstungen, hat sich gründlich geirrt. „Wir sind wieder da – schickt uns Urlauber“, fasst die Berliner Zeitung den Tenor von Tourismusverantwortlichen aus betroffenen Ländern zusammen. Sie kamen mit grossen prunkvollen Ständen, hielten Pressekonferenzen und überwarfen sich geradezu mit „Specials“, Zusicherungen für Gästekomfort und verführerischen Sonderangeboten, so etwa Sri Lanka mit seinem „zwei zum Preis für einen“-Schnäppchen. Die ITB wird zum „Sprungbrett in ein neues touristisches Zeitalter nach der Flut“ titelt die Presse und man schaut krampfhaft nach vorne. Getreu der Devise der Welttourismusorganisation (WTO-OMT), die mit ihrem millionenschweren Aktionsplan zum schnellen Wiederaufbau des Tourismus im Rücken Optimismus versprüht und den Berichten und Bildern aus den Katastrophengebieten ihre bunten Tsunami-Sticker und Plakate entgegenhält mit der frohen Botschaft: „Tourism helps recovery“. Ins gleiche Horn stösst die deutsche Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul: „Wer jetzt nach Sri Lanka oder Thailand reist,“ meint sie zum Auftakt der ITB gegenüber den Medien, „leistet einen aktiven Beitrag zum Wiederaufbau“. Der gute alte Tourist im Gewand des Entwicklungshelfers aus den 70er Jahren ist wieder auferstanden; bloss hat er’s heute einfacher, kriegt er doch die Reise zum Schnäppchen-Preis von „zwei für eine“ – doch dazu wurde die Bundesministerin nicht weiter befragt. Der Berliner Zeitung gegenüber hielt sie fest, Tourismus könne einen ganz erheblichen Beitrag zur Entwicklung der armen Länder leisten. Was früher kritisiert worden sei, wären Sünden der Vergangenheit. Heute würden keine Hotels mehr ohne Abwasseranlagen gebaut. Auch das scheint reichlich optimistisch, wo Hoteliers aus dem beliebten thailändischen Badeort Phuket gerade fordern, dass die Kläranlage von Patong, die seit ihrer Fertigstellung 1991 noch nie voll funktioniert habe, endlich in die Wiederaufbaupläne eingeschlossen und zum Funktionieren gebracht werde. Doch „Patong has never looked lovlier“, vermeldet die Travel and Trade Gazette TTG. Genaueres Hinschauen war in der Euphorie der „Goldgräber-Wiederaufbaustimmung“ auf der ITB nicht gefragt, Kritik schon gar nicht. Der Tsunami, so prophezeit die TTG im Einklang mit der WTO-OMT, habe nämlich längerfristig gar keinen negativen Effekt auf den Tourismus, er stimuliere im Gegenteil die Reisen in die betroffenen Gebiete.
Landkonflikte, Schulden und neue Angst
Aufräumen, Lebensmittel besorgen, Trinkwasser, Häuser, Fischerbote, Schulen – die Meldungen aus betroffenen Gebieten rund um den Indischen Ozean sprechen von einer fieberhaften Aktivität, um zum Alltag zurückzukehren. Von einer Rückkehr zur Normalität und „business as usual“, wie es aus Tourismuskreisen verlautet, kann in vielen betroffenen Gebieten nicht die Rede sein, wenn sich auch die Situationen je nach Region sehr unterschiedlich ausnehmen. So schildert die thailändische Zeitung The Nation in einer Serie von Berichten aus Gemeinden der Provinzen Ranong, Krabi, Phang Nga, Phuket, Trang und Satun entlang der andamanischen Küste, die gut zwei Monate nach dem Tsunami zu einer Bestandesaufnahme zusammentrafen, mit welch immensen Aufgaben die Menschen konfrontiert sind und welche neuen Probleme sich ihnen täglich stellen. „Wir brauchen Zeit und es ist nicht eine Frage von wenigen Tagen“, sagen alle GemeindevertreterInnen. Erst aufräumen, den Schaden ermessen, Bedürfnisse eruieren und Prioritäten setzen, dann genauer planen, wie die Menschen aus Notunterkünften wieder angesiedelt, Schulen nachhaltig eingerichtet und Jobs geschaffen werden können. Doch die Zeit läuft davon. Bereits haben sich in verschiedenen Gemeinden in Thailand wie auch in Sri Lanka und Indien Immobilienspekulanten die Situation der Verwüstungen und ungeklärten Landrechte im unmittelbaren Küstengebiet zu Nutze gemacht, umstrittene Ländereien flugs zu ihrem Besitz erklärt und zum Teil schon mit dem Wiederaufbau von Tourismusprojekten begonnen. Fischerfamilien und Familienbetriebe für Bootsvermietung, Restaurants oder Souvenirs, die sich vor den Flutwellen in Sicherheit bringen konnten und ihre Behausungen verloren haben, können plötzlich nicht mehr zurück. Die Regierungserklärungen, wonach die meist bereits gesetzlich vorgesehenen Schutzzonen im Küstenbereich nach dem Tsunami nun effektiv eingehalten werden sollen, tragen das ihre zur Verwirrung der Fischer und KleinunternehmerInnen bei, die für ihren Erwerb den Zugang zum Strand benötigen. Wer darf denn jetzt die Strandzone nutzen? Wozu? Und wo sollen kleine Gewerbetreibende, oft aus dem informellen Sektor, künftig ihr Einkommen verdienen? Viele von ihnen hatten Kleinkredite aufgenommen. Nun ist nicht nur ihr Haus zerstört, sondern auch ihr Boot oder ihr Beach-Shack, das sie als Restaurant oder Souvenirstand betrieben hatten. Ohne Einkommen häufen sich die Schulden an. Zudem werden offenbar nicht selten die Menschen, die nichts als das nackte Leben retten konnten, gar für die Notunterkünfte zur Kasse gebeten, wenn diese von Privaten betrieben werden. Andernorts werden Menschen in Camps so üppig mit Geld und Gaben eingedeckt, dass sie keine Veranlassung mehr sehen, sich ein neues Leben aufzubauen. Verschiedene thailändische Gemeinden beklagen denn auch Korruption und Ineffizienz bei der Verteilung von Hilfsgeldern und das Vorgehen von gewissen ausländischen Hilfswerken, die vor allem nach Vorzeigeprojekten suchten. Dazu eignet sich die Sanierung von SchuldnerInnen oder verschuldeten Gemeindesparkassen natürlich ebenso wenig wie andere Langzeitmassnahmen für einen schrittweisen, aber selbstbestimmten Wiederaufbau. Vor allem aber haben viele Menschen den Schock des Tsunami und die Trauer noch gar nicht überwunden. Gerade die Ärmsten der Armen benötigen umsichtige, langfristig angelegte Hilfe, um nicht gänzlich ihrer Würde und ihrer Rechte beraubt zu werden. So die indigenen „Seenomaden“ an Thailands Küsten, denen Vertreibung droht, Witwen, die oft einen geringen sozialen Status haben und ihre Familien nun allein durchbringen sollten, die unzähligen Waisenkinder in Indonesien, Thailand, Sri Lanka und Indien, die nicht nur versorgt, sondern auch vor Kinderhandel geschützt werden müssen. Und da ist die Angst. Vielerorts haben die Menschen Angst vor den Geistern ihrer verschwunden Angehörigen oder den in Massengräbern hastig bestatteten Toten. Vor bösen Geistern, die mit einer neuen Flutwelle Schaden anrichten könnten. Die Katastrophe vom 26. Dezember kam jäh. Jetzt gibt es zwar ein erstes Tsunami-Warnsystem, das beim schweren Erdbeben von Ende März den BewohnerInnen etlicher Regionen rund um den Indischen Ozean die Gefahr einer Flutwelle ankündigte. Das jedoch schürte die Ängste erneut, wie Partner aus Indien uns schrieben; denn was nützt es zu wissen, dass Gefahr droht, aber nicht, wie und wohin man sich retten kann? /plus