Die Welternährungsorganisation FAO wurde im September mit Anfragen überhäuft: Steht eine weitere Hungerkrise bevor? Extreme Dürren und Waldbrände in Russland hatten grosse Teile der Getreideernte zerstört. Russland erliess daraufhin einen Exportstopp und die Weizenpreise auf dem Weltmarkt schnellten um über 60 Prozent in die Höhe. Nur wenig später kamen in der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Mosambik – ein Land, das auf Weizenimporte angewiesen ist – bei Ausschreitungen wegen der hohen Brotpreise 13 Menschen zu Tode.
Im Gegensatz zur Schweiz, in der nur rund sieben Prozent des Haushaltsbudgets für Lebensmittel veranschlagt werden, müssen die Menschen in vielen Entwicklungsländern bis zu zwei Drittel ihres Einkommens dafür aufbringen. Schon geringe Preiserhöhungen führen daher vor allem bei Armen in den Städten zwangsläufig zu mehr Hunger.

Die Ursachen von Hunger werden kaum bekämpft

Die aktuellen Nachrichten gleichen denen aus den Jahren 2007 und 2008. Auch damals explodierten die Lebensmittelpreise regelrecht. Die Hungerkrise führte damals nicht nur zu Revolten in über 30 Ländern und dem Sturz der Regierung in Haïti. Die Zahl der Hungernden stieg weltweit auf über eine Milliarde Menschen an.
Bereits 2009 stellte der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung fest, dass die Lehren aus der Hungerkrise nicht gezogen worden waren. Weder wurden wirksame Massnahmen gegen Spekulationen im Agrarsektor ergriffen, noch der Agrotreibstoffboom eingedämmt, noch ein Richtungswechsel in der internationalen Agrarpolitik eingeleitet. Doch nur so liessen sich die eigentlichen Ursachen der Krise bekämpfen.
Nachdem viele Entwicklungsländer ihre Landwirtschaft entweder komplett vernachlässigt oder auf die Produktion für den Export umgestellt haben, können sie sich nicht mehr selber ernähren. Sie müssen die Lebensmittel auf dem Weltmarkt zukaufen. Diese Abhängigkeit ist fatal, denn der Weltmarkt wird zunehmend unkalkulierbar – die Weizenpreise sind dafür das aktuelle Beispiel.
Und die Spirale dreht weiter: Die Vereinten Nationen rechnen in den nächsten zehn Jahren mit einem Preisanstieg von 40 Prozent, auch ausgelöst durch den Klimawandel und die Produktion von Agrotreibstoffen.

Hohe Preise – fantastische Gewinne für die Agrochemie

Kleinbauernfamilien profitieren von den hohen Preisen jedoch bisher nicht. Hingegen verzeichnen die Saatgut- und Agro-Chemiekonzerne fantastische Gewinne: Syngenta bezeichnete das Jahr 2008 – den Höhepunkt der Hungerkrise – in ihrem Jahresbericht «als hervorragendes Jahr für die Landwirtschaft».
Wer es sich leisten kann, weitet die Anbaufläche aus. Importabhängige Länder wie Saudi-Arabien, Ägypten oder China kaufen oder pachten riesige Ackerflächen in ärmeren Ländern wie Sudan oder Mosambik. Dort wollen sie Lebensmittel für den eigenen Bedarf produzieren. Investmentfonds und Banken tun es ihnen gleich, denn sie haben Agrarland als höchst profitable Anlage entdeckt. 20 bis 50 Millionen Hektar sind so allein in den letzten drei Jahren vor allem in Afrika südlich der Sahara dieser Landnahme zum Opfer gefallen.
Für die arme Bevölkerung dieser Länder kommt dies einer Katastrophe gleich. Noch immer sind die Kleinbauern, die in ländlichen Gebieten von der Landwirtschaft leben, am stärksten von Hunger betroffen. Diese Kleinbauerfamilien müssen unterstützt werden, will man verhindern, dass eine Hungerkrise die nächste ablöst. Was Kleinbauern brauchen, um ein existenzsicherndes Einkommen zu erwirtschaften, ist längst bekannt: Gesicherter Zugang zu Land, biologische Anbaumethoden, die Anbindung an lokale und regionale Märkte sowie faire Handelsbedingungen. Regierungen armer Länder könnten so in den Anbau von Grundnahrungsmitteln investieren und sich aus der Abhängigkeit von Importen lösen. Denn eines ist sicher: Der Weltmarkt wird Ernährungssicherheit auch in Zukunft nicht gewährleisten.
Heute gehen viel mehr Kinder zur Schule als noch vor zehn Jahren. Und mehr Menschen haben Zugang zu Trinkwasser und Gesundheitseinrichtungen. So lautete der positivere Teil der mageren Zwischenbilanz, die die UNGeneralversammlung im September zu den Millennium-Entwicklungszielen zog. Vor zehn Jahren hatte sich die Staatengemeinschaft vorgenommen, bis 2015 auch die Armut und die Zahl der Hungernden zu halbieren. Doch heute hungern 920 Millionen Menschen – mehr als vor wenigen Jahren. Und auch dem Ziel nach mehr Geschlechtergerechtigkeit ist man kaum näher gekommen. Aussenministerin Calmy-Rey anerkannte daher in ihrer Rede vor der UNO, dass für die Bekämpfung von Armut und Hunger eine konsequente Durchsetzung der Menschenrechte unerlässlich ist.
SWISSAID fordert darüber hinaus, dass die Schweiz endlich ihre Versprechen hält und das Entwicklungsbudget erhöht. Zudem braucht es zwingend mehr Kohärenz in der Aussenpolitik: In Steuerfragen muss die Schweiz auch den armen Ländern entgegen kommen und Steuerflucht verhindern. Auch darf sie anderen Ländern nicht ihren hohen Patentschutz auf Medikamente, Pflanzen und Tiere aufzwingen, der zu einer Verteuerung im Gesundheitsbereich und in der Landwirtschaft führt. Der UN-Gipfel kam zu dem Schluss, dass es noch nicht zu spät sei, die Millenniumsziele zu erreichen. Doch es ist fünf vor zwölf. Auch die Schweiz muss endlich handeln.