Nachhaltig reisen – zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Nachhaltigkeit ist in den Köpfen der Reisenden angekommen – dies die gute Nachricht der Studie "Nachfrage für Nachhaltigen Tourismus im Rahmen der Reiseanalyse" [1], die 2014 im Auftrag des deutschen Bundesumweltministeriums erstellt wurde: 31 Prozent der Bevölkerung (ab 14 Jahre) legen Wert auf eine ökologisch verträgliche, ressourcenschonende Urlaubsgestaltung, Sozialverträglichkeit, faire Arbeitsbedingungen fürs Personal und Respekt der einheimischen Bevölkerung sind sogar für 38 Prozent der Bundesbürger wichtig. Und das Interesse für nachhaltige Urlaubsreisen steigt, erwarten laut der neuesten Reiseanalyse 2015 doch bereits 42 Prozent der Deutschen einen umweltfreundlichen Urlaub, während die soziale Verträglichkeit für gar bereits 49 Prozent wichtig ist. Nachhaltigkeit ist für die Mehrheit der Reisenden von Bedeutung und der Wunsch nach nachhaltigen Urlaubsreisen ist auch in der gesellschaftlichen Mitte angekommen, hält die Studie des Bundesumweltministeriums weiter fest, gehören doch inzwischen Personen aller sozialen Gruppen zu den Interessierten. Besonders grosses Interesse zeigen Studienreisende, Natururlauber sowie Personen, die öfters reisen als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Beachtliches Potenzial für die notwendige Trendwende im Tourismus
Kein Wunder. Mit steigender Reiseerfahrung kennen immer mehr Reisende die Kehrseiten des Tourismus aus eigener Anschauung: mit Bettenburgen zubetonierte Strände, Müllkippen, bettelnde Kinder und verkitschte Folklore. Verschiedenste Marktforschungen belegen den wachsenden Wunsch nach einem genussvollen stressfreien Urlaub, der authentische Begegnungen mit Einheimischen ermöglicht, diesen Nutzen bringt und die kostbaren Ressourcen am Ferienort erhalten hilft. Wie auch immer Reisende diesen Wunsch mit Nachhaltigkeit verknüpfen – da ist Potenzial für eine Trendwende zur nachhaltigen Entwicklung im Tourismus. Und diese ist dringend nötig: Der Tourismus wird von internationalen Gremien und Regierungen rund um den Globus als der Hoffnungsträger schlechthin für nachhaltige Entwicklung, neue Einnahmen, Arbeitsplätze und Inwertsetzung von Natur und Kultur gepriesen und gefördert. Doch der boomende Tourismus geht, wie zahlreiche Studien aufzeigen, vielerorts mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher: Vertreibung von Einheimischen für neue 5-Stern-Anlagen, Ausbeutung von Angestellten und Kindern. Dazu heizt der rasant wachsende Flugverkehr, der zu über 70 Prozent touristischen Zwecken dient, das Klima ständig weiter auf [2]. In der Schweiz, wo gemäss WWF Schweiz doppelt so viel geflogen wird wie in den Nachbarländern, ist der Luftverkehr bereits zu über 16 Prozent für den Klimaeffekt verantwortlich [3].
Multiple Hürden bei der Umsetzung
Noch ist die Trendwende aber nicht geschafft. Die Studie zur Reiseanalyse 2014 kommt zum ernüchternden Ergebnis, dass zwischen dem vielseitigen Wunsch, nachhaltig zu reisen, und der tatsächlichen Umsetzung ein beträchtliche Diskrepanz besteht: 22 Prozent der Befragten geben zwar an, dass sie bei ihren Urlaubsreisen immer sehr auf Nachhaltigkeit achten, doch liegt der Anteil der ihren eigenen Angaben zufolge nachhaltig durchgeführten Urlaubsreisen deutlich tiefer. 61 Prozent der Befragten würden ihren Urlaub gerne nachhaltig gestalten, setzen ihren Wunsch aber nicht um: Mehr als die Hälfte sehen in den zusätzlichen Kosten einen Hinderungsgrund, annähernd gleich viele fanden keine nachhaltigen Angebote für ihre geplante Reise oder die Suche zu aufwändig. 43 Prozent nannten als Hürden fehlende Informationen und 32 Prozent das begrenzte Angebot auf dem Markt. Bei der komplexen Reiseentscheidung werden die guten Vorsätze offenbar schnell von anderen Wünschen und Bedürfnissen überlagert: So gibt jeder 5. Befragte an, 2013 auf eine Fernreise, und jeder 4. Befragte auf eine Flugreise für den Haupturlaub verzichtet zu haben, doch die Zahl der Fern- und Flugreisen nahm insgesamt zu. Zudem wurde für nur gerade 3 Prozent der Urlaubsflüge und 1 Prozent der Pkw-Reisen eine finanzielle Kompensation der Klimawirkungen gezahlt. Konsequenter werden nachhaltige Verhaltensoptionen bei den Aktivitäten am Urlaubsort genutzt: umweltschonende Naturerlebnisse, Sitten und Gebräuche der gastgebenden Bevölkerung respektieren, regionale Anbieter berücksichtigen, umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzen. Handlungsmöglichkeiten werden ganz offensichtlich da ergriffen, wo sie im Rahmen der geplanten Ferien einfach zur Hand sind und nicht zu arg auf den Geldbeutel drücken. Denn auch wenn sich 65 Prozent der Befragten der Reiseanalyse selbst in der Verantwortung sehen, ihr Verhalten anzupassen, was klar auf ein steigendes Bewusstsein hindeutet, reist letztlich kaum jemand in den Urlaub, um die Natur zu schützen oder die Welt zu verbessern, sondern in erster Linie, um schöne Ferien zu geniessen.
Einfacher, transparenter, verlässlicher – Anbieter sind gefordert
Will man erreichen, dass mehr Konsumenten effektiv nachhaltig reisen, muss der Aufwand für sie in einem attraktiven Verhältnis zum Nutzen stehen – so das klare Fazit der Studie zur Reiseanalyse 2014. Dazu braucht es einerseits sehr viel klarere, einfache Informationen, was Nachhaltigkeit bedeutet, sind doch die Vorstellungen davon bei den Reisenden noch immer sehr vage. Reisende müssen konkret erfahren, was sie dafür tun können und was dies ihnen bringt: Qualität, Erlebniswert, Beitrag zum Erhalt von Natur und Umwelt, nicht zuletzt gutes Gewissen und Imagegewinn. Andererseits gilt es, ein sehr viel breiteres Angebot an attraktiven, verlässlich auf ihre Umwelt- und Sozialverträglichkeit gekennzeichneten Produkten bereitzustellen, welche die Urlaubswünsche zu befriedigen vermögen und preislich kompetitiv sind. Sicher hat die auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Qualität auch ihren Preis. Doch allzu lange wurde der sogenannte Nachhaltige Tourismus als Nischenprodukt von Spezialanbietern oder in Form von exklusiven, oft auch überteuerten Angeboten von grossen Veranstaltern auf den Markt gebracht. Heute sehen 57 Prozent der Befragten der Reiseanalyse die Tourismusindustrie in der Pflicht, ein ausreichendes Angebot an nachhaltigen Produkten bereitzustellen. Die Erwartung der Reisenden an die Branche steigt, wie auch die neue Umfrage des Schweizer Reiseverbands zur Nachhaltigkeit in Reisebüros zeigt [4]. Noch aber erhält man kaum Auskunft über die Umwelt- und Sozialverträglichkeit der Angebote auf dem Markt. Die meisten neuen trendigen Buchungsportale scheinen Nachhaltigkeit noch gar nicht zu kennen. Und selbst die Veranstalter, die ein Nachhaltigkeitsmanagement eingeführt haben, kommunizieren ihr Angebot nicht entsprechend. Dabei verschenkt die Branche wertvolles Potenzial, das auch wirtschaftlich interessant wäre, wie die Erfolgsbilanzen der im Dachverband "forum anders reisen" zusammengeschlossenen Reiseunternehmen belegen, die ihr Nachhaltigkeitsengagement klar ausweisen. Es braucht ganz offensichtlich verstärkten Druck der Reisenden, von den Anbietern Transparenz über die Nachhaltigkeit der Angebote einzufordern.
Klare Rahmenbedingungen – die Politik steht in der Pflicht
41 Prozent der Befragten der Reiseanalyse sehen auch den Staat gefordert, einen entsprechenden Ordnungsrahmen mit Gesetzen und Verhaltensregeln zu erlassen. Kein Zweifel, die Politik steht in der Verantwortung, Nachhaltigkeit auch im Tourismus konkret zu fördern. Die Studie zur Reiseanalyse schlägt eine Kennzeichnungspflicht nach einem einfachen einheitlichen System vor, wie dies bereits etwa für Elektrogeräte, Nahrungsmittel oder Kraftfahrzeugen gilt. Doch über Einzelregulierungen hinaus geben nun die im September 2015 von der UNO verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG) einen neuen umfassenden Orientierungsrahmen ab [5]: Erstmals enthält eine solch wichtige internationale Vorgabe auch konkrete Ziele zum Tourismus, der aufgrund seines Wachstums weltweit als Hoffnungsträger für Wirtschaftsentwicklung gehandelt wird, dessen boomendes Wachstum aber, wie nun von höchster Stelle anerkannt, auch effektiv auf die Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung ausgerichtet werden muss. Insbesondere eröffnen die konkreten Vorgaben zum Tourismus in Ziel 12) der globalen SDG zu nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern neue politische Handlungsfelder in den Destinationen wie auch in den Quellmärkten, wo die meisten Entscheidungszentren der mächtigen Tourismusunternehmen angesiedelt sind. Wie sehen nun nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster im Tourismus effektiv aus? Mit welchen politischen Strategien und Massnahmen werden sie verknüpft – auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene? Wer ist auf welcher Ebene für die Umsetzung der SDG verantwortlich? Finden die Nachhaltigkeitsziele zum Tourismus sowohl bezüglich seiner lokalen und regionalen Entwicklung, aber auch bezüglich der outbound Reisetätigkeit Eingang in nationale Nachhaltigkeitsstrategien? Werden diese verbunden mit internationalen Finanz- und Handelsabkommen? Oder den UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten (UNGP), welche die menschenrechtliche Verantwortung von transnationalen Unternehmen klar bezeichnen, deren Umsetzung derzeit in verschiedenen Ländern der Welt in Nationalen Aktionsplänen festgeschrieben wird? Denn es gibt auch im Tourismus keine Nachhaltigkeit ohne Achtung der Menschenrechte. Bereits steht die Nagelprobe an, wie ernst es die internationale Gemeinschaft mit der nachhaltigen Ausgestaltung des Tourismus meint: Werden auf dem kommenden Klimagipfel in Paris der internationale Flugverkehr und die Schifffahrt, die ja vom Kyoto-Protokoll ausgeklammert waren, aber unter den Vorzeichen des Tourismus ganz beträchtlich zum Klimawandel beitragen, endlich zukunftsweisend in ein globales Klimaabkommen einbezogen?