"Nahrungsmittelspekulation – (k)ein Problem?", lautet der Titel der vom Ökonomen und ehemaligen Radiojournalisten (SRF 1) Markus Mugglin im Auftrag von Alliance Sud verfassten Studie.
Ende März haben die JungsozialistInnen die Volksinitiative gegen Nahrungsmittelspekulation ("Spekulationsstopp-Initiative") eingereicht. Dieses Jahr wird der Bundesrat dem Parlament zudem das Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) zur Regulierung des Derivatehandels unterbreiten – ein Gesetz, das auch die Nahrungsmittelspekulation betrifft. Die Schweizer Politik wird sich also, ob sie will oder nicht, in den kommenden Monaten mit den Problemen der Nahrungsmittelspekulation beschäftigen müssen.

Einmal mehr: Die Schweiz hinkt hinterher

Die von Alliance Sud vorgelegte Studie zeigt, dass hierzulande abwehrende und verharmlosende Stellungnahmen noch dominieren. Der Bundesrat betont den Nutzen der Spekulation und sieht keinen Handlungsbedarf. Hofökonomen liefern "wissenschaftliche" Unterstützung – ohne sich gross auf die kontroverse internationale Diskussion einzulassen. Den Abwehrdiskurs führen auch Finanzmarktakteure wie die UBS, Julius Bär oder Vontobel, die negative Einflüsse der Spekulation auf die Nahrungsmittelpreise leugnen und weitermachen wollen wie bisher. Allerdings gibt es auch andere Stimmen: Banken wie die CS oder die ZKB wollen ihr Engagement reduzieren oder, wie Sarasin, alternative Anlagestrategien verfolgen, um die negativen Folgen der Nahrungsmittelspekulation zu verringern. Auch Schweizer Rohstoffhändler weisen auf Probleme hin, die neue Finanzakteure auf dem Markt für Nahrungsmittel-Absicherungsgeschäfte verursachen.
Trotzdem hinkt die hiesige Diskussion den Auseinandersetzungen im Ausland einmal mehr hinterher. In den USA und der EU ist die Begrenzung der Nahrungsmittelspekulation bereits beschlossene Sache. Beide haben Gesetze ausgearbeitet, die den gesamten Derivatehandel re-regulieren. Gegen einzelne ihrer Bestimmungen laufen allerdings noch Einsprachen der Branchenlobbyisten. Auf der gesellschaftlichen Ebene haben kritische KonsumentInnen in Deutschland und Frankreich zudem schon einige Banken zur Aufgabe der Nahrungsmittelspekulation bewegt. Es ist Zeit, sich auch in der Schweiz seriöser mit dem Problem auseinanderzusetzen.

Umstrittener Einfluss der Spekulation

Seit der Jahrtausendwende geben die Nahrungsmittelpreise Anlass zu Sorge: Erstens haben sie sich verdoppelt. Zweitens sind sie volatiler geworden – es kommt seit 2006/2007 zu häufigen und grossen Preisausschlägen. In verschiedenen Entwicklungsländern haben Menschen am Rand der Subsistenz gegen stark steigende Lebensmittelpreise revoltiert.
Aus entwicklungspolitischer Sicht sind mehrere Ursachen der neuen Preisdynamik zu nennen:
(1) die Vernachlässigung der Landwirtschaft in denjenigen Entwicklungsländern, die nach 1982 den Umstrukturierungsprogrammen der westlichen Geberländer unterworfen wurden; (2) die steigende Nachfrage; (3) der Anbau von Pflanzen zur Agrotreibstoffherstellung, der auf Kosten des Anbaus von Nahrungsmitteln geht und durch neue Gesetze der USA und der EU verursacht wurde, welche die Beimischung von Agrotreibstoffen vorschreiben; (4) extreme Klimaereignisse, die dank Klimawandel häufiger werden; (5) und schliesslich eine exzessive Spekulation auf Nahrungsmitteln, die zur Volatilität der Preise beiträgt.
Welche Rolle die Spekulation spielt, ist unter ÖkonomInnen umstritten. Mugglins Studie zeigt, dass die Verteidiger der Spekulation mit vorhandenen Daten und Ereignissen sparsam umgehen und sich nur ungenügend auf die Argumente und Fakten einlassen, welche die Spekulationskritiker anführen. Tatsache ist, dass bis Ende der neunziger Jahre finanzielle Absicherungsgeschäfte zwischen Produzenten und Verarbeitern von Rohstoffen stark reguliert waren, was das Volumen des spekulativ eingesetzten Kapitals begrenzte. Das ist die "nützliche" Spekulation, von der der Bundesrat annimmt, sie existiere weiterhin. Nach der Deregulierung begannen aber neue Finanzmarktakteure, mit Rohstofftiteln zu spekulieren. Das Volumen der entsprechenden Derivate hat sich vervielfacht und jeden Bezug zur realen Basis der gehandelten Rohstoffe verloren.

Ja zur Regulierung der Finanzmärkte. Aber wie genau?

Deshalb ist aus Sicht von Alliance Sud die Re-Regulierung der Nahrungsmittelspekulation eine von vielen Massnahmen, die zur Sicherung der Ernährung aller Menschen nötig sind. Die Juso-Initiative verlangt in diesem Sinne, den Zugang der Finanzmarktakteure zur Nahrungsmittelspekulation einzugrenzen und diese im Wesentlichen auf das Absicherungsgeschäft zu konzentrieren. Sie könnte parlamentarisch mit einem ausgearbeiteten Gegenvorschlag, der die schädliche Spekulation unterbindet, beantwortet werden. Möglicherweise lassen sich geeignete Massnahmen auch ins geplante Finanzmarktinfrastrukturgesetz einarbeiten.
Mugglins Studie diskutiert und erläutert verschiedene Regulierungsachsen. Alliance Sud erachtet fünf davon als zielführend:

  1. Der ausserbörsliche Derivatehandel soll ohne Ausnahmen über öffentliche Clearingstellen ablaufen, um volle Transparenz für alle Akteure und die Aufsichtsbehörden zu schaffen.

  2. Die SpekulantInnen sollten Positionslimiten unterstellt werden – sie dürfen mit jedem Rohstoff nur bis zu einer oberen Grenze in Termingeschäften oder Derivaten handeln. Das war das Hauptregulierungsinstrument bis in die späten neunziger Jahre.

  3. Regulierung bestimmter Handelspraktiken: Der Eigenhandel von Banken und Handelsplattformen mit Derivaten sollte verboten werden. Mindestens eingeschränkt, wenn nicht verboten werden sollte der Hochfrequenzhandel mit Derivaten. 

  4. Preisstabilisierungsinstrumente: Ab einer gewissen Höhe der Preisausschläge sollte der Handel (wie im Aktienbereich) durch die Handelsplattformen unterbrochen werden. Zudem ist die Einführung einer mehrstufigen Transaktionsabgabe zu prüfen, die bei der Durchbrechung bestimmter Preisbänder erhöht werden kann.

  5. Schliesslich ist zu prüfen, ob die Akteure auf den Rohstoffmärkten institutionell zu trennen wären. Seit der Deregulierung sind die grossen, oligopolistischen Rohstoffhändler ebenfalls mit eigens geschaffenen Finanzinstituten in der Spekulation mit Rohstoffderivaten tätig – die sie als Insider mit grossem Informationsvorsprung betreiben können. Sinnvoll wäre es, die physischen Händler institutionell von den Finanzakteuren zu trennen.

Die USA und die EU haben einige dieser Punkte in ihre Regulierung des Derivatehandels aufgenommen, wobei die betroffenen Akteure Ausnahmen durchsetzen konnten, welche einen Teil der Regulierungen zu unterlaufen drohen. Der Bundesrat will sich der Gesetzgebung der EU anpassen, allerdings nur zum Teil – die Branche mahnt, keinen "Swiss Finish" anzustreben, sondern sich mit weniger zu begnügen. Schliesslich will der Bundesrat, der Landes-Unsitte entsprechend, auf Selbstregulierung setzen. Es liegt deshalb am Parlament, Regeln in den Gesetzesentwurf einzuarbeiten, welche die schädliche Nahrungsmittelspekulation zu unterbinden helfen. Wie es das tut, wird darüber entscheiden, ob die Juso-Initiative 2016 vors Volk kommt und welche Kräfte sie unterstützen werden.