Naturnaher Tourismus: Genuss ohne Reue
Der Klangweg Toggenburg führt in drei Etappen von der Alp Sellamatt ob Alt St. Johann bis ins Oberdorf bei Wildhaus. Ein Zaun aus Metallflöten, ein Zugspecht, der seine Trommelwirbel klopft, Flipperkästen mit Glocken – der Klangweg ermöglicht es seinen Gästen, mehr als zwanzig verschiedenen Instrumenten musikalische Töne zu entlocken. Diese mischen sich in der Toggenburger Berglandschaft mit dem Klang der Kuhglocken und dem Gesang der Vögel. Den Klangweg bewandern jedes Jahr mehrere zehntausend Besucherinnen und Besucher – ein erfolgreiches Beispiel für ein naturnahes Tourismusangebot in der Ostschweiz.
Auch andere Gegenden in den Alpen bieten solche natur- und kulturnahe Angebote. Im Tiroler Kaunertal erwartet die Gäste des Naturparks Kauergrat das grosszügig gestaltete Naturparkhaus. Dort erfahren sie, hoch oben auf dem Berg, die Besonderheiten der Region: Anschauliche Modelle, Bilder und Texte vermitteln die Lebensräume von Tieren und Pflanzen, von den trockenen Steppenhängen im Tal bis zum ewigen Eis auf 3000 Metern über Meer. Das Naturparkhaus Kaunergrat empfängt jedes Jahr über hunderttausend Menschen und ist der Ausgangspunkt für attraktive Wanderungen und Exkursionen.
Gleiche Fragen diesseits und jenseits des Arlbergs
Der Klangweg Toggenburg und das Naturparkhaus Kaunergrat sind unterschiedliche naturnahe Tourismusangebote in zwei verschiedenen Ländern. Die Fragen für die Tourismusverantwortlichen lauten jedoch ähnlich. Sie möchten wissen, welche Angebote von den Gästen besonders gut angenommen werden, welche Aktivitäten die Natur schonen und welche weniger geeignet sind, oder wie die Bevölkerung und die Natur in den Berggebieten vom naturnahen Tourismus profitieren können. Der Erfahrungsaustausch ist ein Gewinn für beide Seiten. Doch wie wird diese Zusammenarbeit am besten organisiert? Wie sieht die gute Praxis aus? Und wo liegt die Messlatte der Qualität?
Mit solchen Fragen beschäftigt sich das Projekt "NaTourCert" des ILF Instituts für Landschaft und Freiraum an der HSR. Vor dem Hintergrund der Alpenkonvention entwickeln die Fachleute des Instituts alpenweite Qualitätsstandards für den naturnahen Tourismus. Diese sollen den Tourismusverantwortlichen in den Regionen helfen, die Messlatte für erfolgreiche Angebote zukünftig richtig zu legen. Um diese Qualitätsstandards zu definieren, führte das ILF Experteninterviews mit Fachleuten aus Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Slowenien und der Schweiz. In einer alpenweiten Online-Umfrage wurden die Ergebnisse der Experteninterviews überprüft und verfeinert. Von Exponenten rund um den alpinen Tourismus kamen 1’400 ausgefüllte Fragebogen in vier Sprachen zurück.
Bewertungsraster als Orientierungshilfe
Für die alpenweite Zusammenarbeit im naturnahen Tourismus zeichnen sich künftig zehn Handlungsfelder ab. Für jedes Handlungsfeld prüft das ILF derzeit konkrete Qualitätsstandards. Entscheidend ist, welche Aktivitäten besonders zu fördern sind und welche nicht. Beim Wandern und beim Schneeschuhlaufen scheint der Fall klar. Bei Aktivitäten wie Downhill-Biken sind die Experten der Meinung, dass die Sportart nicht im Rahmen des naturnahen Tourismus gefördert werden soll. Einen zentralen Aspekt bilden attraktive Bildungsangebote zu Themen wie Kulturlandschaft, Tiere, Pflanzen und Geologie. Dies sensibilisiert die Gäste für die Besonderheiten der Gegend und lädt sie zum eigenständigen Naturerlebnis ein. Im naturnahen Tourismus sollen Alpenregionen eine hohe Qualität von Beherbergung und Verpflegung anstreben und ein Augenmerk auf regionale Spezialitäten legen.
Diesen Frühling wird das ILF die entwickelten Qualitätsstandards anhand von regionalen Fallbeispielen überprüfen. Dafür wählte das Institut sechs Fallgebiete in sechs Ländern aus, darunter beispielsweise die Tourismusdestination Engadin-Scuol-Samnaun im Unterengadin. Die Forscherinnen und Forscher werden im Sommer 2013 im Rahmen eines internationalen Workshops die Ergebnisse mit Vertretern der beteiligten Regionen überprüfen und diese mit weiteren Experten diskutieren und validieren. Aus dem Schlussergebnis wird das ILF ein bereinigtes Set an Qualitätsstandards publizieren. Dieses wird die Basis für die weitere Zusammenarbeit im Alpenraum bilden – zum Wohl der Gäste wie der Bevölkerung – und der Natur, denn sie ist das touristische Kapital der Bergbevölkerung.
Die schweizerische Bristol-Stiftung finanziert das Projekt "NaTourCert". Es läuft von August 2011 bis im Dezember 2013.
Die Alpenkonvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Alpenstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Österreich, Schweiz, Slowenien, Monaco und der EU. Ziel ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung in den Alpen, zum Beispiel in Tourismus, Verkehr, Naturschutz und bei der Energie.