In der postkolonialen Geschichte Sri Lankas markiert der Januar 2015 die bislang größte Hoffnung auf eine Wende. Völlig unerwartet verliert der seit 2006 autoritär herrschende Staatschef Mahinda Rajapaksa die Präsidentschaftswahl. In jeder Faser ebenbürtig den Erdoğans dieser Welt, bestellt er spät nachts noch die Armeeführung ein: Zu spät, die Generäle ziehen nicht mehr mit. Unter der Losung »Yahapalaanaya« (Gutes Regieren) bildet sein langjähriger Weggefährte Maithripala Sirisena ein Kabinett, in dem die miteinander konkurrierenden Großparteien der singhalesisch-buddhistischen Mehrheitsgesellschaft erstmals zusammenwirken wollen: Rajapaksas und Sirisenas Sri Lanka Freedom Party (SFLP, mitte-links, singhalesisch-nationalistisch) und die von Ranil Wickremesinghe geführte United National Party (UNP, mitte-rechts, singhalesisch-nationalistisch). Unterstützt wird die Regierung von den antinationalen Flügeln der kleineren singhalesischen Linksparteien und von der Partei der Muslime (Sri Lanka Muslim Congress, SLMC).
Ohne der Koalition beizutreten, sagt auch die politische Vertretung der tamilisch-hinduistischen Minderheitsgesellschaft, die aus verschiedenen Parteien zusammengesetzte Tamil National Alliance (TNA), der neuen Regierung ihre Unterstützung zu. Dasselbe tut die Janata Vimukhti Peramuna (JVP, Volksbefreiungsfront), die einstmals zugleich von Mao und Guevara inspirierte radikalste Partei der singhalesischen Linken, auch sie strikt nationalistisch. Die Regierungskoalition verspricht die Abschaffung der quasi-diktatorischen Exekutivpräsidentschaft, einen demokratischen Prozess der Aussöhnung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den verschiedenen ethnisch-religiösen Minderheiten sowie eine neue Verfassung, welche die Gleichberechtigung aller BürgerInnen stärkt.
Drei Monate später ist das erste Versprechen umgesetzt: Sri Lanka kehrt zur parlamentarischen Demokratie zurück. Damit wird die im August folgende Parlamentswahl zur Bewährungsprobe: Rajapaksa könnte zur Macht zurückkehren. Doch die Januar-Revolution wird mit klarer Mehrheit bestätigt. Sirisena ist jetzt repräsentatives Staatsoberhaupt, UNP-Chef Wickremesinghe wird Premierminister und der greise, kampferprobte Vorsitzende der TNA, Rajavarothiam Sampanthan, wird als »Honorable Leader of Opposition« zum dritten Mann im Staat. Das Parlament ernennt sich zur Verfassunggebenden Versammlung und damit zum höchsten Organ einer institutionell fortzusetzenden Revolution. Einen Monat später wird die neue Regierung auf eigenen Wunsch Mit-Initiatorin einer Resolution des UN-Menschenrechtsrats. Diese verpflichtet Sri Lanka zur Aufklärung aller Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen und zur Umsetzung von »Transitional Justice«, der Aufarbeitung der begangenen Verbrechen.

Zur Vorgeschichte des Januar-Aufbruchs

Die nach dem damaligen Stand eigentlich unmögliche Januar-Revolution und ihre nicht weniger unmögliche Yahapalaanaya-Regierung sind nur aus der besonders gewaltsamen postkolonialen Geschichte Sri Lankas heraus zu verstehen. Zu ihr gehören die drei Jahrzehnte des singhalesisch-tamilischen Bürgerkriegs, dessen eine Partei, die Liberation Tiger of Tamil Eelam (LTTE), 2009 in einem Vernichtungsfeldzug ausgelöscht wurde. Nach konservativen Schätzungen der UN wurden allein in den letzten vier Monaten 40.000 Menschen getötet; ganze zwei Jahre lang internierte das Rajapaksa-Regime bis zu 300.000 schutz- und rechtlose TamilInnen im Lagerkomplex Manik Farm. Zum Blutzoll des langen Krieges gehören allerdings auch gewaltsame ethnische Säuberungen von Seiten der Tamil Tigers, deren Opfer Angehörige der muslimischen Minderheit waren. Zu den bis zu 200.000 Toten des singhalesisch-tamilischen Kriegs sind die mindestens 100.000 Menschen hinzuzurechnen, die in den beiden innersinghalesischen, von der JVP geführten Aufständen (1971 und 1987-89) den Tod fanden. Hinzu kommt die gezielte Gewalt gegen Einzelne. In den globalen Statistiken »zwangsweisen Verschwindenlassens« und der Verfolgung von JournalistInnen und GewerkschafterInnen belegte Sri Lanka lange Zeit Spitzenplätze. Alle diese Verbrechen waren systematisch von sexueller Gewalt grundiert.
Die Möglichkeit eines Auswegs aus der Gewalt zeichnet sich erstmals 2010 ab, noch nicht einmal ein Jahr nach Auslöschung der LTTE. Sie taucht in Gesprächen von AktivistInnen auf, die lange schon zwischen den verschiedenen Kriegsfronten operieren und einer radikalen Menschenrechtspolitik anhängen: Dass man Rajapaksa stürzen müsse. Dass man dazu ein Bündnis der innersinghalesischen Erzfeinde SFLP und UNP herstellen müsse, und dass man dazu den UNP-Vorsitzenden und jemanden aus der Führung der SFLP brauche. Dass man die singhalesische Linke entlang der »tamilischen Frage« aufspalten müsse: Dass man auch die Partei der MuslimInnen – und natürlich die aktive Unterstützung der TamilInnen brauche. Dass der Umbruch nur gewaltfrei vollzogen werden dürfe – gebunden an die bedingungslose Anerkennung gleicher Rechte für alle BürgerInnen Sri Lankas.
Das Unwahrscheinliche geschieht, der öffentlichen Wahrnehmung entzogen, doch Zug um Zug: im Rückblick betrachtet von beeindruckender Konsequenz. Es geschieht in den kriegszerrütteten Gemeinden des Nordens und Ostens wie in der Hauptstadt Colombo, ergreift die beteiligten Parteien und Gewerkschaften, die zivilgesellschaftlichen Verbände. Zum Programm wird der Umbruch in den transnationalen Lobby- und Advocacy-Aktivitäten, mit denen mehrere Sri Lanka-Resolutionen des UN-Menschenrechtsrates erwirkt werden. Einige der kühnen AktivistInnen haben den Januar nicht mehr erlebt, darunter Sunila Abbeysekera (gestorben 2013) und Sarath Fernando (gestorben 2014).

Die Krise des friedlichen Umbruchs

Das erste Jahr der Regenbogenkoalition wird dann nicht nur durch die Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie, sondern auch durch eine Serie gelungener, politisch nicht zu unterschätzender symbolischer Aktionen bestimmt. So reichen sich Sirisena, Wickremesinghe und Sampanthan zur staatsoffiziellen Feier des Unabhängigkeitstags auf der Ehrentribüne die Hände, während ein Chor junger Frauen die Nationalhymne erstmals auch auf Tamilisch singt. Praktisch-materiell aber kommt der Prozess Mitte 2016 zum Erliegen. Der erste Grund liegt in der Prekarität der Koalition: Die SFLP ist noch heute zugleich die Partei Sirisenas und Rajapaksas. Im Kampf gegen die Fraktion des Ex-Präsidenten fällt der Sirisena-Flügel zunehmend in den Nationalismus zurück. Premier Wickremesinghe steht zwar noch zu seiner säkular-antinationalen Position, nimmt aber von der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen ebenso Abstand wie von der Bekämpfung der Elitenkorruption, in die er selbst verstrickt ist. Weder Sirisena noch Wickremesinghe rühren an dem tiefen Staat, zu dem sich Armee, Polizei und Sicherheitsdienste verschworen haben. Stillschweigend eingestellt wurde auch die Kampagne gegen den buddhistischen Mönchsfundamentalismus.
Die militärische Besatzung des Nordens und Ostens setzt sich fort. Auch wenn Uniformen weitgehend aus dem Straßenbild verschwunden sind, kommt auf fünf TamilInnen noch immer eine singhalesische SoldatIn. Nach wie vor hält die Armee auch landwirtschaftlich genutzte Gebiete besetzt, betreibt systematisch Hotels, Restaurants, Läden und Werkstätten und errichtet in tamilischen wie muslimischen Gemeinden Buddha-Statuen: Auch deshalb, weil dort weiterhin absichtsvoll SinghalesInnen angesiedelt werden. In den Gefängnissen wird weiter gefoltert, hunderte TamilInnen gelten weiter als »verschwunden«. Von den versprochenen Institutionen einer »Transitional Justice« wird lediglich das »Office of Missing Persons« eingesetzt: praktisch wirksam ist es kaum. Der »Prevention of Terrorism Act«, eine Generalermächtigung zu militärisch-polizeilicher Willkür, bleibt unangetastet. Kein Wunder, dass die tamilische Parteienkoalition TNA zunehmend unter den Druck militant-nationalistischer Kräfte gerät, die sich im Tamil People’s Congress (TPC) und in der Tamil National People’s Front (TNPF) reorganisiert haben. Versagt hat die Regierung auch an der ökonomischen Front, an der sie mit der milliardenschweren Verschuldung des Landes kämpft, einer Altlast des Rajapaksa-Regimes.
Als mobilisierendes Politikfeld bleibt aktuell nur der verfassunggebende Prozess, der noch unter dem Konsens einer »Devolution of Power« steht. Mit ihr soll der Zentralstaat zwar nicht in eine Föderation umgewandelt werden, doch immerhin in einen Staat mit starker Selbstbestimmung der Provinzen, Städte und Gemeinden. Löst die Januar-Revolution dieses strategisch wichtigste Versprechen ein, wäre die Chance des Neuanfangs gerettet.

Thomas Seibert ist Asienreferent bei medico international. Seit 2005 unterstützt die Organisation auf Sri Lanka MenschenrechtsaktivistInnen verschiedenen ethnischen Hintergrunds, von denen einige führend an der Januar-Revolution beteiligt waren.

Keine Freiheit im Paradies – Tourismus & MigrationDieser Beitrag ist dem Magazin 361 des Informationszentrms 3. Welt iz3w zum Schwerpunkt Tourismus & Migration entnommen. Es bietet eine Reihe spannender Essays, Berichte und Beobachtungen, etwa zu Reiseräumen in Zeiten von Flucht und Freizeit oder zu Camps von Geflüchteten, die zu Risezielen werden, zu Lesbos als Insel der Ausgegrenzten oder dem Einfluss des Dschihads auf den Tourismus. Höchst lesenswert!

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