Vor dem Hintergrund der Krise und der Sparpolitik hat die Regierung der Partido Popular auf den Balearen im Laufe des Jahres 2012 diverse Änderungen in der Gesetzgebung zum Umweltschutz vorgenommen, die darauf abzielen, Investitionen der Tourismus- und der Immobilienbranche sogar in Naturschutzgebieten zu unterstützen. Über die diesen Prozessen zugrundeliegende Logik sprachen wir mit Margalida Ramis, der Sprecherin der Gruppe Vogel- und Naturschutz (Grupo de Ornitología y Defensa de la Naturaleza, GOP), einer bedeutenden Umweltschutzorganisation auf den Balearen.

Ernest Cañada: Die Gesetzesänderungen, die auf den Balearen vorgenommen wurden und auch die Reform des nationalen Küstengesetzes verschlechtern den Landschaftsschutz. Welche Folgen können sich aus diesen Initiativen ergeben?

Margalida Ramis: Seit Beginn der Legislaturperiode haben die verschiedenen politischen Verantwortlichen der Regierung der Partido Popular auf den Balearen der Bevölkerung vermittelt, dass der Naturschutz ein Hindernis für private Investitionen sei. Mehr Investitionen seien aber der einzige Ausweg aus der aktuellen Krise. Auf dieser Argumentationsgrundlage hat die Regierung Gesetzesinitiativen lanciert, in deren Folge eine komplette und absolute Deregulierung der Stadtentwicklung und der Raumordnung auf den Balearen und damit ein systematischer Rückbau des Landschaftsschutzes und des Schutzes der natürlichen Ressourcen stattgefunden hat.
Die Regierung hat das Gesetz 7/2012 vom 13. Juni erlassen, mit dringenden Massnahmen zur nachhaltigen Regulierung der Stadtentwicklung. Dieses Gesetz erlaubt es, Orte, die nicht einmal über eine Minimalversorgung und eine elementare Infrastruktur verfügen, ab sofort als städtische Gebiete auszuweisen. Dadurch wird der bislang landwirtschaftlich genutzte Boden überall zu Baugrund, sogar innerhalb geschützter Gebiete. Das ruft Spekulanten auf den Plan.
Das neue Gesetz 8/2012 vom 19. Juli zum Tourismus auf den Balearen unterwirft die Stadtplanung den Interessen des Tourismus in Verbindung mit Bodenspekulation. Auch die Reform des Küstengesetzes dient mehr dem Schutz bestimmter wirtschaftlicher Interessen an den Küsten, als dem Schutz der Küsten selbst.
Mit diesen deregulierenden Gesetzesinitiativen werden Ausnahmeregelungen und Mehrdeutigkeiten eingeführt. Dadurch kommt es zu einer Anwendung "je nach dem" und einer Anpassung der Normen "à la carte".

Ernest Cañada: Betrachtet man all die Ankündigungen von touristischen Projekten wie Hotels, Sporthäfen, Themenparks oder Golfanlagen, sieht es so aus, als gebe es – trotz der Krise – einen echten Bau-Boom auf den Inseln. Ist das wirklich so?

Margalida Ramis: Alles hängt von der Kapazität der Investoren ab. Das Gebiet steht wieder zum Verkauf, die landschaftlichen Flächen werden kommerzialisiert und ihr Schutz vernachlässigt. Wenn Investorengruppen oder private Initiativen auftauchen, können sie mit der Unterstützung der Regierung rechnen. Ob wirtschaftlich gesehen die Aktivitäten oder Projekte über den Prozess der Bauarbeiten und die Befriedigung einiger weniger privater Interessen hinaus positive Konsequenzen haben, scheint dabei nebensächlich.
Es geht hier um ein Macht- und Spekulationsspiel: Geisterprojekte tauchen auf und verschwinden, um das "Terrain" auszutesten – damit ist nicht nur der eigentliche Baugrund gemeint, sondern auch das "politische Terrain". Das heisst, Spekulanten versuchen auszutesten, in wie weit sie Druck ausüben können, um die kapitalistische Dynamik zu Lasten der Landschaft und der Bevölkerung noch weiter voranzutreiben. An diesem Spiel beteiligen sich Baugesellschaften und Finanzinstitute mit geballter Kraft. Leider erhalten sie dabei alle notwendige Unterstützung und Beihilfe von Politikern, die unfähig sind, umzudenken und reale Alternativen anzubieten. Im Gegenteil, sie wiederholen die gleichen Fehler, berauben die Politik ihrer Glaubwürdigkeit, kultivieren die Korruption und entfernen sich durch ihr Unvermögen, durch ihre Inkompetenz und ihre nicht durchschaubaren Interessen immer weiter von der Bevölkerung.
Ein Beispiel für diese Politik ist der aktuelle Fall des Müllimports. Auf Mallorca wurde 2007 der Bau einer Riesen-Müllverbrennungsanlage genehmigt, deren Kapazität die tatsächlichen Bedürfnisse Mallorcas um ein Vielfaches übersteigt. Sie wurde mit öffentlichen Geldern finanziert, um das Geschäft der privaten Gesellschaft TIRME mit dem Bau der Infrastruktur und später mit der Müllverbrennung und der Gewinnung von elektrischem Strom anzukurbeln. Nun verkaufen sie uns den Import von Müll als notwendig, um die Investition zu amortisieren und verpacken das ganze in Euphemismen (Erhalt fossiler Brennstoffe, Export von Umweltdienstleistungen, energetische Verwertung) und Falschaussagen (Produktion erneuerbarer Energien, Verminderung der Emission von Treibhausgasen, Schaffung von Arbeitsplätzen). In Wirklichkeit handelt es sich um ein Geschäft des An- und Verkaufs von Müll, um die Gewinne von TIRME zu garantieren. Trotz der Krise 2012 hat das Unternehmen 23 Prozent mehr Gewinn gemacht als im Vorjahr – durch den Export der mit der Müllverbrennung einhergehenden Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung und der Emissionen krebsfördernder Partikel nach Mallorca.

Ernest Cañada: Alles scheint darauf hinzudeuten, dass unter dem Deckmantel der Krise bestimmte Sektoren sich Dinge trauen, die noch vor kurzer Zeit undenkbar gewesen wären. Was bedeutet das für die Umweltbewegung?

Margalida Ramis: Zunächst schien es so, als böte die Krise die Gelegenheit, die in der Vergangenheit begangenen Fehler zu korrigieren und die Grundlagen für eine neue Wirtschaftsordnung zu definieren. Doch stattdessen setzt man auf die Fortsetzung einer perversen Logik, die diejenigen schützt, die für die aktuelle Situation die Hauptverantwortung tragen. Sie macht die Landschaft, die Umwelt und die Menschen noch verwundbarer. Für letzteres stehen als klare Beispiele die skandalöse Bankenrettung, die von Rajoy betriebene Reform des Arbeitsmarktes oder die Beschneidung der Arbeitsrechte, die über Jahrzehnte von den Arbeitern in sozialen Kämpfen errungen wurden.
All das zwingt die sozialen Bewegungen, gemeinsam an den Ursachen dieser Krise zu arbeiten. Sie hat dieselben Wurzeln, die auch der Umweltzerstörung sowie die Zerstörung sozialer und demokratischer Strukturen und Prozesse zugrunde liegen. Die Umweltbewegung muss in der Lage sein, von der Strasse aus reale Alternativen aufzubauen. Gleichzeitig muss die tägliche politische Arbeit weitergehen, in dem Bewusstsein, dass keine weiteren Zugeständnisse mehr möglich sind, sondern dass die politische Realität von ihrer Basis her neu erfunden werden muss.