Neue Tourismus-Richtlinien der Biodiversitätskonvention: Eine verpasste Chance
Anfangs Februar 2004 ging in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur die siebte Konferenz der Vertragsstaaten, welche die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) unterzeichnet haben, über die Bühne; auf der Tagesordnung stand dabei auch der definitive Beschluss über die neuen Richtlinien zum Tourismus. Der Tourismus wurde 1998 anlässlich der vierten Vertragsstaatenkonferenz in Bratislava erstmals ins Arbeitsprogramm der Biodiversitätskonvention aufgenommen. An einem Workshop im Juni 2001 in Santo Domingo haben Fachleute aus Regierungen, internationalen Organisationen und NGOs einen ersten Entwurf der Richtlinien formuliert; dieser wurde aufgrund von Kommentaren aus den Mitgliedsländern sowie der Schlussfolgerungen des Gipfels zum Ökotourismusjahr 2002 überarbeitet. Im März 2003 wurde diese Version in einem untergeordneten Gremium der CBD (SBSTTA 8) diskutiert und an die siebte Vertragsstaatenkonferenz (COP 7) zur Beschlussfassung überwiesen.
An der COP 7 in Malaysia dominierten jedoch die Diskussionen über die Schutzgebiete und ein neues Regime für die Aufteilung des Nutzens aus dem Gebrauch genetischer Ressourcen. Die Verabschiedung der (freiwilligen) Tourismus-Richtlinien wurde kaum wahrgenommen. Während den Verhandlungen waren viele Delegationen nicht anwesend. Drei Stunden genügten, um alle Änderungsanträge zu diskutieren und das Werk zu verabschieden.
Für eine kleine Aufregung sorgten die Wortmeldungen der Indigenen Gruppen und der NGOs, welche eine Verschiebung der Entscheidung auf die nächste Vertragsparteienkonferenz von 2006 (COP 8) in Brasilien forderten. Sie kritisierten, sie wären im Prozess nicht eingebunden gewesen; der vorliegende Entwurf wäre deshalb nicht legitim. Das Sekretariat der CBD widersprach diesem Vorwurf vehement und legte dar, dass die erwähnten Gruppen seit mehreren Jahren am Prozess partizipierten. Die Forderung nach einer Verschiebung der Entscheidung wurde dann auch von keiner Delegation aufgenommen. Als sich die Verhandlungen danach mit den Richtlinien selbst befassten, gaben die NGOs keinen Input mehr. Schade, denn in der Substanz sind die Richtlinien noch weit davon entfernt, perfekt zu sein. Mit einem guten Lobbying wären viele Verbesserungen möglich gewesen. Statt dessen wurden die Richtlinien an der COP 7 in einem zentralen Punkt noch abgeschwächt. Im ursprünglichen Dokument war für die Einbindung der indigenen und lokalen Gemeinschaften in den Entscheidungsprozess ein „Prior Informed Consent“ (eine auf Kenntnis der Sachlage gegründete vorherige Zustimmung, kurz PIC) vorgesehen. Auf Antrag der Kanadier und trotz dem Widerstand der EU wurde der PIC gestrichen. In den Richtlinien ist jetzt nur noch von einer „Consultation“ mit der indigenen und lokalen Bevölkerung die Rede.
Aufgrund der Schweizer Intervention wurde in der Entscheidung immerhin festgehalten, dass basierend auf den gemachten Erfahrungen und mit dem Beitrag der indigenen und lokalen Gemeinschaften, eine verbesserte Version der Richtlinien erarbeitet werden muss und an der nächsten COP über den Stand dieser Arbeit berichtet wird. Zudem wurde erreicht, dass eine Eingabe Australiens abgeändert wurde, welche die Richtlinien in erster Linie auf Schutzgebiete limitieren wollte.
Die verabschiedeten freiwilligen Richtlinien bilden eine Grundlage für staatliche, regionale oder lokale Autoritäten, sowie für Private, um Investitionen im Tourismus zu planen, zu prüfen und umzusetzen. Ziel ist, mit diesem Hilfsmittel die negativen Auswirkungen des Tourismus auf die Bevölkerung und die Biodiversität zu schmälern und den Nutzen, insbesondere für die lokale Bevölkerung, zu erhöhen. Um dies zu erreichen, wird ein sogenannter Notifikationsprozess für Tourismusprojekte vorgeschlagen. Im Rahmen dieses Prozesses werden alle relevanten Beteiligten, insbesondere auch die lokalen und indigenen Gemeinschaften, in die Planung integriert. Ein zentraler Aspekt bei der Eingabe von Projekten stellt die umfangreiche Verträglichkeitsprüfung (ökologische und sozio-ökonomische Auswirkungen) dar. Ob die freiwilligen Richtlinien einen positiven Einfluss auf die Tourismusentwicklung haben werden, ist fraglich. Zu desinteressiert schienen in Malaysia die Vertreter der Mitgliedstaaten, die sich nun für eine Umsetzung im Heimatland stark machen müssten.
In der Schweiz sollte nun auf nationaler Ebene geprüft werden, ob die Anwendung der Richtlinien zu einer Änderung betreffender Gesetze oder Verordnungen führen würde. Die Richtlinien können ab sofort auch für den Schweizer Tourismussektor von Nutzen sein, zum Beispiel bei der Erstellung von Grossanlagen oder der Erschliessung neuer artenreicher Gebiete durch Liftanlagen. Um eine breite Anwendung sicherzustellen, sind die neuen Richtlinien den Tourismusverantwortlichen auf nationaler, kantonaler und lokaler Ebene bekannt zu machen.
François Meienberg
Erklärung von Bern
François Meienberg war als der Vertreter der Zivilgesellschaft Mitglied der Schweizer Delegation für die Vertragsparteienkonferenz der Biodiversitätskonvention in Kuala Lumpur. Von 1997 bis 1998 war er Mitarbeiter bei akte.