Neue Touristik-Charta für Südafrika: Gleiche Chancen für alle
Südafrika sorgt einmal mehr für Innovation in der Tourismuspolitik: Anfangs Mai, auf der südafrikanischen Tourismusmesse Indaba, lancierte der südafrikanische Umwelt- und Tourismusminister, Marthinus Van Schalkwyk, die „Black Economic Empowerment (BEE) Charter“ für den Tourismus. Hinter dem Wortungetüm verbirgt sich ein interessantes Instrument zur gezielten Förderung von Schwarzen und ehemals benachteiligten Bevölkerungsgruppen in Südafrika. Dafür setzt die BEE-Charta klare Ziele: Bis ins Jahr 2009 sollen 35 Prozent der Manager von Tourismusunternehmen, 45 Prozent der Angestellten im oberen und mittleren Kader sowie 53 Prozent der einfachen Angestellten aus ehemals benachteiligten Bevölkerungsgruppen stammen; bis 2014 sollen diese drei Viertel aller Beschäftigten in Tourismusbetrieben ausmachen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Tourismusangestellten nach klar definierten Vorgaben zu schulen. Weiter sollen die Tourismusbetriebe bis 2009 40 Prozent ihrer Einkäufe bei südafrikanischen Zulieferern tätigen, die ebenfalls die BEE-Vorgaben für ihren Bereich erfüllen; der Anteil der bevorzugten Einkäufe soll bis 2014 auf 50 Prozent aller Anschaffungen gesteigert werden. Zudem werden die Tourismusbetriebe angehalten, in soziale Entwicklungsprojekte, Bildung, Gesundheit und Kultur zu investieren. Während die BEE-Charta in der ersten Fünf-Jahres-Etappe vor allem auf den Ausbau der Beschäftigung, die Qualifizierung der Angestellten und die Förderung von Kleinunternehmen setzt, zielt die zweite Etappe der Charta auf die Besitzverhältnisse ab: Bis 2014 sollen 30 Prozent der Tourismusunternehmen mit einem Jahresumsatz von über fünf Millionen Rand (ca. 1,175 Mio. Franken) in nicht-weisser Hand sein. Die BEE-Charta tritt am 1. August 2005 in Kraft und die Erfüllung der Vorgaben wird ab dann mit einem Punktesystem (BEE-Scorecard) bemessen. Zwar erfolgt die Umsetzung der BEE-Charta – wie die Verantwortlichen aus dem Tourismusministerium betonen – auf freiwilliger Basis: Kein Unternehmen ist gezwungen, die Vorgaben zu erfüllen. Doch wer nicht genügend punktet und zu wenig Anstrengungen unternimmt, ehemals Benachteiligte zu fördern, muss ab 2009 damit rechnen, keine staatliche Förderung oder Aufträge mehr zu erhalten. Für grosse, multinationale Tourismusunternehmen mag der Aspekt der finanziellen Förderung vorerst nicht besonders relevant sein; es könnte aber auch für sie schmerzhaft werden, wenn sie etwa bei den Werbemassnahmen der staatlichen Fremdenverkehrsbehörde (SAT) aussen vor bleiben.
SAT sowie verschiedene Behörden, die für Finanzierung oder Ausbildung im Tourismus zuständig sind, und die Verbände der Tourismuswirtschaft haben die BEE-Charta ausdrücklich begrüsst. Seit 1996 hat die südafrikanische Regierung den Tourismus als einen der massgeblichen Sektoren erwählt, die ehemals benachteiligten Bevölkerungsgruppen neue Chancen bieten soll. 2002, als die internationale Gemeinschaft zehn Jahre nach der Umweltkonferenz von Rio auf dem Weltgipfel zur Nachhaltigen Entwicklung (WSSD) in Johannesburg ein neues Aktionsprogramm beschloss, legte die südafrikanische Regierung vorbildliche nationale Richtlinien für einen verantwortungsvollen Tourismus vor (siehe akte-Kurznachrichten 1/2003). Doch der Tourismus blieb fest in weisser Hand: 2003 befanden sich gerade mal 6 Prozent aller Betriebe im Besitz der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. „Jahrzehntelang war der Tourismus ein Symbol für alles, was in Südafrika falsch läuft“, hielt denn auch Tourismusminister Schalkwyk anlässlich der Lancierung der BEE-Charta fest. Gleichzeitig gab er seiner Hoffnung Ausdruck, nun die Barrieren überwinden zu können, welche die Gemeinden in Südafrika daran hinderten, vom Tourismus zu profitieren. Im Rahmen der „Black Economic Empowerment“-Politik, die für die verschiedenen Wirtschaftsbranchen anhand spezifischer Programme umgesetzt wird, soll der Tourismus wiederum klar eine Pionierfunktion einnehmen. Seit Mitte 2004 erarbeiteten VertreterInnen aus der Tourismuswirtschaft, Behörden, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft die Vorlage und das Bewertungssystem dieser für den Tourismus weltweit einmaligen „Quotenregelung“.
Die BEE-Charta löste bereits im Vorfeld ihrer Lancierung viele Befürchtungen seitens südafrikanischer Tourismusunternehmen aus und führte auch auf der Indaba zu hitzigen Debatten in den eigens dazu veranstalteten Workshops. Während weisse EigentümerInnen von Familienbetrieben wie etwa „Bed&Breakfast“ ihre limitierten Ressourcen und den Konkurrenzdruck auf dem Markt geltend machten, äusserten nicht-weisse VertreterInnen aus Tourismusbetrieben unmissverständlich ihre Skepsis gegenüber den neuen Förderungsversprechen der Regierung, die sich bis anhin für sie bei weitem nicht erfüllten. Da wird die südafrikanische Regierung gefordert sein, die von ihr geschürten Erwartungen allseits zu erfüllen. Ob ihr dies gelingt, wird auch von den potenten „Player“ im Tourismus abhängen – den internationalen Tourismuskonzernen und den grossen Reiseveranstaltern der wichtigsten Entsendeländer. Gerade sie können künftig mit ihrer Produktauswahl und -gestaltung sowie im Marketing klare Zeichen setzen, wie viel Wert sie auf soziale Gerechtigkeit im Tourismus und die faire Beteiligung von benachteiligten Bevölkerungsgruppen in Südafrika legen. /plus
Quellen: Department of Environmental Affairs and Tourism: Tourism BEE Charter and Scorecard, 8.5.2005; Tourism BEE Charter & Scorecard – A User’s Guide, May 2005, www.environment.gov.za; Pressemitteilungen Indaba 2005 und eigene Recherchen