Basel, 03.12.2009, akte/ Die Schweizer Wohnbevölkerung gehört zu den Weltmeistern im Reisen. 2007 unternahmen 88 Prozent eine Reise mit mindestens einer Übernachtung, im Jahr darauf waren es nach der neusten BFS-Statistik noch 83 Prozent. Im Durchschnitt unternahm jede Person 3,2 Reisen mit Übernachtung, plus knapp 13 Tagesreisen. Zusammen sind das fast 100 Millionen Reisen. Die Tagesausgaben haben im Vergleich zu 2003 und zu 1998 deutlich zugenommen und betragen im Schnitt 148 Franken pro Tag und Person. Für Auslandreisen gab die Schweizer Wohnbevölkerung stolze 12 Milliarden Franken aus.

Vermehrt ins Ausland

Hauptreiseziel der schweizerischen Wohnbevölkerung war nach wie vor das eigene Land. Der Anteil wie auch die Gesamtzahl der inländischen Reisen waren seit 1998 jedoch rückläufig. Von der Reisefreudigkeit der Schweizer Wohnbevölkerung profitierten vor allem Deutschland und Österreich, aber auch weiter entlegene Destinationen, welche die BFS-Statistik nicht aufführt. Die beliebtesten Reiseziele der Schweizer Wohnbevölkerung sind auf einer UNWTO-Liste zu finden. Zu ihnen gehören nebst Ländern wie Thailand oder China auch eine ganze Reihe islamischer Länder: Ägypten, Tunesien, Marokko, Dubai, Oman, Indonesien, die Malediven, Kenia und Malaysia, aber auch Länder mit muslimischen Minderheiten wie Indien, Südafrika oder Israel. Gemäss dieser Hitliste führten etwa zehn Prozent der Auslandsreisen in Entwicklungsländer. 

Reisen und Vorurteile

"Reisen veredelt den Geist und räumt mit all unseren Vorurteilen auf", meinte der Schriftsteller Oscar Wilde, wie vor ihm schon der Philosoph Immanuel Kant oder Johann Wolfgang von Goethe. – Demnach müssten die Millionen von Reisenden aus der Schweiz mit ihren Ferien in islamischen Ländern ihre Vorurteile gegen Minarette, Kopftücher und den Islam überhaupt überwunden haben. Das Ergebnis der jüngsten Abstimmung, bei der sich 57,5 Prozent der Abstimmenden für die Minarett-Initiative und damit für ein Verbot von Minaretten ausgesprochen hat, lässt eher den umgekehrten Schluss zu: Dass nämlich Reisen ohne „veredelten Geist“ nicht das Geringste zur Entledigung von Vorurteilen beiträgt. In einer ersten Analyse geht Politkommentator Michael Herrmann in einem NZZ-Interview davon aus, dass „Gemeinden mit hohem Bildungsstand und kulturell-religiöser Durchmischung aufgeschlossener gegenüber der muslimischen Minderheit daherkommen.“ Die Nein-Stimmen stammten mehrheitlich von StadtbewohnerInnen, die mehr Erfahrung mit dem Islam hätten, sowie von bildungsnahen Schichten. Hingegen hätten viele Frauen ja gestimmt, auch viele Menschen aus bildungsfernen Schichten, sowie Bewohner auf dem Land oder in Agglomerationen. Am meisten Vorbehalte gegen Muslime haben also die Stimmberechtigen, die am wenigsten mit Muslimen zu tun haben. Das lässt sich auf die Reisen übertragen: Sie erweitern den Horizont nur, wenn sich die Reisenden auf die Lokalbevölkerung und ihre Kultur auch einlassen und sich entsprechend vorbereiten.

Menschenrechte und Islam

Im Vorfeld zur Minarettinitiative wurde gerne auf Menschenrechtsdefizite muslimischer Einwanderer hingewiesen, insbesondere auf die Unterdrückung der Frauen. Tatsächlich sind Repression und die Unterdrückung der Frauen zwar nicht in islamischen Kulturen allgemein, wohl aber in mehreren der islamischen Hitdestinationen sehr verbreitet. Respekt vor den Menschenrechten und der Würde und Selbstbestimmung der Frau rückt offenbar völlig in den Hintergrund, wenn es um die eigenen Ferien geht. 
Vielleicht, weil einfach das Hintergrundwissen fehlt. Und weil immer häufiger, dafür kürzer gereist und der Reiseentscheid kurzfristiger getroffen wird: Wie in den meisten Entsendeländern haben auch in der Schweiz die Kurzreisen seit 2004 klar zu Lasten von 14-tägigen Reisen zugenommen. Doch eine Kurzreise ohne Vorbereitung erlaubt es kaum, mehr als ein paar Klischees vom Leben und der Kultur eines Landes kennen zu lernen. Immerhin nehmen auch die längeren Reisen zu: 10 Prozent der Reisen im Jahr 2007 dauerten länger als drei Wochen. 
Fazit: Hintergrundinformationen, Aufklärung und das Einlassen auf die Perspektive des Anderen sind nebst fairen Beziehungen entscheidend für das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft, sowohl in den Ferien als auch zu Hause. Dafür wird sich der arbeitskreis tourismus & entwicklung auch weiterhin mit Engagement einsetzen.