Nordische Destinationen und «die Dringlichkeit nach einer gemeinsamen Vision»
Vera Thaler: Snowmobil Tour, Hundeschlitten, oder Walsafari? Was wäre deine Wahl und warum?
Bruno Bisig: Langlaufen, oder eine Schneeschuhtour! Weil man Zeit hat, die Weite zu geniessen, und die Ruhe, um die Natur wirklich zu erleben, die Stille zu erleben.
VT: Abenteuer- und Aktivreisen, aber auch nordische Reiseziele liegen im Trend. Spürt ihr diesen Boom bei Kontiki? Und wie seht ihr als Reiseveranstalter die Entwicklungen im Norden?
BB: Wir spüren eine sehr starke Nachfrage, speziell nach Corona gibt es grossen Aufholbedarf. Der Trend macht mir nicht nur Freude, man muss auch mit dem Kopf dabei sein und sich fragen, wohin das führt. Vor allem Destinationen müssen Massnahmen ergreifen, ohne Regulierungen geht es nicht. Aber auch wir Reiseveranstalter können aktiv den Dialog mit Destinationen suchen. Es geht darum, eine gemeinsame Vision zu entwickeln und gemeinsame Werte zu definieren. Wichtig ist, so zu wachsen, dass diese Werte nicht zerstört werden. Zum Beispiel haben wir in Luosto (Finnland), schon 2013 bevor wir grösser ins Angebot eingestiegen sind, mit der Politik und den touristischen Leistungsträgern überlegt, was eine gemeinsame Vision sein könnte. Wir haben Weite als einen gemeinsamen Wert definiert, woraufhin ein Gesetz geändert wurde, das verbietet, höher als die Baumgrenze zu bauen.
VT: Euer Anspruch ist, langfristig der führende nachhaltige Reiseveranstalter für den Norden zu werden. So übernehmt ihr mit euren 17 Versprechen für eine nachhaltige Entwicklung auch dort Verantwortung, wo Gesetze weniger verlangen würden. Worauf bist du als Geschäftsführer besonders stolz?
BB: Besonders stolz bin ich auf unsere Roadmap 2030 für die Nachhaltigkeit. Oft wird ja kritisiert, dass die Sustainable Development Goals zu abstrakt sind. Wir aber haben die 17 Ziele für uns übersetzt und konkrete Handlungsfelder definiert. Jedes Jahr bearbeiten wir zwei SDGs aktiv, so können wir uns fokussieren. Nachdem Animal Welfare für Der Touristik ein sehr wichtiges Thema ist, haben wir zum Beispiel Tierschutz bei uns gross geschrieben. Von der Methodik her, schauen wir dann als erstes, wer der Experte in diesem Bereich ist. Eine NGO wie Ocean Care kann nur Handlungsempfehlungen aussprechen, wir als Veranstalter können aber Anforderungen stellen. So haben wir zusammen mit Partnern vor Ort gesprochen, Mitarbeiter im Produktmanagement sensibilisiert und das Angebot unserem neuen Standard entsprechend angepasst.
VT: Und weil ein bisschen Selbstkritik nicht schaden kann: Gibt es Bereiche, wo du Optimierungspotenzial für euch selbst siehst?
BB: Oh ja, die gibt es. Schliesslich ergreifen wir nur ganz punktuelle Massnahmen; es ist ein kleiner Einfluss, den wir haben. Wir haben gar nicht die Kapazität, überall mitzumischen. Aber es geht darum, mit Leuchtturmprojekten zu starten und zu zeigen, dass es mit Alternativen möglich ist, berührende Erlebnisse zu schaffen.
VT: Mit Blick auf die Angebotspalette – ist der Polarkreis deiner Meinung nach eine nachhaltige Reisedestination mit einem sanften Tourismusangebot? Was bräuchte es in deinen Augen, um eine nachhaltige Tourismusentwicklung voranzutreiben?
BB: Nein, das sehe ich nicht! Es gibt Orte, die leben vom Wachstum. Sie müssen Alternativen finden. Aktuell ist die touristische Entwicklung je nach Grenze sehr unterschiedlich. Schaut man zum Beispiel nach Finnisch Lappland sieht es völlig anders aus als in Schwedisch-Lappland. Es bräuchte eine grenzüberschreitende Vision, um die unterschiedlichen Interessen steuern und Besucher sinnvoll lenken zu können. Die Politik müsste viel mehr in die Destinations-Entwicklung miteinbezogen werden. Was ich vorschlage, aber bisher noch nicht gefruchtet hat: Ein riesiger Nationalpark, bei dem eine gewisse Infrastruktur miteinbezogen wird. Ich fände es sinnvoll, der Natur einen Preis zu geben, den man über Tickets steuern kann. Das hat viele Vorteile: man kann Kunden steuern, das Erlebnis ist besser, die Gäste kommen bei jedem Wetter.
„Was ich vorschlage, aber bisher noch nicht gefruchtet hat: Ein riesiger Nationalpark, bei dem eine gewisse Infrastruktur miteinbezogen wird.“
VT: Hast du auch einen Tipp für Reisende, wie ihre Reise an den Polarkreis nachhaltiger wird?
BB: Bei der Anreise gibt es verschiedene Möglichkeiten: mit dem Zug dauert es sehr lang; ein Direktflug ist besser als ein „Via“ Flug – also einer, bei dem man umsteigen muss. Man könnte aber auch die Flugdistanz reduzieren, in dem man einen Teil der Reise auf dem Landweg zurücklegt, oder nur in eine Richtung fliegt. Je länger der Aufenthalt, desto weniger die tägliche CO2 Bilanz. Kompensationen sind wichtig, wenn auch ein zweischneidiges Schwert. Es ist nicht die Lösung, hilft uns aber Zeit zu schaffen für Innovationen, um CO2 neutrale Energie zu produzieren. Vorort ist es extrem wichtig bei Veranstaltern auf gewisse Labels und Auszeichnungen zu achten. Die Sensibilisierung ist sehr wichtig – da gibt es noch viel Bedarf im touristischen Bereich.
VT: Als Schweizer bist du ja in einer traditionellen Winter-Destination aufgewachsen – ist für dich ein klassischer Skiurlaub in den Alpen oder eine Reise nach Skandinavien nachhaltiger?
BB: Hier eine pauschale Aussage zu fällen, ist schwierig, man müsste im Einzelfall beurteilen: Wie sieht es mit Naturschutz aus? Wie wird investiert? Bleibt die Wertschöpfung vor Ort oder fliessen die Gewinne ab? Sicher gibt es in den Alpen, genauso wie im Norden positive und negative Beispiele.
VT: Wo siehst du die grössten Herausforderungen für euch als Reiseveranstalter, aber auch für den Norden als Destination?
BB: Dass die Destinationen die Dringlichkeit nach einer gemeinsamen Vision sehen. Wir müssen gemeinsame Werte definieren und uns überlegen, was wir zukünftigen Generationen verkaufen wollen. Dementsprechend müssen wir das erklären und Handlungen dahinter setzen. Sonst reagieren andere Akteure: Zum Beispiel Airlines, die das Potenzial erkennen und Treiber touristischer Entwicklungen sind. In Island wurden durch eine Nordamerika-Strategie, Kapazitäten massiv hochgefahren, extrem viele Touristen kamen in Folge. Aber wie viel Wertschöpfung und wie viel Image-Schaden ist dabei entstanden? Wenn eine Destination ein schlechtes Image hat, dann wird es auch für uns als Reiseveranstalter schwierig.
VT: Zu guter Letzt: Verratest du uns noch dein persönliches Highlight im Norden?
BB: Wenn es um den Winter geht, Luosto! Hier haben wir es geschafft, einen Ort zu wahren wie vor 20 Jahren und haben ihn dennoch weiterentwickelt. Das den eigenen Kindern zeigen zu dürfen, ist schon ein grosses Privileg. Im Herbst war es fast noch entspannter, dort lässt sich Zeit und Ruhe noch richtig geniessen – was uns in Mitteleuropa manchmal leider abhandengekommen ist.
VT: Vielen Dank für das interessante Gespräch, lieber Bruno!
VT: Und weil ein bisschen Selbstkritik nicht schaden kann (