Nordspanien: Pistenraupe trifft Braunbär
Pläne für die Anlage von insgesamt 80 Kilometer Ski-Piste in einem als besonders schützenswert ausgewiesenen Abschnitt des kantabrischen Gebirges werden von den Initiatoren als Beitrag zum nachhaltigen Tourismus etikettiert. Tatsächlich sind jedoch weder die regionalen klimatischen Bedingungen für die ökonomische Rentabilität von Skianlagen ausreichend verlässlich, noch werden bei der Planung ökologische und soziale Konsequenzen berücksichtigt. Ein Beitrag von Clemens Stromeyer*
Nach Plänen der Regionalregierung von Kastilien-León soll im Dreieck der nordspanischen Provinzen Kantabrien, Leon und Palencia eine Wintersportanlage entstehen. Obgleich die Bergregion mit Gipfelhöhen um die 2500 Meter ein für europäische Breiten entsprechend hohes Relief für den Wintersport bietet, sind die klimatischen Bedingungen im Küstengebirge der Iberischen Halbinsel für eine ausreichende und kontinuierliche Agglomeration von Schnee nicht gegeben.
Die geographische Lage des kantabrischen Gebirges zwischen atlantischen Klima im Norden und kontinentalen, submediterranen Bedingungen südlich, begünstigt eine hohe räumliche- und zeitliche Niederschlagsvariabilität und ist daher mit Wintersportanlagen entsprechender Höhen in den zentraleuropäischen Gebirgen nicht vergleichbar.
Neben der hohen Niederschlagsvariabilität in der Region sind auch die absoluten Niederschlagsmengen der vergangenen Jahre rückläufig. Unabhängig davon, ob diese Entwicklung den von Klimaforschern ermittelten Trend für die Region wiedergibt, vergrößert zunehmende Trockenheit die bestehende hohe Witterungsabhängigkeit. Diese fraglichen Bedingungen für einen wirtschaftlichen Erfolg des Projektes werden von den Befürwortern aus dem Bau- und Immobiliengewerbe ignoriert.
Ebenfalls nicht beachtet wird die Tatsache, dass schon bestehende Wintersportanlagen in der Region, wie etwa die kleinere, benachbarte Station Alto Campoo nicht rentabel sind und finanzielle Unterstützung für die Instandhaltung benötigen.
Neben der zu hinterfragenden finanziellen Tragfähigkeit der Anlage befürchten spanische Umweltverbände irreversible ökologische und ästhetische Konsequenzen für die Bergregion.
Als besonders gravierend werden die Änderungen hinsichtlich der Erosionsprozesse und die Einwirkungen auf das hydrologische System eingeschätzt. Durch den notwendigen Profilausgleich für die Anlage der Pisten wird die Morphologie der Landschaft verändert. Steilstellen werden abgeflacht, Flüsse kanalisiert, Felsen gesprengt und Wälder gerodet, dabei geht, neben den Spuren der Landschaftsentwicklung und geographischer Vielfalt, auch der natürliche Schutz vor Lawinen und Muren verloren.
Die Verwendung der Gebirgseen in der Nähe der Station als Wasserspeicher für die Herstellung von Kunstschnee bereitet den Kritikern des Projektes ebenso Sorgen, wie eine zerfurchte Vegetationsdecke, deren Bodenstruktur nicht mehr zur Aufnahme von Wasser in der Lage ist. Ferner schmilzt eine durch Pistenfahrzeuge verhärtete Schneedecke langsamer und verkürzt damit die in Gebirgsregionen ohnehin begrenzte Dauer der Vegetationszeit (Kunstschnee ist schwerer als Normalschnee und unterstützt diesen Prozess zusätzlich). Die Folge wären geringe Erträge und Reduzierung der Artenvielfalt auf den in Nordspanien traditionell viehwirtschaftlich genutzten Weiden.
Aufgrund der hohen alpinen Artenvielfalt gehört der zentrale Bereich der Cordillera Cantabrica zu den durch europäisches Umweltrecht geschützten Zonen von „Natura 2000“. Eingriffe in Gebiete mit so genannten prioritären Arten und Lebensräumen können nur in seltenen Ausnahmefällen und nach Stellungnahme der EU-Kommission durchgeführt werden.
Prominentestes Tier unter den bedrohten Arten, die in den nordspanischen Bergen Rückzug suchen, ist der kantabrische Braunbär. Die wenigen Weibchen mit Jungen wurden in den letzten Jahren genau dort beobachtet, wo Skilifte und Pisten entstehen sollen. Die Projektoren kommentieren, dass die Bären im Winter schlafen. Von erheblichen Störungen kann aber aufgrund der Anlagendimension ausgegangen werden. Wird eine Bärenmutter in ihrem Winterschlaf gestört, verlässt sie fast immer für mehrere Stunden die Höhle, was eine Überlebenschance der Bärenjungen (die zur Hochsaison im Januar geboren werden) verringert.
Die zentralisierende Wirkung massiver Tourismusanlagen ist für die Bevölkerung eine Belastung, neben steigenden Lebenshaltungskosten und Überfremdung stellt eine einseitige, nur auf den Wintertourismus ausgerichtete lokale Wirtschaft für die Bewohner der Region keine sichere Lebensgrundlage dar.
Das nordspanische Gebirge bietet mit unverbauten Landschaften und gut erhaltenden Ökosystemen einen hohen Erholungswert und damit auch Möglichkeiten der Beschäftigung. Hinsichtlich einer langfristigen, auf nachhaltigen Tourismus gerichteten Nutzung gelten für das spanische Küstengebirge die gleichen Grundlagen, wie für die europäischen Berge allgemein: selbstbestimmte Gestaltungsmöglichkeiten der Bevölkerung, eine durch lokale Lebensart geprägte Kulturlandschaft, ökologische Landwirtschaft, infrastrukturfreie Naturlandschaft sowie ein dezentrales Tourismusangebot.
*Clemens Stromeyer ist Geograph und Inhaber von PICOSINCOGNITO, einem Veranstalter von Reisen in die nordspanische Bergregion