Globalisierung, europäische Integration und Marktliberalisierung beschleunigen den Wandel im Alpengebiet. Im Auftrag des Bundesrates sucht das Nationale Forschungsprogramm (NFP) 48 „Landschaften und Lebensräume der Alpen“ seit 2002 wissenschaftlich fundierte Antworten auf die Frage, welche Entwicklungen im Alpenraum erkennbar, gesellschaftlich wünschbar, ökologisch vertretbar und wirtschaftlich tragbar sind.
Der erste Schritt auf dem Weg zu neuen Erkenntnissen und wünschenswerten Veränderungen im Alpenraum führt zu den Wahrnehmungsmustern: Wie nehmen Menschen Landschaften und Lebensräume der Alpen wahr? Denn selbst bei klarster Föhnsicht gibt es ihn nicht – den freien, unverfälschten Blick auf die Alpen. Bergbauern sehen sie anders als Touristiker oder Feriengäste, Ortsansässige haben ein anderes Bild der Berglandschaft als Ausgewanderte oder Unterländer, Raumplanerinnen oder Naturschützer. Die Landschaften selbst sind stetig im Wandel, ihre Wahrnehmung wird von der wirtschaftlichen Nutzung ebenso geprägt wie von den geografisch-ökologischen Erscheinungsformen und vom subjektiven Empfinden – den Bildern, die Menschen sich von den Alpen machen. Diese reichen wiederum weit in die Geschichte zurück, als sich der Alpenraum von einer schroffen, feindlichen Bergwelt im 18. Jahrhundert zu einer attraktiven Naturerlebniswelt für Maler, Dichterinnen, Bergwanderer und Gipfelstürmerinnen wandelte, die ihrerseits den Weg zum Alpintourismus ebneten. Und heute prägt der Tourismus mit seiner Werbung die Vorstellung der Alpen. Umso wichtiger, zum Auftakt des Nationalen Forschungsprogramms über die Alpen die verschiedenen Wahrnehmungsmuster sichtbar zu machen, um Diskussion und Umsetzung von neuen Entwicklungen überhaupt zum Tragen zu bringen. Das bewerkstelligen die ausgewiesenen Autoren – auf Norman Backhaus’ Arbeiten zu Tourismus und Natur insbesondere in Malaysia und Matthias Stremlows’ Publikationen über Bilder und Wahrnehmung der Alpen „aus der Untersicht“ haben wir schon mehrfach verwiesen – in ihrer Synthese zum Forschungsschwerpunkt I des NFP. Dabei fassen sie die Erkenntnisse aus rund einem Dutzend Forschungsberichten zusammen, ziehen weitere ExpertInnen in einer Umfrage bei und zeigen, wie die Wahrnehmung und Bewertung von alpinen Landschaften und Lebenswelten im Spannungsfeld von Individuum, Gesellschaft, Kultur und Natur stehen. Das ist aufschlussreich, wenngleich nicht gerade Leichtkost für ein nicht-wissenschaftliches Publikum. In ihren Schlussfolgerungen leiten sie daraus aber auch fünf praxisorientierte Empfehlungen für einen integrativen, sektorübergreifenden Planungsansatz ab. Dieser plädiert für die Berücksichtigung der verschiedenen Sichtweisen der jeweiligen Akteure, und wendet sich – über die Forschungsgemeinschaft hinaus – auch direkt an Politik und Behörden, Raumplaner und Naturschützer, die sich für eine zukunftsfähige Entwicklung des Alpenraumes einsetzen.

Norman Backhaus, Claude Reichler, Matthias Stremlow: Synthesebericht NFP 48
Alpenlandschaften – von der Vorstellung zur Handlung. Thematische Synthese zum Forschungsschwerpunkt I „Prozesse der Wahrnehmung“, vdf Hochschulverlag AG, ETH Zürich 2007, 136 Seiten, SFr. 36.00 Euro 24.00, ISBN 978-3-7281-3119-5

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