Die Osterinsel Rapa Nui gehört zu Chile und liegt im südöstlichen Teil des Pazifiks am südlichsten Punkt des polynesischen Dreiecks. Die Insel ist für ihre 887 monumentalen Moai-Statuen bekannt und wurde von der UNESCO vor zwanzig Jahren zu einem Weltkulturerbe deklariert. Ein grosser Teil der Insel steht unter dem Schutz des Rapa Nui Nationalparks. Die Osterinsel ist in gewisser Hinsicht der abgelegenste bewohnte Ort der Erde. Die nächsten Nachbarn auf den Pitcairn-Inseln sind über 2’000 Kilometer entfernt, und bis zum südamerikanischen Festland sind es 3’600 Kilometer – das sind fünf Flugstunden. Die nur etwa 25 Kilometer lange Osterinsel, Heimat von rund 6’000 Personen, ist Reiseziel von jährlich 80’000 UrlauberInnen. Der Tourismus bringt zwar Geld, belastet aber Infrastrukturen und Umwelt.

Nationalpark selbst verwalten

Diesen Frühling besetzten Indigene der Organisation Parlamento Rapa Nui den Nationalpark mit den Moai-Statuen für drei Wochen. Sie forderten die Übergabe der Nationalparkverwaltung von der chilenischen Nationalparkbehörde CONAF auf die Organisation Paralmento Rapa Nui. Einerseits möchten sie mit einem vom Ausschuss für Entwicklung der Osterinsel (CODEIPA) in Auftrag gegebenen neuen Managementplan den Park nachhaltiger bewirtschaften, zum anderen erhoffen sie sich, dadurch auch mehr von den Einkünften profitieren und die Tourismusströme besser steuern zu können. Denn die wachsenden Besucherzahlen sind eben nicht nur mit mehr Einnahmen, sondern ebenso mit schwer zu lösenden Herausforderungen verbunden: Täglich werden 20 Tonnen Abfall produziert. Eine 2011 eröffnete Rezyklieranlage verarbeitet 40’000 Plastikflaschen pro Jahr. Aber der überwiegende Teil des Abfalls kann nicht rezykliert werden. Die Besetzung der Kulturgüter ist ein starkes Druckmittel, ist doch der Tourismus die Haupteinnahmequelle der Insel.
Am 15. April erklärte sich die chilenische Regierung bereit, die Verwaltung der Nationalpark Rapa Nui auf die autonome Einheit Rapa Nui zu übertragen, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Beruhigung der Spannungen zwischen dem chilenischen Staat und der Bevölkerung von Rapa Nui.

Migrationsbewegung regulieren

Doch damit sind längst nicht alle Probleme gelöst. Der Tourismus und der damit geweckte Traum von der Südsee haben auch zu einer Migrationswelle aus Chile geführt. Auf der Insel dominiert zunehmend die spanisch-chilenische Kultur, und es sind vorwiegend die eingewanderten ChilenInnen, die vom Tourismus profitieren. Dazu kommen logistische Probleme: Oft seien alle Flug- und Schiff-Tickets zwischen Osterinsel und Kontinent ausverkauft, die Preise stiegen, so der Präsident des “Parlamento Rapa Nui” gegenüber El Ciudadano TV. Nach Kontinental-Chile reisen zu können ist aber unentbehrlich – beispielsweise zu Ausbildungszwecken oder für bestimmte medizinische Behandlungen.
Die Spannungen zwischen der chilenischen Regierung und dem Volk der Rapa Nui ist nicht neu. 2009 besetzten Indigene bereits den Flughafen Mataveri, 2010 wehrten sie sich mit Hotelbesetzungen gegen den Ausverkauf ihrer Heimat. Eine wichtige Entwicklung war 2012 die Verfassungsänderung: In Artikel 126a wurde neu festgestellt, die Osterinsel sei ein Sondergebiet mit dem Recht auf gesetzliche Beschränkung von Bewegung und Durchfahrt sowie einer gewissen Autonomie für die Menschen von Rapa Nui, ihre Ressourcen selbst zu verwalten. Daraufhin entwickelten viele InselbewohnerInnen zuhanden der Regierung der 2013 gewählten Präsidentin Michelle Bachelet Vorschläge. Doch im Mai dieses Jahres änderten sich Ton und Haltung der chilenischen Regierung, die erzielten Fortschritte wurden zunichte gemacht und die Gespräche zwischen VertreterInnen der Rapa Nui und der chilenischen Regierung abgebrochen. Erst aufgrund der Besetzung des Nationalparks versprach die chilenische Regierung, einen Gesetzesentwurf zuhanden des Ausschusses für Entwicklung der Osterinsel zu verfassen.

Monokultur Tourismus

Ergebnisse einer kaum zuverlässigen und in ihren Resultaten umstrittenen Volkszählung zufolge waren die indigenen Rapa Nui im Erhebungsjahr 2012 erstmals auf ihrem angestammten Land in der Minderheit. Es wurden 5’806 Einwohner gezählt, davon 3’000 aus Chile und 2’800 indigene Rapa Nui – womit die Gesamtbevölkerung innert zehn Jahren um 54 Prozent gewachsen wäre. Inoffizielle Zählungen der Gemeinden gehen indes sogar schon von einer Gesamtbevölkerung von 8’000 Einwohnern aus.
Seit den Neunzigerjahren wurde der Tourismus, angeheizt auch von Kevin Costners Film "Rapa Nui", im Eiltempo entwickelt. Das soziale Gefüge der Insel hat sich gewandelt. Nicht alle haben vom Boom profitiert, sondern in erster Linie die BesitzerInnen und AnbieterInnen touristischer Dienstleistungen und Verbraucherprodukte, während die Rapa Nui ohne eigenes Land oder Kapital verloren haben.
Tourismus ist heute der einzig funktionierende Wirtschaftszweig. Er wächst rasant und völlig unreguliert und gefährdet das archäologische Erbe und die Tragfähigkeit der Insel. Rapa Nui ist ein steuerfreier Ort: Investoren profitieren somit ohne Gegenleistung vom kulturellen Erbe und den Ressourcen der Insel. Aber auch die ChilenInnen, die auf der Suche nach besserer Lebensqualität, Sicherheit und Ruhe auf die Insel ziehen, werden von den Einheimischen abgelehnt, die kritisieren, die Zuzüger vom Festland würden sich nicht mit der angestammten Bevölkerung mischen und keinen Beitrag zur Gesamtentwicklung der Insel leisten. Die Einheimischen klagen auch über Billigsouvenirs und andere Ware aus China, erhöhte Kriminalität und Drogen. Für grössere Infrastrukturprojekte wie das Hotel Hanga Roa oder das neue Krankenhaus bringen Bauunternehmen Arbeiter vom Festland auf die Insel, die nach Abschluss der Projekte bleiben – und damit die Arbeitsmarktchancen der Rapa Nui-Indigenen schmälern.
Bereits 1888 hatte sich der chilenische Staat verpflichtet, im Gegenzug zur Annexion der Insel für Bildung und Entwicklung für deren Bevölkerung zu sorgen und das Recht auf ihr Eigentum am Land und ihre Führungspersonen anzuerkennen. Genau darum kämpfen die Einheimischen Rapa Nui auch heute – im neuen Kontext der touristischen Monokultur.