Rezension und Empfehlung von Literatur glObal, Arbeitsgruppe Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika - EvB

(Tengo miedo torero, 2001. Aus dem Spanischen von Matthias Strobel.)
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004
201 S.  Fr. 15.80  ISBN 3-518-45557-5

Santiago de Chile im September 1986: Der schwule Paradiesvogel, „die Tunte vom Dienst“, verliebt sich unsterblich in den jungen Studenten Carlos. So stellt „sie“ ihm auch anfangs ahnungslos ihre Dachkammer zur Verfügung, damit er gemeinsam mit seinen Kollegen auf die Prüfungen lernen kann. Sie lagert für ihn geheimnisvolle Kisten in ihrem Salon und drappiert darüber farbige Tücher und Nippes. Sie will anfänglich nicht sehen, was sich hinter dem harmlosen Studentengrüppchen versteckt, sie spielt das Spiel mit. Doch irgendwann muss sie sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht: Nachdem sie von einem Polizisten brutal behandelt wird, verliert sie ihre Naivität und nimmt Partei für die Aufständischen. Anstatt am Radio romantische Boleros zu hören, verfolgt sie auf dem regimekritischen Sender, wie ein Attentat auf den Präsidenten durchgeführt wird. Sie weiss, wer hinter der „Patriotischen Front Manuel Rodriguez“ steht und macht sich grosse Sorgen um ihren geliebten Carlos. Wird sie ihn wieder sehen?
In die eigentliche Geschichte  der Beziehung zwischen der Tunte vom Dienst und der konspirativen Studentengruppe werden immer wieder groteske Szenen aus der Ehe des Präsidenten Pinochet eingestreut. Während die First Lady ihn geschwätzig mit  ihren Sorgen vollplappert, leidet der Diktator unter schlimmen Alpträumen, als  ahnte er, was auf ihn zukommt.
Obwohl alles leicht und humorvoll erzählt ist, wird erkennbar, wie sehr die Bevölkerung unter der Diktatur zu leiden hatte. Der Autor steht selber offen zu seiner Homosexualität und ist eine bekannte Figur der chilenischen Kulturszene. Der Originaltitel des Romans „Ich habe Angst Torero“ ist der Titel eines bekannten Boleros, der für Carlos und die Tunte als Geheimcode benutzt wurde. Die Abbildung eines Toreros auf der Titelseite der deutschen Ausgabe weckt wohl völlig falsche Erwartungen.

Irene Stark

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