Peter Jaeggi: Die Heilige Kuh. Eine kleine indische Kulturgeschichte
Basel, 18.01.2010, akte/ Zunächst ist der neue Bildband des Autors und Medienschaffenden Peter Jaeggi einfach ein schönes Buch: Zauberhafte Kuhporträts bringen uns näher, weshalb dieses Tier mitsamt allen seinen Absonderungen in Indien dermassen verehrt wird. Im Begleittext werden die Traditionen und die Quellen, aus denen sie sich speisen, erläutert. Schöpfungsmythen, gesundheitliche Anwendungen, das Tötungsverbot, Geschichten wie die über Bauer Natarajan, der unabsichtlich eine Kuh tötete, Widersprüche. Miniaturen aus der Mogulzeit, welche Szenen mit Kühen und Rindern darstellen, werden neben kurzen Auszügen aus den Vedanta gestellt, den heiligen Schriften der Inder.
Das alles liest sich spannend und wäre für sich genommen schon eine schöne kulturelle Lesereise durch Indien. Aber "Die heilige Kuh" ist mehr als "nur" die kleine indische Kulturgeschichte, die sie zu sein verspricht. Im letzten Drittel des Buches hinterfragt Jaeggi die Kuh und ihre Haltung in Ost und West: 1,3 Milliarden Rinder bevölkern unsere Erde. Unmengen von Futter und Wasser sind notwendig, um sie zu erzeugen. 15’000 Liter Wasser braucht es für die Herstellung von einem Kilogramm Rindfleisch. Weltweit wird ein Drittel des Getreidelandes für den Futteranbau für die Nutztiere verwendet. Der Methanausstoss aus Rindermägen trägt signifikant zur Klimaerwärmung bei. Innert 200 Jahren wurde die Milchleistung auf Kosten der Kuhhaltung von maximal 5 Liter auf maximal 94 Liter täglich hochgetrieben.
So wird aus der indischen Kulturgeschichte eine globale Kulturkritik: Vorbei scheint die Zeit zu sein, da die Kuh als Heiligtum, als Sinnbild für die allmütterliche universelle Balance und für spirituellen und materiellen Reichtum oder als "Genie des natürlichen Gleichgewichtes und Mutter des Ackerbaus", so Martin Ott, Präsident der Schweizerischen Forschungsstelle für Biolandbau, gehegt wurde. Der moderne Produktions- und Profitwahn hat aus ihr ein Sinnbild der Zerstörung von Land, Wasser und Luft gemacht und den Tieren unendlich viel Leid beschert. Schön der Schluss des Buches, welcher dem Zitat aus den Bhaktivedanta anschliesst: "[Krishna] ist der einzige Freund der leidenden Lebewesen. Wenn er auf seiner Flöte spielt, halten all die Kühe und all die anderen Tiere von Vrindavan mitten im Kauen inne und stehen mit vollem Maul da. Sie spitzen ihre Ohren und sind wie gelähmt, Sie scheinen gar nicht mehr lebendig zu sein, sondern stehen da wie gemalte Kühe auf einer Leinwand." Berührende Reportagen von Kuhasylen für ausgestossene, unfruchtbare, behinderte, alte Kühe und solche, die keine Milch mehr geben. Oder die im motorisierten Verkehr verunfallt sind, sowie eine kleine Übersicht über die Stellung der Kühe in den anderen Weltreligionen runden das reichhaltige und zum Nachdenken anregende Werk ab. "Die Heilige Kuh" eignet sich als nachträgliches Weihnachtsgeschenk oder Geburtstagsgeschenk ebenso wie für die eigene besinnliche Abendlektüre.
Peter Jaeggi: Die Heilige Kuh. Eine kleine indische Kulturgeschichte. Paulus Verlag, Freiburg Schweiz 2009, 15 indische Pahari-Malereien aus der Sammlung des Museums Rietberg Zürich, Kuhminiaturen, 38 Fotos. Format 220 x 245 mm, 120 Seiten, SFr. 39.-, Euro 25.-, ISBN 978-3-7228-0753-9
Erhältlich im normalen Buchhandel oder über die Website des Autors: www.peterjaeggi.ch