Kurz vor Eröffnung der Pilgersaison räumt eine Studie mit etwelchen Klischees rund ums spirituelle Wandern auf dem Jakobsweg auf.

Mit Bart, Stock und Filzhut demütig unterwegs, von Wallfahrtskirche zu Jakobskapelle: Das ist das Urbild des Pilgers, fest verankert im kollektiven Gedächtnis. Doch diesem entspricht der Pilgertyp 2009 kaum noch. Sein modisches Walking-Outfit unterscheidet sich kein bisschen von jenem des normalen Weitwanderers. Und eigentlich ist der Pilger von heute auch gar kein Wallfahrer mehr. «Das katholisch geprägte Wallfahren, verstanden als Bussgang, ist abgelöst worden durch eine konfessionsfreie Form des Pilgerns, in der es um Besinnung und Begegnung unterwegs geht», sagt Thomas Schweizer, Beauftragter für Tourismus bei den reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Das Pilgern habe sich quasi in reformierte Richtung weiterentwickelt, «weg vom religiösen Leistungsdenken, hin zu einer offenen Spiritualität».

Ritual
Acht von zehn Pilgerinnen und Pilgern auf dem Jakobsweg haben denn auch keine religiöse Motivation im engeren Sinn. Mit Pilgern verbinden sie vielmehr ein Zurruhekommen, ein Krafttanken. Oder ein Ritual in Übergangssituationen: vor der Pensionierung oder nach der Prüfung, beim Verlust eines nahen Menschen oder nach einer Trennung.
All dies geht aus der «Berner Erhebung zum Jakobspilgern in der Schweiz» hervor, einer Studie von jakobsweg.ch. Dieser Verein ist eine Kooperation der reformierten und katholischen Landeskirche des Kantons Bern und der Volkswirtschaft Berner Oberland und hat sich zum Ziel gesetzt, sich gemeinsam um die Reaktivierung der aufs Mittelalter zurückgehenden Jakobswege zu bemühen.

Frauensache
Die Studie – sie fusst auf der Befragung von 500 Pilgernden – räumt noch mit anderen Klischees auf: Pilgern, in der Geschichte mehrheitlich Männersache, wird immer weiblicher. Sechs von zehn Pilgernden sind Frauen. Nur bei den Langzeitpilgern, die den gesamten Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela in Spanien unter die Füsse nehmen, sind die Männer noch in Überzahl. Und der Pilger als Einzelgänger wird zum Einzelfall: Rund neun von zehn Pilgernden sind als Paar, Kleinfamilie oder Gruppe unterwegs. Ferner haben Grauhaarige in der Pilgerschar keine Dominanz: Jugendliche, junge Erwachsene und Pensionierte sind gleichmässig vertreten. Allerdings ist fast jeder Zweite zwischen 45 und 65 Jahren alt. «Der Jakobsweg ist für diese durch Arbeit, ausfliegende Kinder und älter werdende Eltern stark geforderte Generation ein Work-Life-Therapeutikum», so Thomas Schweizer.

Wirtschaftsförderung
Pilgern hat aber auch eine touristische Bedeutung. Die Umfrage zum Jakobspilgern liefert dazu eine interessante Hochrechnung: Jährlich über 8000 Pilgerübernachtungen im Kanton Bern (und mehr als 35 000 in der Schweiz) ergeben eine Wertschöpfung von 1,3 Millionen Franken im Bernbiet (beziehungsweise 5,4 Millionen Franken in der Schweiz). «Das Geld kommt vornehmlich kleinen Herbergen, Bauernhöfen und Landgasthöfen in wirtschaftlich schwachen Randregionen zugute», unterstreicht Claire Haltner, Projektleiterin beim Verein jakobsweg.ch.

Jakobsspuren
Quer durch Europa führen Jakobswege nach Santiago de Compostela in Nordspanien. Dort liegen der Legende nach die Gebeine des Apostels Jakobus. 400 Pilgerkilometer sinds von Konstanz aus über Einsiedeln, den Brünigpass bis nach Genf – 1600 weitere bis nach Santiago de Compostela. 1987 hat der Europarat den Jakobsweg zur europäischen Kulturroute erklärt.
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ViaStoria*
Der Jakobsweg ist unter dem Namen ViaJacobi seit Frühjahr auch eine von 6 offiziellen, nationalen Fernwanderrouten durch die Schweiz, ermöglicht durch die Entwicklungsarbeit des Projektes ViaStoria www.viastoria.ch an der Universität Bern und aufgenommen vom nationalen Routenprojekt "SchweizMobil". Damit verfügt die ViaJacobi auf Schweizer Gebiet zwischen Bodensee und Genfersee über eine perfekte Beschilderung sowie eine touristische Infrastruktur (Unterkünfte, Routenführer, Gepäcktransport), wie sie sonst bis nach Santiago de Compostela nirgends zu finden ist.

Quellen: Die «Berner Erhebung zum Jakobspilgern in der Schweiz» im Internet: www.jakobsweg.ch;www.viastoria.ch;
Dieser Beitrag erschien erstmals in reformiert, der Evangelisch-Reformierten Zeitung für die Deutsche und Rätoromanische Schweiz, Nr. 3, 2009. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors
Bildquelle: Swisstrails/C.Sonderegger; www.swisstrails.ch
* Autor dieses Abschnitts:  Ruedi Jaisli, Swisstrails