Seit vier Jahren schreitet ein Fischerdorf im Nordosten Brasiliens mit einem gemeinschaftsorientierten Tourismusprojekt voran, das neue Einkommensquellen für die Bevölkerung schaffen und gleichzeitig die natürliche Umwelt und kulturelle Eigenart des Dorfes bewahren soll (vgl. akte-KUNA 3/95, 4/97 und 3/98). Nach einer bildungsorientierten Pilotphase verfügt Prainha do Canto Verde heute über eigene Fachleute, die das Projekt für „Nachhaltigen Tourismus“ umsetzen können. Nun soll ein innovatives Finanzierungsmodell dafür sorgen, dass die Einnahmen im Dorf bleiben und der Profit in die soziale Entwicklung investiert werden kann. Prainha do Canto Verde verfügt über eine Handvoll kleiner Gästehäuser und Restaurants, die bis zu 30 SeminarteilnehmerInnen und EinzeltouristInnen beherbergen können. Mit bislang über 2000 Übernachtungen im Jahre 1999 hat sich die Gästezahl im Vergleich zum Vorjahr mehr als verzehnfacht. Trotzdem legt René Schärer von den „Amigos de Prainha do Canto Verde“ grossen Wert auf ein langsames Wachstum, das Raum für Lernprozesse lässt. Das 1998 lancierte Aus- und Weiterbildungsprogramm für Schulkinder und Mitglieder der Tourismuskooperative soll sicherstellen, dass möglichst viele DorfbewohnerInnen vom Tourismus profitieren und die Jungen Karrieremöglichkeiten erhalten. Die Weiterbildung umfasst Themenbereiche wie Tourismus, Naturschutz und Betriebsführung und leistet Bewusstseinsförderung über Sexualität und Drogengefahr. Für die Zukunft träumt Schärer gar davon, eine Tourismus- und Gastronomiefachschule für Ökotourismusprojekte in ganz Brasilien aufzubauen. Die Bevölkerung von Prainha do Canto Verde, die durch den Einbruch der Langustenbestände hart getroffen worden ist, erhofft sich vom Tourismusprojekt zusätzliche Einkommensquellen, neue Arbeitsplätze und eine Förderung des (Kunst-) Handwerks. Um Einheimische beim Aufbau
eines Kleinunternehmens zu unterstützen, hat die Tourismuskooperative 1998 einen rotativen Investmentfond eingerichtet. Für nicht im Tourismus tätige Familien soll ein Solidaritätsfonds geschaffen werden, der aus freiwilligen Abgaben der TouristInnen und mit 20 Prozent der Einnahmenüberschüsse gespiesen wird. Daraus können Unterstützungsbeiträge bei Berufsausbildung, Wohnbau, Unfall und Naturkatastrophen gezahlt werden. Für das kommende Jahr sind Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen in der Höhe von 90’860 Schweizer Franken vorgesehen. Doch für solche Kleinunternehmungen sind von staatlichen und kommerziellen Finanzinstituten keine Kredite mit relativ langen Zahlungsfristen zu bekommen. Die Tourismuskooperative will daher TeilhaberInnen für das Projekt gewinnen und hat zu diesem Zweck im Sommer 1999 Zeichnungsscheine herausgegeben. Anstelle von Gelddividenden erhalten die TeilhaberInnen Coupons im Gegenwert von 10 Prozent des Zertifikatwertes, die sie vor Ort für Unterkunft und Mahlzeiten einlösen können. Das Tourismusprojekt in Prainha do Canto Verde gilt heute als wegweisendes Modell für andere Küstengemeinden der Region. Der Teilstaat Ceará klärt zur Zeit ab, welche Fischerdörfer noch eine Chance haben, gemeinschaftsorientierte Tourismusprojekte zu entwickeln. Allerdings ist ein
Grossteil der ehemals am Strand lebenden Fischerfamilien vielerorts längst hinter die Dünen gezogen und hat ihre Strandbaracke für ein Trinkgeld den Bodenspekulanten überlassen. René Schärer schätzt, dass nur etwa 10 von 200 Fischerdörfer diesem Druck werden standhalten können. Seit 1989 sind mit Unterstützung der Weltbank rund 800 Millionen US Dollars in den Ausbau des Tourismus im Staat Ceará geflossen. Das sogenannte PRODETUR-Projekt unterstützt vornehmlich grosse Infrastrukturprojekte entlang der Küste. Zwar sind auf der Internetseite des Institut of Brazilian Business and Public Management Issues (IBI) auch einige „Ökotourismusprojekte“ im Nordosten
Brasiliens zu finden, die nach Investoren suchen, doch handelt es sich auch hierbei mehrheitlich um fragwürdige Grossprojekte mit Luxushotels und Golfplätzen (z.B. Aquiraz Resort). Den Nichtregierungsorganisationen vom „Forum do Litoral“, die die Umsetzung von PRODETUR seit 1993 kritisch verfolgen, ist gemäss Schärer inzwischen die Luft ausgegangen. Sofern die Finanzierung zustande komme, will Schärer das Forum reaktivieren. Es soll sicherstellen, dass die Lokalbevölkerung in die Projektplanung einbezogen wird – wie dies übrigens auch von der Weltbank verlangt wird. /frei

Quellen: Folder „Projeto Turismo Ecológico“ von Prainha do Canto Verde; Informationen von René Schärer 27.9.1999; Informationen auf http://www.gwu.edu/ibi