Auf 264,9 Quadratkilometern dehnt sich das Pirin-Gebirge im Südwesten Bulgariens aus und nimmt etwa die Hälfte von Bulgariens grösstem Nationalpark ein. Der Park ist seit 1983 als UNESCO Weltnaturerbe gelistet. Der Regierungsbeschluss, an diesem Ort den Bau von Skipisten, Golfplätzen und Wellness-Zentren zu erlauben, hat im ganzen Land zu Protesten geführt.
Die Protestierenden wehren sich vorab aus Umweltschutzgründen gegen die Verbauung des Pirin Nationalparks und stellen das herrschende Gesellschaftssystem nicht grundsätzlich in Frage. Den Protest führen die die Grünen und vereinzelte liberale bzw. konservative Parteien wie "Ja, Bulgarien" und "Demokraten für ein starkes Bulgarien" an. Viele Teilnehmende sind entweder links oder unpolitisch eingestellt. Auch parteiunabhängige linke Gruppen und Mitglieder der Autonomen ArbeiterInnen-Gewerkschaft beteiligen sich aktiv an den Protesten.
In der Hauptstadt Sofia fand die grösste Demonstration mit mehr als 8’000 Teilnehmenden statt. Die Proteste machten jedoch nicht an den Landesgrenzen halt – auch ausserhalb Bulgariens, z.B. in London, Berlin und Sidney, fanden Kundgebungen statt.

Die Eliten wehren sich

Die staatliche ebenso wie die private Berichterstattung in den bulgarischen Medien zu den Protesten sind von einem aggressiven Tonfall geprägt. Auch bekannte Persönlichkeiten wie AthletInnen und Showbiz-Stars, die von den Oligarchen gesponsert werden, verurteilen die Proteste. Alle im Parlament vertretenen politischen Parteien tun dasselbe. DemonstrantInnen wurden etwa als "Haufen grüner Erpresser, welche die Wirtschaft töten wollen" bezeichnet.
Doch auch unter den Protestierenden kam es zu Konflikten. Während der Demonstrationen in Plovdiv wurden friedlich Protestierende, die jedoch ein Transparent mit der Aufschrift "Der Kapitalismus tötet" trugen, von den Organisatoren des Protests angegriffen. Die Polizei musste hinzugerufen werden.
Unterdessen bezeichnete sich im EU-Parlament sogar der bulgarische Premierminister Boiko Borisov als "grüner Mann". In seiner Rede über den "Pirin-Skandal" sparte er nicht an offenen Lügen. Der private Oligarch, der die Baubewilligung für Pirin erhalten hat, erhält die volle Unterstützung der EU. Die Proteste im ganzen Land gehen deshalb weiter. Bulgarische Geschäftsleute fürchten die Forderung nach einer Volksabstimmung und sagen: "Kein Referendum kann das Schicksal der bulgarischen Wirtschaft lösen."

Postsozialistisches Spiegelkabinett

Auch bei dem Berg Vitosha neben der Hauptstadt Sofia geht es um Skipisten und -lifte. Paradoxerweise fordern dort fünf politisch rechts orientierte Gruppierungen, den Privatunternehmen solle das Gelände enteignet werden und an den Staat oder die Gemeinde übergehen. Dies ist ein weiteres Beispiel für die politische Desorientierung in Bulgarien. Rhetorik und Praktiken der verschiedenen politischen Formationen entsprechen oft nicht der erklärten Position im politischen Raum. Wichtig ist hierbei nur der Kampf um wirtschaftliche und politische Kontrolle über den Staat.