Quo vadis, UNWTO?
Tourismuspolitik ist auch heute noch weitgehend Standortpolitik. Sie hört viel zu oft an der Stadt- oder Landesgrenze auf: Da buhlen Weinbaugebiete an der Mosel um die Gunst der Reisenden und kleine Karibikstaaten stechen sich beim Anwerben von Tourismus-Investitionen gegenseitig aus. Dieses ›Leuchtturmdenken‹ ist einem weltweit verzweigten Wirtschaftsbereich wie dem Tourismus nicht angemessen. Bereits seit dem Jahr 1925 gibt es deshalb eine internationale Vereinigung der staatlichen Reiseorganisationen, die seit dem Jahr 1975 Weltorganisation für Tourismus (World Tourism Organization – UNWTO, vor 2003 WTO) heisst. Seit dem Jahr 2003 hat sie den Status einer offiziellen Sonderorganisation der Vereinten Nationen.
Das ›Leuchtturmdenken‹ im Tourismus ist klima-, sozial- und entwicklungspolitisch gefährlich. Wenn Staaten das Flugzeug als weltweit klimaschädlichsten Verkehrsträger aus Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit ihres Tourismus subventionieren, setzt eine Abwärtsspirale ein, die den Flugverkehr verbilligt und damit sein klimaschädliches Wachstum fördert. Gleiches gilt, wenn Kreuzfahrtschiffe unter der Flagge von Staaten mit niedrigen Arbeitsstandards fahren und damit den Wettbewerb um die billigsten Arbeitskräfte befeuern.
Keine Frage: Eine Welttourismusorganisation, die die Ziele und Werte der Vereinten Nationen in einem der grössten und am schnellsten wachsenden Wirtschaftsbereiche fördern soll, hätte genug zu tun. Tourismusentwicklung ist mit Menschenrechten, Biodiversität und dem Schutz benachteiligter Gruppen wie Kindern, Indigenen und Frauen eng verbunden. Und die UNWTO? Sie kennt all diese Herausforderungen, thematisiert sie gelegentlich am jährlich stattfindenden Welttourismustag oder veröffentlicht Studien zu Frauen im Tourismus, zum Klimawandel oder zum Thema Frieden. Die Erkenntnisse der Studien scheinen allerdings nur theoretisch relevant. Praktisch kümmert sich die UNWTO in der Tradition eines internationalen Tourismusministertreffens lieber um den Abbau von vermeintlichen Barrieren, die ungehindertem Tourismuswachstum im Wege stehen. Das ist schliesslich im Interesse ihrer Mitglieder, darunter – sehr untypisch für die UN-Familie – einzelne Grosskonzerne, wie Hotelketten und Reiseveranstalter.
UNWTO lässt kritische Zivilgesellschaft aussen vor
Im ›Globalen Ethikkodex für den Tourismus‹ der UNWTO haben sich Regierungen und Unternehmen verpflichtet, verantwortungsbewusster zu handeln. Überprüft wird die Umsetzung allerdings unzureichend. Das Verfahren für Beschwerden ist unzweckmässig und fällt meilenweit hinter die Ansprüche der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zurück. Besorgniserregend ist, dass ausgerechnet eine UN-Organisation diese Erwartung nicht erfüllt. Gleiches gilt für breitere Partizipationsverfahren: Während andere UN-Organisationen die Beteiligung einer kritischen Zivilgesellschaft ermöglichen, fehlen solche Konzepte bei der UNWTO.
Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (kurz: 2030-Agenda) ruft nach einer kritischen Überprüfung und Weiterentwicklung der Strategien im Tourismus – und damit auch der UNWTO. In den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung wird der Tourismus vier Mal genannt. Das ist eine Anerkennung der grossen Bedeutung des Bereichs, aber auch eine Mahnung, ihn endlich auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad zu steuern. Die UN haben das Jahr 2017 zum Internationalen Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung ausgerufen. Wird die UNWTO endlich beginnen, die Verpflichtungen aus der 2030-Agenda im Tourismus Wirklichkeit werden zu lassen? Oder wird sie mit einem ›Weiter wie bisher‹ die Vision einer fairen und gerechten Welt sabotieren? Die Internationale Tourismusbörse (ITB), die grösste Tourismusmesse der Welt, nährt die Zweifel an einer Umkehr des aktuellen Trends.