Rezension und Empfehlung von Literatur glObal, Arbeitsgruppe Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika - EvB

2004 Carl Hanser Verlag München Wien
895 S., Fr. 44.50, Euro 24.90
ISBN 3-446-20536-5

Der 1946 in Damaskus geborene Rafik Schami, welcher 1971 nach Deutschland auswanderte, erzählt in diesem opulenten Roman die Geschichte von Rana und Farid, die sich in einander verlieben und dann feststellen, dass ihre Familien seit Generationen verfeindet sind. Schami verknüpft diese Liebesgeschichte gekonnt mit der Geschichte seines Volkes über ein Jahrhundert hinweg. Für die Lesenden bleibt die Geschichte trotz Abschweifungen in die Vergangenheit und Zeitsprüngen jederzeit verständlich und klar.
Die Leser begleiten die verfeindeten Familien Schahin und Muschtak während drei Generationen, erfahren die Gründe für die Feindschaft und erleben den Hass, der sich von Generation zu Generation zu verhärten scheint, obwohl bald niemand mehr genau weiss weshalb man eigentlich verfeindet ist oder was der ursprüngliche Grund dafür gewesen ist. Trotzdem ist jeder bedroht, der sich nicht dem Diktat des Clans beugt und die verhasste andere Familie meidet oder sich an der Blutfehde beteiligt.
Ganz zu Beginn jedoch wird ein toter Offizier über dem Tor der Pauluskapelle in Damaskus gefunden. Die Umstände, die zu dessen Tod führten, werden erst später erläutert. Dann begegnen wir zum ersten Mal Farid und Rana. Farid ist sich nicht sicher, ob ihre Liebe aufgrund der Familienfeindschaft eine Chance hat. Wir Lesende machen einen Sprung in die Vergangenheit und erfahren, weshalb es für die beiden in anbetracht der Konflikte zwischen den unterschiedlichen Konfessionen und Religionen, den verschiedenen politischen Systemen und den Spannungen zwischen den Menschen schier unmöglich ist, zusammen zu leben. Da ist beispielsweise die Rede von Farids Grossvater Georg Muschtak, der nach Mala flüchten musste und nach kurzer Freundschaft mit Jusuf Schahin ihm die Feindschaft erklärt. Verschärft wird der Konflikt, weil die Schahins der orthodoxen Kirche angehören, während die Mutschaks römisch-katholisch sind – und natürlich spielt auch das islamische Umfeld eine Rolle. Später wird Georgs Sohn Elias ins katholische Kloster gesteckt, genau wie auch Farid ins Kloster gehen muss. Bei verschiedenen Diktatorwechseln wird Farid gefangen genommen und muss in der Haft Folter und Schläge ertragen, während Rana von ihrem Cousin vergewaltigt und von ihrer Familie zwangsverheiratet wird. Dieses Schicksal teilt sie mit vielen anderen Frauen, die keine Rechte haben und denjenigen Mann heiraten müssen, den ihre Familien für sie auswählen, es sei denn sie flüchten. Für Rana ist die Situation so unerträglich, doch ihre grosse, wahre Liebe zu Farid überdauert alles, sogar die Zeit im Irrenhaus. Als Farid endlich frei kommt, wird auch Rana wieder gesund und den beiden gelingt die Flucht aus Syrien: eine Variante der Romeo- und Julia-Geschichte, die nicht im Tod endet.
Gegen Ende des Romans wird den Lesern klar, wer als Mörder für den anfangs erwähnten Offizier in Frage kommt. Einzelne Teile werden hier zu einem Gesamtbild der Geschichte zusammengefügt.
Diese Familiensaga enthält für alle etwas: Liebe, Hass, Leidenschaft, Verbrechen und die Stellung der Frauen basierend auf realen Gegebenheiten und Hintergründen. Sie gewährt einen guten Einblick in die Lebensart und das Ehrverständnis der arabischen Welt, in die politischen und geschichtlichen Ereignisse während 100 Jahren und ist fesselnd von der ersten bis zur letzten Minute.

Arlette Bachmann

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