Wildwasserrafting durch den Vorderrhein, Bikertour durch die ganze Schweiz ab Zürich, ein Abend mit Bauchtanz und türkischen Delikatessen oder eine Informationstour durch die ETH-Gebäude – das alles sind Angebote von Laien, welche sich als Reiseleiter auf Getyourguide.com anbieten. Das Angebot auf dem diesen Sommer lancierten Webdienst ist attraktiv und vielseitig. Doch über den Hintergrund und die Qualifizierung der Touranbieter ist wenig zur erfahren. Die Eine beschreibt sich als 25jähriges „Crazy Turkish girl studying in Zurich“, vom Anderen erfährt man, dass er seit 20 Jahren passionierter Biker ist, vom Anbieter des Wildwasserraftings ist „noch keine Beschreibung“ zu haben. Getyourguide.com ist eine Internet Start-up-Firma von vier Männern zwischen 20 und 28 Jahren: Zwei Elektrotechniker, zwei Informatiker, ein Biochemiker und ein Volkswirtschaftler. Ein touristisches Angebot ganz unbelastet von touristischem Know-how also. Touren führen und Reisen leiten kann scheint’s jeder, der will.
Meists kein Job fürs Leben
Dabei erwarten die Gäste und die Arbeitgeber von den ReiseleiterInnen eine ganze Menge: Ausdrucksgewandtheit, Sprachkenntnisse, Geduld und Belastbarkeit, Talent für Organisation und Improvisation, Durchsetzungsvermögen, Führerschein, Geschick im Umgang mit unterschiedlichsten Menschen, Hilfs- und Dienstbereitschaft. In der Praxis werden geeignete KandidatInnen in Ausbildungen zwischen zwei Wochen und zwei Monaten von den Reiseveranstaltern auf ihre Aufgabe vorbereitet. Oft sind es junge Leute auf der Suche nach Berufserfahrung, die sich dafür bewerben und während ein paar Saisons arbeiten.
Missstände bei den Arbeitsbedingungen
Denn hoch sind die Anforderungen, aber tief die Bereitschaft, sie auch abzugelten. Heidi Hächler, zuständig für den Bereich Arbeitsrecht in der Association Suisse des Guides Touristiques (ASGT) bemängelt, dass es für Reiseleiterinnen, Stadtführer und touristische Chauffeure keinen Minimallohn gebe und systematisch Pensionäre und Bessergestellte als Lohndrücker eingesetzt würden. Gemäss Hächler sind die Arbeitsbedingungen besonders schlecht im Incoming-Bereich: Schwarzarbeit, Lohnausstände über Monate, fehlende Lohnabrechnungen oder Jahressalärblätter, nicht einbezahlte Sozialleistungen, fehlende Spesenzahlungen, fehlende Vergütungen bei kurzfristiger Tourannulierung kämen vor allem bei kleineren Auftraggebern vor, und beträfen am häufigsten diejenigen, welche als Teilzeiter für mehrere Auftraggeber arbeiten müssten. Hächler ist Mitglied einer Arbeitsgruppe, die eine staatlich anerkannte Berufsausbildung zur Reiseleiterin/zum Reiseleiter aufbauen will. Sie fordert auch einen Gesamtarbeitsvertrag, der die minimalen Anstellungsbedingungen gesamtschweizerisch verbindlich regelt.
Formalisieren, Einheimische anstellen, anständig entlöhnen!
Ob und wie weit die Reiseleitung formalisiert werden soll, wird schon seit den 70er-Jahren kontrovers diskutiert. Christine Plüss, Geschäftsführerin des arbeitskreises tourismus & entwicklung und selbst während vieler Jahre als Reiseleiterin tätig, war an der Diskussion beteiligt. Es spreche nichts dagegen, meint sie, dass junge Leute Reiseleitung in einer bestimmten Lebensphase übernehmen würden. Der Job sei anstrengend und schwer mit Familie und der Pflege eines Freundeskreises zu verbinden. „Das heisst aber nicht, dass es deswegen einfach ein Fun-Job ohne jeglichen formellen Rahmen oder Qualifikation ist. Die Verantwortung der Reiseleitung ist gerade für junge Leute sehr hoch. Sie müssen sorgfältig qualifiziert und für ihren Job entsprechend bezahlt werden.“ Plüss plädiert für eine formelle Ausbildung und darüber hinaus für den vermehrten Einsatz von lokalen ReiseleiterInnen. Dies wäre auch ein wichtiger Teil der lokalen Wertschöpfung im Tourismus. Dazu müssten junge Leute in den Tourismusländern entsprechend ausgebildet werden und auch interkulturelle Kompetenz aufbauen. So wie sie zum Beispiel der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung in Ammerland mit seiner modularen Weiterbildung „Tour Guide Training. Building Bridges between Cultures“ anbietet. Plüss sagt: „Die neuen Untersuchungen des World Travel Monitor zeigen: Die heutigen Feriengäste suchen Authentizität und echte Begegnungen. Sie sind aber auch anspruchsvoll und reisegeübt und stellen knifflige Fragen. Da gibt’s ein riesiges Fragezeichen bei Getyourguide. Wenn bei einer Tour, die sie anbieten, etwas schief geht, sind Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert.“
Quellen: SonntagsZeitung, 21.09.2008; Work,19.09.2008; Studienkreis für Tourismus + Entwicklung, Pressemitteilung, Pressemitteilung vom 17.09.2008,www.tourguide-qualification.org; www.ipkinternational.com; eigene Recherchen; Bild: Camino-Reisen www.urscher-reisen.de