Reisen im Fluss der Zeit
Wie Hüter vergangener Zeiten säumen Klöster das Rheinufer zwischen Stein am Rhein und Schaffhausen. Seit dem Mittelalter verweilen sie an bester Lage direkt am Fluss. Diesen Logenplatz haben sie dem Rhein zu verdanken, er brachte Reichtum und lieferte auf einfachem Weg Steine, Sand und Holz für die riesigen Bauten. Der Fluss war bis ins Eisenbahnzeitalter ein wichtiger Verkehrsweg. Die Entdeckungsreise beginnt in Stein am Rhein. Am Eingang des Städtchens steht seit 1007 das Kloster St. Georgen, das heute ein Museum ist. Kaum ist man durch den steinernen Rundbogen in den Innenhof getreten, wähnt man sich im Mittelalter. Ist da eben ein Benediktinermönch durch die niedrige Holztür verschwunden? Kein Wunder, täuscht einen die Wahrnehmung, ist doch das Kloster eine der am besten erhaltenen Anlagen der Schweiz aus dieser Zeit.
Als Transportweg liess der Rhein Städte erblühen
Im Städtchen erzählen die reichen Fassadenmalereien von der Handelszeit. Stein am Rhein lag an einem strategisch wichtigen Punkt: am Ausfluss des Untersees. Dort mussten die Güter von den grossen Bodenseeschiffen auf Flussschiffe umgeladen werden. Auch die etlichen Zölle auf Salz, Pfeffer und Getreide füllten die Stadtkasse. Salz gehörte zu der meisttransportierten Ware. Es kam aus den Salinen in Bayern und Tirol zum Bodensee und wurde auf dem Rhein bis nach Schaffhausen gebracht. Auch Personen wurden auf den Rheinschiffen transportiert. Vor allem die Messen und Jahrmärkte lockten. So auch im Jahr 1527, als 200 Schaffhauser bei Diessenhofen die Chilbi besuchten und bei der Rückkehr dermassen betrunken waren, dass sie ein Schiff umstiessen und mit Frauen und Kindern im Rhein baden gingen.
Da scheint es zu Fuss sicherer zu sein. Vorbei an der ehemaligen Probstei in Wagenhausen, passiert man Rheinklingen und erblickt nach einem Marsch auf Uferwegen bald die Rheinbrücke in Diessenhofen. Leider gibt es
das Winkhaus nicht mehr – früher wurden von der Brückenmitte aus einem kleinen Fenster die Güterschiffe eingewiesen. Dafür hat man von der gedeckten Holzbrücke noch immer den gleich schönen Ausblick wie im 13. Jahrhundert, als hier vermutlich zum ersten Mal eine Brücke gebaut wurde. Wer genau hinsieht, entdeckt am linken Ufer ganz hinten das Kloster St. Katharinental. Dort blieb den Nonnen die Aussicht auf den Rhein aber verwehrt – das Treiben auf dem Fluss lenke von der Klausur ab, fand die damalige Priorin. Deshalb liess sie 1714 das alte Kloster abreissen und erbaute trotz Geldmangel eine Anlage ganz nach ihrem Geschmack. Die Ordensschwestern hatten danach keinen Kontakt mehr zur Aussenwelt. Als Entschädigung bekamen sie eine wunderschöne Klosterkirche, die man noch heute besichtigen kann. Rheinabwärts, beim ehemaligen Kloster Paradies, bringt einen Roland Walter mit seiner Fähre von April bis Oktober auf die deutsche Seite des Flusses. Von dort geht es auf der Rheinpromenade bis nach Schaffhausen. Auch diese Stadt verdankt ihren Reichtum dem einstigen Handel auf dem Rhein und ihrer guten Lage. Um den unpassierbaren Rheinfall zu umgehen, mussten die Güter umgeladen werden und ein kurzes Stück auf Wagen zurücklegen. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Eisenbahn den Gütertransport übernahm, verloren die Schiffer ihre Arbeit. Trotzdem, auch heute fahren noch etliche Schiffe zwischen Stein am Rhein und Schaffhausen. Zu den Kursschiffen gesellen sich im Sommer Gummiboote und traditionelle Weidlinge, die gemütlich nebeneinander hergondeln.
4 Fragen an Hanspeter Schneider
Herr Schneider, wie unterscheiden sich die Kulturwege von gewöhnlichen Wanderwegen?
Sie haben eine Geschichte. Via Storia versucht die Bedeutung von historischen Verkehrswegen wieder aufleben zu lassen. Sobald diese in Zusammenhang mit einer Stadt oder einer Siedlung stehen, lernt man die Landschaft neu kennen.
Hat das auch einen positiven Einfluss auf die Natur?
Sicher, was man kennt, das schätzt man auch. Zudem steht bei uns der langsame Verkehr im Mittelpunkt.
Vor dreissig Jahren sollten Sie die historischen Verkehrswege im Auftrag des Bundes archivieren. Jetzt sind die Wege für alle zugänglich. Wieso?
Wir können die Wege am besten schützen, wenn wir sie nützen. Zudem ist auch das Interesse der Bevölkerung sehr gross.
Woran erkennen Sie das genau?
Unsere mehrtägigen Angebote werden immer besser gebucht. Wir spüren auch, dass sich die Menschen wieder mehr einen Bezug zur Region wünschen und sie das Bedürfnis nach Ursprünglichkeit haben.
Hanspeter Schneider, 58, Geschäftsführer von Via Storia aus Burgdorf BE, beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit Verkehrswegen
Weitere Informationen
zur Wanderroute www.kulturwege-schweiz.ch; ViaStoria www.viastoria.ch; zu den Öffnungszeiten Klöster: St. Georgen www.steinamrhein.ch ; St. Katharinental www.denkmalpflege.tg.ch ; Kloster Paradies www.klostergutparadies.ch ; Fähre www.faehre-paradies.ch ;
Dieser Beitrag erschien im Magazin "Schweizer Illustrierte GRUEN" vom 26. März 2012. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Bilder: 1 Heinz Dieter Finck © ViaStoria; 2 © Sammlung Gugelmann, Graphische Sammlung, Schweizerische Nationalbibliothek Bern; 3 Cornel Doswald © ViaStoria; 4 Tschuppli/NS/wiki commons; 5 zvg
Edition Erlebnismagazin Kulturwege Schweiz
Das Erlebnismagazin Kulturwege Schweiz stellt in jeder der acht Ausgaben (2005–2009) das Tourismusprogramm Kulturwege Schweiz sowie die Projektpartner in einer anderen Region vor. Entdecken Sie die Kulturwege der Zentralschweiz, Westschweiz, Uri–Tessin, Ostschweiz, Nordwestschweiz, Graubünden, Bern–Freiburg–Solothurn, Wallis anhand ansprechender Beschreibungen von Wanderern, illustriert mit Sehnsüchte weckenden Bildern, Wegbeschreibungen, Karten und Tipps. Die Einzelausgaben à CHF 8.00, EUR 5 oder der Schuber mit allen acht Ausgaben sind erhältlich bei: http://www.viastoria.ch/d/Publikationen/Erlebnismagazin.htm